Süddeutsche Zeitung

Volleyball:"Es ist immer wieder ein Höllenritt"

Trainer Max Hauser geht mit Herrschings Volleyballern in sein fünftes Erstligajahr. Gefühlt seien es 20, sagt er. Ein Gespräch über Actiontypen, Entenärsche und die fehlende Halle.

Interview von Sebastian Winter

Herrschings Volleyballer sind Verwandlungskünstler, das haben sie schon oft bewiesen, seit sie 2014 in die erste Liga aufgestiegen sind. Ihr Hallensprecher läuft als König herum, ihre Halle wird fast immer zum Hexenkessel. Nun haben sie in Ferdinand Tille und Tim Peter nur zwei Spieler halten können und dafür neun Neue verpflichtet. An diesem Wochenende spielen sie zum Heimauftakt gleich doppelt, gegen Giesen (Sa. 19 Uhr) und den VC Olympia Berlin (So. 16 Uhr) - und unter neuem Namen: WWK Volleys.

SZ: Herr Hauser, Aufsteiger Giesen und die Talentschmiede VC Olympia Berlin, das liest sich auf dem Papier nach zwei Pflichtsiegen zum Heimdebüt.

Max Hauser: Und ich prophezeie, das wird ein megaschweres Wochenende. Giesen wird am Ende garantiert nicht hinten stehen in der Liga. Das wird am Samstag einen Fight geben, ein ganz wichtiges Spiel. Ich bin froh, dass wir ihn daheim haben, vor den eigenen Leuten. Der VCO Berlin ist stark wie nie zuvor, die haben drei, vier Talente, die ich auch gerne hätte.

SZ: Sie müssen zugleich auf Ihren vielversprechenden russischen Außenangreifer Artem Sushko verzichten, der noch vor dem ersten Pflichtspiel in Bühl (2:3) von einem südkoreanischen Profiklub aus seinem Zweijahresvertrag heraus gekauft wurde. Schon mal so etwas erlebt?

Nein, das ist so untypisch für Volleyball, völlig anormal. Sushko verdient bei Suwon in Südkorea pro Monat das Vierfache dessen, was er bei uns im ganzen Jahr bekommen hätte. Wir wollten ihn nicht abgeben, er war mein bester Einkauf bisher. Menschlich der Wahnsinn, spielerisch mit riesen Potenzial und noch dazu mit einem Zweijahresvertrag ausgestattet. Er selber war total happy hier, sein Baby hat mit meinem Baby in der Spielgruppe gespielt, innerhalb einer Woche waren sie akklimatisiert. Und dann kam der Anruf aus Südkorea.

Waren es harte Verhandlungen? Die Rede ist von einer gut fünfstelligen Summe.

Verhandlungen? Sie haben gesagt, wir kaufen ihn raus. Ich habe ihnen irgendwelche astronomischen Summen genannt und die nochmals verdoppelt. Ich fand, ich hab es sehr weit getrieben, das war schon fast frech. Das hat sie aber nicht interessiert. Die haben Geld und ihn halt rausgekauft. Für seine Frau war's blöd, die hat sich bei meiner Frau eine halbe Stunde ausgeweint, als sie gehen mussten. Aber was soll er machen? Er verdient dort so viel Geld, wie er in seinem Leben nicht mehr verdient. Die interessantere Frage ist aber, ob er nach der Saison in Südkorea noch laufen kann. Die trainieren dort drei mal drei Stunden am Tag, die meisten Spieler kommen verletzt oder kaputt nach Hause zurück. Und wir gehen jetzt mit einem satten Plus aus der Nummer raus. Es ist ja doch auch ein Geschäft.

Wie finden Sie Sushkos Ersatzmann, den Kolumbianer Humberto Machacon?

Ich habe den Sommer über gefühlt 100 Stunden Volleyball geschaut, um Sushko zu finden. Innerhalb von ein, zwei Tagen finde ich nicht den gleichen Spieler noch einmal. Humberto ist menschlich super, er ist aber ein ganz anderer Spielertyp. Ich wollte einen sehr hohen, angriffs- und blockstarken Profi haben. "Macha" ist eher ein Typ wie mein anderer Außenangreifer Tim Peter: Gut, aber nicht auf 3,50 oder 3,60 Meter Abschlaghöhe wie Sushko. Jetzt haben wir den besten Angreifer verloren. Und mein stiller und heimlicher Gedanke, "wir hacken jetzt alle weg", geht jetzt vermutlich nicht mehr auf.

