Volleyball:Vom Pech verfolgt

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Auch in der Diskussion mit den Schiedsrichtern stets ein Anführer seines Teams: Herrschings Kapitän Johannes Tille. (Foto: Kai Peters/Imago)

Herrschings Zuspieler Johannes Tille hat einen Vertrag beim französischen Klub Saint-Nazaire unterschrieben, der es allerdings nicht in die erste Liga schaffte. Auch die Pläne, sich im Nationalteam zu etablieren, liegen auf Eis - wegen eines Unfalls im Kraftraum.

Von Sebastian Winter, Herrsching

Für Johannes Tille ist der künftige Weg schon seit Februar klar gewesen. Damals unterzeichnete der Zuspieler, der seit drei Jahren das kreative Zentrum des Volleyball-Erstligisten WWK Volleys Herrsching ist, einen Vertrag beim französischen Klub Saint-Nazaire. Er wollte etwas Neues ausprobieren, ins Ausland gehen - und nahm dafür ein Risiko in Kauf, das damals minimal zu sein schien: dass sein künftiger Klub, ein ambitionierter Zweitligist, trotz zwischenzeitlicher Tabellenführung den Aufstieg in die erste Liga verpasst.

Genauso kam es aber nun, Saint-Nazaire verlor sein Playoff-Endspiel um den Erstliga-Aufstieg, Tille wird nun vom Tabellenvierten der Bundesliga zu einem französischen Zweitligisten wechseln. Dessen Verantwortliche hatten ihm bei der Vertragsunterzeichnung eine Rücktrittsoption im Falle des Nichtaufstiegs verweigert. "Das ist etwas blöd gelaufen", sagt der 24-Jährige, "aber es ist auch keine Vollkatastrophe."

Tilles Ziel war es ja, in die Ferne zu ziehen, dort auch neben dem Feld persönlich zu reifen. Außerdem gilt die französische zweite Liga als wesentlich stärker und professioneller als das deutsche Pendant. Und finanziell gesehen ist der Wechsel an die Atlantikküste auch nicht schlecht für Tille. "Die zahlen recht gut", sagt jedenfalls Max Hauser, sein bisheriger Trainer in Herrsching.

Tille ist Identifikationsfigur und einer der Publikumslieblinge in Herrsching

Für den Klub vom Ammersee, der den Wechsel am Dienstag via Instagram verkündete ("wir kommen mit einer traurigen Nachricht zu euch") ist der Verlust seines Strategen allerdings äußerst schmerzlich. Tille, der 2018 aus Solingen nach Oberbayern wechselte, war mit seinem Bruder Ferdinand, dem Libero, Identifikationsfigur und einer der Publikumslieblinge in Herrsching; vor seinen hammerharten Sprungaufschlägen fürchtete sich auch die Annahme von Ligagrößen wie Berlin oder Friedrichshafen.

Johannes Tille reifte in der heimischen Nikolaushalle zugleich zum Nationalspieler, hinter dem Stammsteller Lukas Kampa und Jan Zimmermann gilt er als eines der größten deutschen Talente auf seiner Position - trotz seiner für Volleyball-Verhältnisse nicht gerade riesenhaften Größe von 1,84 Metern. Im vergangenen Juli debütierte er in der Auswahl des Deutschen Volleyball-Verbandes (DVV). Ein weiteres Länderspiel kam hinzu, gerade war er wieder bei einem Lehrgang im Bundesleistungszentrum Kienbaum für die Nations League Ende Mai. Dort passierte ihm Ende der vergangenen Woche allerdings erneut etwas, das mit "blöd gelaufen" nur sehr unzureichend beschrieben ist.

Tille wird bis zu acht Wochen ausfallen - dabei hätte er gerade jetzt Spielpraxis gebrauchen können

Tille verletzte sich beim Kurzhantelstemmen schwer, als er sich drei Finger in dem schweren Gerät einquetschte. Das Resultat: aufgeplatzte Kuppen, zersplitterte Knochen, offener Trümmerbruch mit anschließender Operation, voraussichtlich sechs bis acht Wochen Pause. Bewegen soll er sich erst einmal so wenig wie möglich, bis die Nähte gezogen sind, die Nations League wird er nun verpassen. "Nicht der beste Zeitpunkt", sagt Tille lapidar, "ich bin nicht so happy." Man kann auch wirklich nicht sagen, dass er gerade eine Glückssträhne hat, die Spielpraxis bei der Nationalmannschaft hätte Tille auch für diesen Sommer gut gebrauchen können. Nicht nur wegen Saint-Nazaire, sondern vor allem wegen der Vorbereitung auf die Europameisterschaft, die Anfang September in Polen, Tschechien, Finnland und Estland stattfindet.

Immerhin bekommt Tille ein paar tröstende Worte von seinem ehemaligen Klub, der im vergangenen Winter seinen Vertrag schon verlängert hatte, allerdings mit einer Ausstiegsklausel, die der Zuspieler dann im Februar wegen des Angebots aus Frankreich zog (und die seinem Klub eine kleine Ablöse einbrachte): "Hannes war einer meiner Lieblingsspieler, jetzt kann ich es ja sagen. Er hat vorbildlich trainiert, wurde auch deshalb schon sehr jung unser Kapitän. Ich hätte ihn gerne behalten", sagt Herrschings Trainer Hauser, der allerdings auch nicht der Typ ist, Spielern nachzutrauern, die es zu neuen Klubs zieht.

Vielmehr hat der ambitionierte Bundesligist, der in der beendeten Saison hauchdünn das Pokalfinale verpasst hatte und im Playoff-Viertelfinale stand, schon guten Ersatz gefunden. Dem Vernehmen nach ist es kein junger Deutscher, sondern ein eher erfahrener Ausländer, der schon häufig gegen die Herrschinger gespielt hat und um einige Zentimeter größer ist als Tille. Der Klub hält sich zu der Personalie noch bedeckt, Hauser sagt aber: "Wir haben meinen Wunschzuspieler bekommen." Einen, der die Bälle ähnlich schnell zu den Außenangreifern pritschen kann; der vielleicht noch etwas höher greift im Block. Und der gerade womöglich ein wenig mehr Glück hat als Johannes Tille.

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