Volleyball:Zusammen wachsen

Lesezeit: 3 min

Nicht zuletzt dank eines gut aufgelegten Johannes Tille dominiert Herrsching das Bundesliga-Duell gegen Lüneburg beim klaren 3:0-Sieg.

Von Katrin Freiburghaus, Herrsching

Volleyball-Bundesliga ist in Herrsching momentan nicht das, was die meisten damit verbinden: laut, hitzig, fast immer in Überlänge. Die Tribünen sind leer. Das zweite Heimspiel der Saison am vergangenen Samstag gegen Lüneburg fiel zudem ungewöhnlich kurz aus. Die WWK Volleys fertigten ihre norddeutschen Gäste mit 3:0 (25:17, 25:17, 33:31) ab. Coach Max Hauser befand zufrieden, dass sein Team "in den ersten beiden Sätzen genau das gespielt hat, was wir wollten". Das deutliche Resultat stufte aber auch er als "überraschend" ein.

Zu Herrschings Wertvollstem wählte Gäste-Trainer Stefan Hübner Zuspieler Johannes Tille. Dass ein Zuspieler diese Rubrik gewinnt, passiert entweder im Fall von Ikonen wie Sergej Grankin bei den BR Volleys - oder meist dann, wenn die Angriffserfolge so gleichmäßig verteilt sind, wie sie es bei den Herrschingern gegen Lüneburg waren. Diagonalangreifer Jalen Penrose war Ende der Woche umgeknickt und wurde von Jonas Kaminski vertreten. "Mit Jonas spielen wir meist schneller, das hat unsere anderen Angreifer entlastet", sagte Tille. Kaminski und Außenangreifer Jori Mantha hatten so am Ende 13, Außenangreifer Tim Peter elf Punkte in der Statistik stehen; dicht gefolgt von Mittelblocker Djorde Ilic mit zehn. Wie groß der Anteil eines Zuspielers an einer so ausgeglichenen Mannschaftsleistung im Angriff tatsächlich ist, verrät die Statistik nicht explizit. Die handwerkliche Basis könne man messen, sagte Herrschings Scout und Co-Trainer Michael Mattes, "Genialität und Spielwitz nicht". Nach Großereignissen gibt es aufwendige Studien über die Besten der Welt zu Vorhersagbarkeit oder Präzision, unterhalb dieses Niveaus führen Zuspieler dagegen unter dem Radar der Scouts Regie. Sie sind in ihrer statistischen Unsichtbarkeit mit dem drittletzten Ballkontakt vor dem Tor im Fußball zu vergleichen: er ist essenziell, aber in keiner Rangliste erwähnt. Herrsching machte gegen Lüneburg fast keine Fehler im Angriff - das liegt aber immer sowohl am Zuspiel als auch am Angreifer.

Im Mittelpunkt: Zuspieler Johannes Tille (Nummer 6) und seine Herrschinger Kollegen gewannen die Partie gegen Lüneburg laut Trainer Max Hauser "überraschend deutlich“. (Foto: Nila Thiel)

Wie gut ein Zuspieler agiert, zeigt sich oft nur im direkten Vergleich mit dem Kollegen auf der anderen Netzseite. Das Duell mit seinem ehemaligen Mitspieler Leon Dervisaj gewann Tille am Samstag klar. Vor Wochenfrist hatte das gegen den 34-jährigen Dejan Vincic vom VfB Friedrichshafen noch anders ausgesehen. "Gegen dieses Weltklasse-Niveau hat man gesehen, dass Hannes noch nicht alles kann, sondern ein junger Spieler ist", sagte Hauser. Das sei "keine Schande". Aber es ist eben einer der Gründe dafür, dass es über den 23-Jährigen keine Studien, sondern lediglich die Einschätzung der Trainer gibt. Die Momente, in denen Tille gegen Lüneburg für jeden sichtbar auffiel, hatten wenig mit seiner Hauptaufgabe zu tun. Sein Bruder und Libero Ferdinand Tille stellte ihn zu Beginn des zweiten Satzes blockfrei - und er versenkte den Ball mit einem Angriffsschlag. "So etwas ist für alle Volleyball-Kenner ein Schmankerl", sagte Hauser. Mit drei Aufschlag-Assen, einem Blockpunkt und einem weiteren ins Lüneburger Feld gelegten Ball kam Tille auf immerhin sechs Punkte. "Aber darum geht es beim Angreifen nicht", betonte er, "ob ich in der Statistik zu sehen bin, ist mir egal - solche Bälle helfen mir, weil sie mich pushen".

Hauser gibt Tille auf dem Feld in jeder Hinsicht viele Freiheiten; im Grunde hat er sie ihm sogar von Beginn an aufgezwungen, als er ihn vor gut zwei Jahren bereits in seiner ersten Saison zum Kapitän ernannte. "Ich hab ihn in die Situation gebracht, damit er daran wächst", sagte Hauser, und fügte hinzu: "Hat er gemacht, aber es geht noch aktiver." Bei der Spielvorbereitung stellt Hauser Tille alle nötigen Informationen zur Verfügung und lässt ihn selbst eine Strategie entwickeln. "Das setzt Spielverständnis voraus", sagte Hauser, "und wenn ich als Trainer zu viel vorgebe, fördere ich diese Spielintelligenz nicht, sondern schränke sie ein."

Der 36-Jährige würde Tille gerne über die Saison hinaus halten, er passe "perfekt zu uns und ist im Grunde mit uns zusammen gewachsen". Unrealistisch ist das angesichts der coronabedingt chaotischen Lage in vielen internationalen Top-Ligen nicht. "So, wie das da momentan mit Hygiene-Konzepten und Corona-Fällen abläuft, wäre das einfach sinnlos", sagte Tille. Innerhalb der Bundesliga habe er zudem nicht vor, zu wechseln. Er und sein Trainer sind sich einig, dass das keine Verbesserung darstellen würde. In Berlin und Friedrichshafen ist die Position fest vergeben, alle anderen Vereine befinden sich auf Augenhöhe.

Somit ist Johannes Tille nach seinem Bruder Ferdinand womöglich der Nächste, an den man sich in Herrsching gewöhnen sollte. Krisensicherer als Zuschauerzahlen ist das allemal.

© SZ vom 16.11.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: