Süddeutsche Zeitung

Volleyball:Halbstarke, die nach den Sternen greifen

Drittligist Dachau bietet Lüneburgs Profis im Pokal trotz des 0:3 ein großartiges Duell. 700 Zuschauer sind begeistert, Baumeister Wolf hat feuchte Augen.

Von Sebastian Winter, Dachau

Josef Wolf, den sie nur Sepp nennen, schritt noch einmal durch die Halle, als alles um ihn herum schon abgebaut wurde. Wer in seine Augen blickte, der sah, dass sie glänzten, ja strahlten. Er sah darin: Rührung. Und puren Stolz. Wolf ist ein Urvater von Dachaus Volleyballern, er hat den ASV einst in die erste Liga gecoacht, den SV Lohhof in der Bundesliga trainiert, und auch in Italien, dem einst gelobten Land des Volleyballs, sein Wissen weitergegeben. Vor allem, und vielleicht ist dies Wolfs größtes Vermächtnis beim ASV, den er im Sommer in Richtung des Erstligisten Herrsching verlassen hat, wo er nun Co-Trainer ist, hat er seit 2010 eines der erfolgreichsten Jugendprojekte Deutschlands geformt. Eine Mannschaft, die fast alles bei den Junioren gewonnen hat, was es zu gewinnen gibt auf nationaler Ebene; die jahrelang ungeschlagen war, ein verschworener Haufen Halbstarker.

Diese Halbstarken, die mittlerweile in der dritten Liga spielen, hatten am Dienstagabend den Glanz in Wolfs Augen und ein Strahlen in viele Gesichter der mehr als 700 Zuschauer gezaubert. Im Pokal-Achtelfinale hatten sie Erstligist Lüneburg zu Gast, Vollprofis mit Trainer Stefan Hübner, dem einstigen Weltklasse-Volleyballer und 245-maligen Nationalspieler. Sie verloren, natürlich verloren sie, mit 0:3 (15:25, 14:25, 25:27). Aber im dritten Satz fehlten nur Nuancen, um den großen Favoriten zu düpieren. Beim 24:24 musste Hübner seine erste Auszeit nehmen - allein das adelt Dachaus Talente. "Sie haben nach den Sternen gegriffen", sagt Wolf.

"Die waren so stark, wir konnten ja gar nichts anderes machen, als schlau zu spielen."

Mehr als 700 Zuschauer wollten sich das Spiel in der fast vollen Georg-Scherer-Halle ansehen, ein Rekordwert, seitdem die Erstligazeiten vor knapp 13 Jahren in der Insolvenz endeten. Und wann hat es das zuletzt in Dachau gegeben, dass der Hallensprecher mehrere Fans bitten musste, ihre Autos umzuparken, weil sie andernfalls abgeschleppt würden? Der Glanz aus den Neunzigern, mit zwei Meistertiteln, einem Pokalsieg und dem Einzug ins Champions-League-Finale verblasst längst samt Pokalen und Urkunden in staubigen Vitrinen in der Halle. Vor eineinhalb Jahren stieg der ASV aus der zweiten Liga ab, viele Werbebanden blieben auch gegen Lüneburg blank. Doch der Dienstag taugte dazu, die alten Zeiten für einen Abend aufleben zu lassen. "Toll, dass wir es schaffen, wieder Begeisterung auszulösen", fand Wolf.

Im ersten Satz hielten Dachaus Talente bis zum 8:9 bravourös mit, im zweiten zog Lüneburg erst mit der 11:10-Führung davon. Zwischendurch setzte Dachau immer wieder Glanzpunkte gegen die im Schnitt 1,97 Meter langen Profis aus dem hohen Norden - gegen die die ASV-Talente mit ihrem Mittelwert von nicht einmal 1,90 Metern allein schon körperlich völlig unterlegen waren. Sie setzten viel dagegen: Die so starke Annahme von Luis Klimpe, Blocks von Fabian Bergmoser, Angriffe von Konstantin Luber oder Vincent Graven - alle übertroffen von den herausragenden Attacken Simon Pfretzschners, des jüngsten und zugleich mit Abstand stärksten Spielers in ihren Reihen.

