Volleyball:Kettensäge zwischen den Zähnen

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„Ja, sind wir denn bekloppt, sind wir völlig irre?“: Mittelblocker Andre Brown (im Angriff) überzeugt als einer der wenigen Herrschinger und wird gegen Solingen zum wertvollsten Spieler gewählt. (Foto: imago/Oryk HAIST)

Zeit, auszurasten: Herrschings Volleyballer müssen sich für ihre Leistung beim 3:1 gegen Schlusslicht Solingen eine "vernichtende Einzelkritik" ihres Trainers anhören.

Von Sebastian Winter, Herrsching

Als alles vorbei war, positionierte sich Max Hauser vor die Haupttribüne der diesmal längst nicht ausverkauften Nikolaushalle und begann mit seiner ganz persönlichen Weihnachtsansprache an die vielleicht 800 Fans. "Ja, sind wir denn bekloppt, sind wir völlig irre? Wir müssen nicht glauben, dass wir nach diesen Erfolgen jeden einfach so weghauen", rief Herrschings Trainer dem Publikum zu. Seine nach dem sehr, sehr hart erarbeiteten 3:1 (22:25, 25:22, 25:22, 25:23)-Erfolg der Volleyballer gegen das punktlose Schlusslicht Solingen sehr, sehr heisere Stimme verlieh der Rede noch ein wenig mehr Dramatik.

Hauser meinte die Ligaerfolge gegen Lüneburg und Unterhaching und vor allem die Siege im Pokal-Achtelfinale in Unterhaching und im Viertelfinale bei Meister Berlin - letztere jeweils nach 0:2-Satzrückstand. Vor allem in Berlin hatten die Oberbayern eine heroische Underdog-Geschichte geschrieben, und dabei erstmals überhaupt den Ligakrösus der vergangenen Jahre bezwungen. Das alles war im November. Und dann? Dann seien die Ansprüche gestiegen, bei den Fans, Medien, Sponsoren, im Team, quasi überall. "Und dann verlierst du das Pokal-Halbfinale 1:3 in Bühl, was in Ordnung ist, die haben den doppelten Etat von uns. Einige Spieler sind kurz vor dem Heulen, was auch in Ordnung ist", sagte Hauser lange nach dem Solingen-Spiel in einer Umkleidekabine. Aber die Erwartungshaltung sei eben gewesen, ins Pokalhalbfinale einzuziehen. "So läuft man in eine Kettensäge", sagt Hauser, "jeder wird davon infiziert. Da platzt mir irgendwann der Kragen. Wir müssen die Kirche doch auch mal im Dorf lassen."

Und so wurde dieses letzte Spiel vor Weihnachten, das von Herrschings Trainerteam nach dem Pokal-K.o. auch als Charaktertest ausgerufen worden war, zu etwas noch Grundsätzlicherem: Letztlich ging es Hauser darum, alles wieder etwas einzunorden am Ostufer des Ammersees. Nicht nur die Mannschaft, sondern auch die Erwartungen an einen Klub, der vor vier Jahren noch in der dritten Liga spielte, vor einer Handvoll Fans.

"Dass wir heute gewonnen haben, war völlig unverdient", sagt TSV-Trainer Max Hauser

Es ruckelte und zuckelte an diesem aufreibenden Abend gegen Solingen, nicht nur, weil kurz vor Spielbeginn die Netzantenne beim Einschlagen kaputt ging und es beim Einmarsch des Königs technische Probleme gab. Herrsching mühte sich, aber Solingen spielte besser, über weite Strecken der Partie. Am Ende des ersten Satzes spielte Außenangreifer Tom Strohbach unglücklich, ein Fehlaufschlag von Zuspieler Michal Sladecek brachte die Führung für die Gäste, die nur im zweiten Satz eine etwas schwächere Phase hatten. Ansonsten leitete Zuspieler Johannes Tille seine Hauptangreifer Samuel Boehm und Ossi Rumpunen hervorragend an, während Tilles Bruder Ferdinand bei Herrsching immer unruhiger wurde. Netzfehler, Abstimmungsfehler, Aufschlag- und Angriffsfehler: Der TSV spielte nicht, sondern würgte sich eher durch die Partie. "Es ist mir fast peinlich, wie wir blocken. Eine Katastrophe, da ist der Trainer schuld", sagte Hauser, der Trainer, und schloss: "Dass wir heute gewonnen haben, war völlig unverdient. Wir können das Spiel auch ganz locker 1:3 verlieren."

Hauser versammelte sein Team nach der Partie für eine längere Sitzung in der Umkleidekabine, auch dort verbreitete er eher keine festlichen Botschaften: "Ich habe jedem Spieler vor der Mannschaft eine brutale, vernichtende Einzelkritik gegeben, auch wenn ich das nicht mag", sagte Hauser. Ihn hatten die vergangenen Wochen derart genervt, dass er auch in der Kabine endlich Dampf ablassen wollte. "Jetzt war der richtige Zeitpunkt, auszurasten, die Führungsspieler zu kritisieren."

Mit Ausnahme vielleicht vom kanadischen Mittelblocker Andre Brown, der gegen Solingen zum wertvollsten Spieler gekürt wurde, in fast jedem Spiel seine Leistung bringt und noch dazu dem TSV als einer der wenigen Antreiber gut tut, und Christoph Marks, der gegen Solingen eine sehr überzeugende Leistung bot und 24 Punkte machte, so viele wie niemand sonst auf dem Feld. Der zwischenzeitlich der Verzweiflung nahe Strohbach hatte sich übrigens im Lauf des Spiels wieder erholt. Seine am Ende stark verbesserten Angriffe und Aufschläge waren ein Schlüssel für Herrschings Erfolg gegen Solingen, das im vierten Satz schon 22:18 geführt hatte und kurz vor seinem ersten Punktgewinn überhaupt in dieser Saison stand.

Am Ende hatte der TSV Herrsching den Charaktertest gerade so bestanden, in einem furiosen Finale: Der reife TSV-Zuspieler Michal Sládecek wehrte einen Angriff derart gekonnt ab, dass der Ball in hohem Bogen ins hinterste Eck der Solinger Feldhälfte plumpste. Danach ging es zur Weihnachtsfeier, mit Hausers klarem Auftrag: "Es ist jetzt Zeit, die Erfolge zu feiern." Nach dem Besuch des Tollwood-Festivals am Dienstag ist wieder Training, jeden Tag. Womöglich auch Heiligabend, wenn es nicht läuft. Am 27. Dezember wartet ja in Düren der nächste Favorit auf den Tabellensiebten.

© SZ vom 18.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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