Volleyball:Mauer aus Mississauga

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Bester Blocker in Finnland, jetzt bester Blocker in Deutschland: Der Kanadier Andre Brown ist in Herrsching in kurzer Zeit zu einem Publikumsliebling geworden. Weil er auf unkonventionelle Art Spektakel bietet. (Foto: Oryk Haist/imago)

Andre Brown führt den TSV Herrsching mit Silberkette, Seitenscheitel und ausuferndem Selbstbewusstsein zum 3:1-Erfolg in Rottenburg - und erweitert die Angriffstaktik.

Von Sebastian Winter, Rottenburg/Herrsching

Hans-Peter Müller-Angstenberger hat nicht nur einen erstaunlich langen Namen. Der Religionslehrer wird auch noch "Hexer" genannt. An der Seitenlinie verwandelt sich der ansonsten sehr besonnene Trainer des TV Rottenburg in eine hyperventilierende Furie. Wenn es auf dem Feld nicht läuft, macht er auch mal Liegestütze vor der Haupttribüne. Müller-Angstenberger ist seit gut zehn Jahren einer der schillerndsten Trainer der Volleyball-Bundesliga. Er liebt die Unangepassten und hat einen Blick für eher nicht alltägliche Figuren. Es war also keine Überraschung, dass er bei der obligatorischen Wahl zum Mann des Spiels Herrschings Mittelblocker Andre Brown kürte.

"Wir haben da einen Gockel drin, einen ,cool boy', der eher drei Prozent drüber ist", sagt Bugl

Brown, gut gegelter Seitenscheitel, mächtige Silberkette, Brillant im linken Ohrläppchen, immer am Kaugummi kauen, hatte beim aufs Heftigste erkämpften 3:1 (25:16, 23:25, 25:23, 29:27)-Erfolg am Mittwoch beim Vorletzten Rottenburg nach mehr als zwei Stunden Spielzeit fast alle Statistiken auf seiner Seite. Dem 27-jährigen Kanadier aus Mississauga, Ontario, gelangen sieben von zehn direkten Herrschinger Blocks, er schlug alleine drei von sechs TSV-Assen. Mit seinen zehn erfolgreichen Angriffen kam Brown auf insgesamt 20 Punkte, so viele wie keiner seiner Teamkollegen. Als Mittelblocker - gemeinhin eher ein Nebendarsteller im Volleyball-Angriffsspiel - ist das ein ganz erstaunlicher Wert. "Ohne ihn hätten wir das Spiel nur sehr schwer oder gar nicht mehr herumgerissen", glaubt Herrschings Marketingmanager André Bugl.

Neben Tom Strohbach, der ganz entscheidende Angriffe gegen seinen Ex-Klub verwandelte, wie einen Netzroller am Ende des vierten Satzes, war Brown nach anfänglichen Problemen vor allem der Mann, der die Gäste ins Spiel zurückbrachte, als es ihnen schon fast entglitten war. Nach einem zwischenzeitlichen 4:9-Rückstand wurde er plötzlich zur unüberwindlichen Mauer für Rottenburgs Angreifer um den so starken Tim Grozer. Dreimal hintereinander blockte er sie herunter, die Schwaben führten nur noch 11:10 - und waren verunsichert. Es war ein Wendepunkt in dieser Partie. "Insgesamt gefällt es mir, dass wir daran glauben, so einen Satz drehen zu können, auch wenn wir durchwachsen spielen", sagte Herrschings Trainer Max Hauser nach dem Arbeitssieg. Eines fällt auch auf: Seit sie Brown und den zweiten Mittelblocker Wilhelm Nilsson haben, ist das Spiel über die Mitte ein wesentliches taktisches Mittel für den TSV. Früher war es eher nur Zusatzoption.

Brown, 2,06 Meter groß, 104 Kilogramm schwer, steht für genau diesen neuen Glauben, der die Herrschinger in dieser Saison auszeichnet. Vor zwei, drei Jahren hätte Hausers Mannschaft ein Spiel wie in Rottenburg wohl 1:3 verloren. Jetzt ist sie Fünfter, vor ihr liegt nur noch das Spitzen-Quartett aus Friedrichshafen, Berlin, Frankfurt und Düren. Sollte sie das Spiel beim Sechsten Lüneburg am Samstag gewinnen, würde sie diesen Platz verteidigen. Für die Playoffs wäre es eine ideale Ausgangssituation. Für Brown sowieso, diesen Mann, der oft so aufreizend lässig auf dem Feld herumstolziert - und an dem sich auch die Geister scheiden.

Nachdem er in der Vorsaison in Finnland bester Blocker war, hatte er sich genau das auch in Herrsching vorgenommen. Aktuell führt er die Liga tatsächlich mit den meisten erfolgreichen Blocks an. Sein Management hat kürzlich schon Browns Highlights aus der Hinrunde in den sozialen Medien gepostet, beim Klub am Ammersee ist man sich bewusst, dass man da ein "Riesenjuwel" (Bugl) verpflichtet hat, auf das längst die Scouts aus Berlin und Friedrichshafen aufmerksam geworden sind. "Er hat eine unheimliche Wirkung und kann eine ganze Halle in Bewegung versetzen. Das ist eine große Gabe", sagt Trainer Hauser über ihn. Beim Einlaufen hat er oft nicht nur eines, sondern gleich drei Kinder an der Hand. Sein Trikot wird langsam zum Verkaufsschlager, auch wenn jenes von Libero Ferdinand Tille noch das populärste ist. Und immer, wenn der Muskelmann Brown bei Heimspielen punktet, spielen sie Mickie Krauses Ballermann-Hit "Biste braun, kriegste Fraun". Was sich dann anhört wie "Mr. Brown, Mr. Brown". "Wir haben da einen Gockel drin, einen cool boy, der eher drei Prozent drüber ist. Aber nur mit Browns würde es auch nicht funktionieren", sagt Bugl.

Denn Brown ist bei allen Statistiken nicht unfehlbar. Manchmal bolzt er die Bälle meterweit ins Aus, in Rottenburg setzte er einen Lob unbedrängt ins Seitenaus, insgesamt ist er noch zu unflexibel. Mit seiner emotionalen Art besteht auch immer die Gefahr, dass er das Team in einen Abwärtsstrudel zieht. Im Block hat Brown auch noch viel Potenzial, zu oft trifft er noch die falsche Richtungsentscheidung oder hat Timingprobleme. Und ein kleiner Schussel ist er offensichtlich auch. Zweimal vergaß er schon sein Auswärtstrikot, in Frankfurt machten sie aus der Nummer 17 dann mit Tape einfach Browns 18, in Königs Wusterhausen fuhr ihm TSV-Teammanager Fritz Frömming das Jersey hinterher. "Und die Hosen, die er drunter hat" - Frömming meint Browns graue Leggings - "die dürfte er eigentlich gar nicht tragen."

Irgendwie passen sie zu Andre Brown, diese Hosen, die kein anderer anzieht.

© SZ vom 26.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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