Wakeboarder Dominik Gührs:Er kann's nicht lassen

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Als sich der zweimalige Weltmeister beim Munich Mash schwer verletzt, wird er wenig später dennoch WM-Dritter. Über einen, für den sein Brett die Welt bedeutet.

Von Sebastian Winter

Eine stille Zeit, die gibt es eigentlich nicht im Leben von Dominik Gührs. Der 28-Jährige führt ein Leben auf gepackten Koffern oder vielmehr langen Taschen - irgendwie muss das Wakeboard ja auch hineinpassen ins Flugzeug, als Sperrgepäck. Dreißig Kilo hat Gührs meist für seine beiden Bretter, die er an rund 200 Tagen im Jahr durch die Welt schleppt. Außer im vergangenen Jahr, da war er öfter zu Hause als ihm lieb war. Auch über Weihnachten und Silvester war Gührs, bester deutscher Wakeboarder, zweimaliger Weltmeister (2011 und 2015), daheim in München. Aber zu dieser Zeit ist das normal für Gührs, der inzwischen mit seiner Freundin in einer Wohnung im Lehel lebt. Gührs hat an den Festtagen und über den Jahreswechsel so viel Zeit wie sonst kaum mit seiner Familie, Weihnachten verbrachte er bei den Eltern in Sendling. Dort versammelte sich an Heiligabend die Familie, auch sein fünf Jahre älterer Bruder, bei Sauerkraut und Würstchen. Vormittags war Gührs noch Snowboarden im Zillertal, Hochfügen. Ein Brett braucht er sommers wie winters unter den Füßen.

Wenn man so will, ist das Snowboard sein Hobby. Und das Wakeboard sein Beruf. Ein Beruf, den der Münchner aber seit dem Sommer kaum mehr ausüben konnte. Ausgerechnet beim Munich Mash, dem alljährlichen Actionsportfest quasi direkt vor Gührs' Haustür im Olympiapark, passierte ihm das Malheur. Im letzten Trainingslauf setzte er einen Doppelsalto an, kam in der Luft ins Rudern und landete mit gestrecktem Knie auf dem Wasser. Es wurde durch die Kräfte bei der Landung durchgedrückt, schmerzte, der Mash war für Gührs gelaufen. Er dachte zuerst an einen Kreuzbandriss, die Diagnose ergab dann eine Impressionsfraktur am linken Oberschenkelknochen. Der Eindrückungsbruch kam wohl deshalb zustande, weil der Schienbeinkopf beim Aufprall zu sehr auf den Oberschenkelknochen gedrückt hatte. An der Innenseite bildete sich ein richtiger Krater, "es war so, wie wenn man eine große Delle in eine neue, noch feuchte Betonwand drückt", sagt Gührs.

Zwei Monate lang lief er an Krücken, "das war natürlich superätzend in diesem Megasommer, als alle Kumpels Spaß hatten und mit ihren Boards unterwegs waren", erzählt Gührs. Es war zugleich seine erste Verletzung seit vier Jahren, damals hatte er sich im WM-Finale die Zehen ausgekugelt, Blutgefäße waren geplatzt, es dauerte viele Monate, bis alles wieder einigermaßen verheilt war. Mit 13, noch wesentlich schlimmer, war ihm auf der Anlage in Aschheim nach einem Sturz ein nachfolgender Wakeboarder über den Kopf gefahren, Gührs hatte keinen Helm getragen - das Ergebnis: Schädelbasisbruch. Seither trägt er einen Helm. Und längst klebt die Werbung eines Getränkeriesen darauf.

Diese dritte schwere Verletzung ist auch ein Hinweis auf die Endlichkeit von Gührs' Spitzensport-Karriere, die ihn zwar nicht ins Rampenlicht geführt hat - dafür ist Wakeboarden noch immer zu sehr Nischensport - aber doch dahin, dass er sich seit vielen Jahren Profi nennen kann. Er bekommt ein Gehalt wie ein ordentlich verdienender Angestellter, nur dass er nicht im Büro oder im Auto sitzt, sondern auf einem Brett im Wasser steht. "Ich habe, denke ich, das Maximum erreicht an Sponsoren. Ich werde auch auf keinen Fall Millionär", sagt Gührs. Diese Grenze ist völlig okay für ihn. Die Sponsoren haben ihm ja auch den Rücken freigehalten im Sommer, als er verletzt war, er habe keinerlei Druck von ihnen gespürt.