Der 1,88 Meter kleine, aber mit einer gewaltigen Sprungkraft und viel Spielwitz gesegnete Schüler schlug Blockern wie Lüneburgs 2,10-Meter-Hünen Noah Baxpöhler die Bälle respektlos nur so um die Ohren, was selbst Lüneburgs Trainer Hübner beeindruckte: "Ein interessanter Volleyballer, er kann annehmen, das Spiel gut lesen, ist mutig. Die Frage ist, ob seine körperlichen Voraussetzungen für ganz oben reichen." Aber es ist ja schon mal nicht das Schlechteste für einen 15-Jährigen, von einem gelobt zu werden, der fast alles gesehen hat in der Volleyballwelt. Überhaupt gefielen Hübner die ASV-Junioren - immerhin acht aus dem Zwölfer-Kader sind unter 18: "Dachau ist eine typische bayerische Jugendauswahl: Klein, spielintelligent, mutig, sie hatten tolle Aktionen." Pfretzschners Kommentar zu dieser Hymne ist wohl der perfekte Ausdruck des Selbstverständnisses dieser Mannschaft: "Die waren so stark, wir konnten ja gar nichts anderes machen, als schlau zu spielen."

ASV erhält Grünes Band

Der ASV Dachau erhält einen renommierten Ausbildungspreis: Dem Klub wurde am Dienstag in einer Pause während des Pokal-Achtelfinales das "Grüne Band für vorbildliche Talentförderung" verliehen. Der wichtigste deutsche Nachwuchspreis wird seit 1986 jährlich vom Deutschen Olympischen Sportbund und der Commerzbank ausgelobt und ist mit einer Förderprämie von 5000 Euro dotiert. Der ASV bekommt ihn für seine nachhaltig erfolgreiche Jugendarbeit. Seine Volleyball-Junioren haben in den vergangenen Jahren deutsche Meistertitel in Serie gewonnen. sewi

Alle überzeugten sie, auch Zuspieler Benedikt Sagstetter, der glänzend Regie führte - und immer wieder Pfretzschner: Ob sein sehr frecher, kurzer Driveschlag über den Dreierblock in Lüneburgs Feld (zweiter Satz; 5:7), Schläge am Block vorbei oder gar über ihn hinweg oder sein Ass zum 4:2 im dritten Satz - es gelang fast alles. Was seinen Mentor Sepp Wolf nicht einmal verwunderte: "Simon kann Flickflack, vom Zehnmeterturm jeden Sprung und hat Athletikwerte, die sind vom anderen Stern."

Ihrem Trainer Dominik von Känel, gewissermaßen Wolfs Ziehsohn, gingen auch irgendwann die Superlative aus. Ganz am Ende sagte er aber noch einen entscheidenden Satz: "Den Simon kriegen wir schon wieder eingenordet." Der Alltag kommt ja wieder, das Drittliga-Spiel in Oelsnitz am Samstag. Und über allem steht die entscheidende Frage: Bleibt diese Mannschaft zusammen, auch nach der Schule?

Gut möglich, dass Pfretzschner bald seinem Bruder Lukas ans Leistungszentrum nach Berlin folgt, dass auch andere dieser goldenen Generation den Klub verlassen. Es ist der Lauf der Dinge im Ausbildungsverein, dessen ergraute Profis von einst den Talenten gegen Lüneburg vom Rand aus applaudierten. "Auch ich muss jetzt loslassen können", sagte Wolf, während Pfretzschner noch aufräumte und dann nach Hause ging. Er konnte ein wenig Schlaf gut gebrauchen, in der Nacht vor seiner vierstündigen Deutschklausur.

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Quelle:
SZ vom 09.11.2017
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