Es ist aber auch so, dass sich die Wettkämpfe verändert haben.

Die Kurse auf den oft künstlich angelegten Seen, auf denen Fahrer wie Gührs mittels umlaufenden Liften ihre Kunststücke zeigen, seien schwieriger geworden, sagt Gührs. Die Sprünge über die Schanzen sind höher und animieren zu mehr Salti und Drehungen, außerdem sind die Rails, die die Profis mit ihren Boards entlangschlittern, nicht mehr breit wie Bierbänke, sondern mitunter schmal wie Treppengeländer. "Es wird immer schwieriger, herausfordernder. Das ist ja auch gut so, weil man dann immer neue Tricks erreichen kann", sagt Gührs. Immerhin: Mit einem "Toeside Backside 1080", bei dem man vom Kicker springt und sich dreimal um die eigene Achse dreht, sei man immer noch ganz weit vorne in der Wertung. Gührs hat ihn erfunden und noch 2011 als einziger Fahrer überhaupt beherrscht.

Im vergangenen Sommer hat Gührs sich dann doch recht zügig von seiner Impressionsfraktur erholt, auch weil er wie kaum ein anderer im Fitnessstudio arbeitet. Bis zu fünfmal pro Woche sind für ihn normal, pro Einheit drei bis vier Stunden. So erklärt sich auch sein Modellkörper, die Muskeln, die er auch braucht für die Wettkämpfe. In Schanghai beim Weltcup wurde er Dritter, quasi aus dem Stand. Von dort reiste er nach Mexiko, zur Weltmeisterschaft. Außerhalb Cancuns hatten sie auf einem künstlich angelegten See einen würdigen Parcours aufgebaut, "es waren viele Zuschauer da, das Fernsehen", erzählt Gührs. Und er wurde Dritter, fast ohne Training. Inzwischen ist Gührs bei solchen Wettkämpfen manchmal der älteste Starter. Und noch immer einer der besten.

Auch das liebt Gührs an seinem Sport, dieses Aufstehen, Zurückkommen, es sich selbst beweisen. Bei allem, was ihn auch nervt an seinem Leben, das er nie und nimmer eintauschen würde: In diesem Jahr hatte er gerade beim Reisen öfter mal Pech, seine Wakeboardtasche verschwand nach der Gepäckaufgabe mehrmals, wie in Schanghai, wo seine Boards erst nach einer Woche wieder auftauchten. In Litauen, wo er bei einem Wettkampf als Schiedsrichter im Einsatz war, verlor er vor dem Rückflug seinen Reisepass, verpasste den Flug und musste zum Konsulat, um sich neue Papiere zu besorgen.

Gührs sieht keinen Sinn darin, sich dann zu ärgern. Weil die Situation ohnehin dieselbe bleibt. Er ist in seinem Videoblog, in dem er aus aller Welt Fragen beantwortet, auch mal gefragt worden, warum er immer so gute Laune habe. "Ich mache das, was ich liebe. Überall auf der Welt. Und bezahlt werde ich auch noch dafür. Ich bin also der letzte Mensch, der schlechte Laune haben muss", sagte Gührs.

Vor sieben Jahren hat der Mann mit den schulterlangen, blonden Haaren der SZ mal erzählt, er könne sich vorstellen, bis zu seinem 28. Lebensjahr Wakeboardprofi zu sein. Jetzt ist er 28 - und sagt: "Ein paar Jahre gehen schon noch. Ich mache mir da keinen Stress." Mitte Januar bricht Gührs wieder auf nach Thailand, in seine zweite Heimat. Nicht etwa, um auf Ko Phangan die legendären Full-Moon-Partys mitzumachen oder vor Ko Tao nach Schildkröten zu schnorcheln. Er trainiert dann nahe Bangkok oder auf Phuket. Ohne Stress.

© SZ vom 05.01.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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