Was bedeutet das für Ihre Ligaziele?

Das bedeutet, ich möchte erst einmal die Klasse halten. Ich muss sagen: Wir gehen jetzt ins fünfte Erstligajahr - und für mich fühlt es sich an wie 20. Es ist immer wieder ein Höllenritt. Jedes Jahr gibt es Sachen, bei denen man denkt, das gibt es nicht, das passiert doch keinem. Wie jetzt bei Sushko. Aber wir haben eine sehr intelligente Mannschaft dieses Jahr.

Inwiefern?

In Alpar Szabo und unserem neuen Kapitän Lukas Bauer habe ich zwei unheimlich spielfähige Mittelblocker. Sie können abwehren, zuspielen, den gegnerischen Zuspieler lesen. Im Angriff müssen sie was tun, aber das ist Handwerk, keine Zauberei. Johannes Tille ist ein hervorragender erster Zuspieler, sobald er nach seiner Verletzung fit ist. Vielleicht spielt er ja sogar am Wochenende. Und Leon Dervisaj ist ein sehr fleißiger zweiter Zuspieler. Und auf der Diagonalposition habe ich zwei mit großem Potenzial, die ich erst ausbilde. Nicholas West hat beim 2:3 in Bühl vor einer Woche zum ersten Mal auf dieser Position gespielt. Kurzum: Ich habe einen viel solideren, ausgeglicheneren Kader als zuvor.

Wie machen Sie nun aus neun neuen Profis eine funktionierende Einheit? Sie sprechen ja gerne von der chemischen Formel.

Ich verfolge einen so genannten Actiontype-Ansatz. Jeder Spieler hat bei mir sein eigenes Profil, weil es ganz unterschiedliche Aktionstypen gibt. Das hat verkürzt gesagt viel mit der Körperachse zu tun, wie man den Ball schlägt. Wenn ich mich hernehme, leichter Entenarsch, mein Handgelenk klappt beim Schlag grundsätzlich nach rechts: Ich bin nach diesem Ansatz ein sogenannter Topwalker. Es gibt auch das Gegenteil, den Bottomwalker, Tim Peter ist so ein Fall. Diese Typen brauchen andere Kraftpläne, genauso brauchen sie unterschiedliche Techniken.

Und die mentale Komponente?

Ich versuche, die Spieler auch psychisch genau zu kapieren. Mit manchen muss ich viel reden, manche mögen es aber überhaupt nicht, korrigiert zu werden. Die muss man manchmal auch ein bisschen bescheißen, indem man etwas lobt, was im Spiel oder Training gar nicht so da war.

Welche Typen gibt es da im Team?

Ferdinand Tille zum Beispiel: ein hypermobiler Typ, unglaublich beweglich. Aber mental ist er ein spezieller Fall. Ferdl ist nicht der Libero, der jedem noch so unerreichbaren Ball hinterherhechtet, um zu zeigen, dass er sich im Training anstrengt. Wenn man als Trainer nicht genau weiß, wie er tickt, kann man auch Probleme mit so einem Spieler bekommen. Ich lasse die Tille-Brüder gerne in den Aufwärmspielchen gegeneinander spielen, da geht es dann ab wie noch nie.

Ihr umfunktionierter Diagonalmann Nicholas West wirkte schon gegen Bühl wie einer, der am liebsten auf dem Feld sein Trikot zerreißen würde.

Nick ist sehr extrovertiert, der kommt bei uns auf jedes Plakat. Wir überlegen uns, eigene Kurzfilmchen zu machen, weil er so unterhaltsam und witzig ist. Aber er hat auch Probleme damit, korrigiert zu werden. Ein totaler Bottomwalker, alles geht nach links, das Handgelenk, die Schläge, die andere Seite musst du sehr trainieren. Einen von der Sorte habe ich sehr gerne im Team, auch zur Auflockerung. Aber natürlich keine zehn, dann wirst du verrückt. Der andere, Griffin, ist ein sehr stiller, introvertierter Brummelbär-Typ. Der schimpft sich ständig selber, ich habe das mal mit der Uhr gemessen beim Testspiel: Acht Sekunden hat der sich selber geschimpft nach einem Fehler. Acht Sekunden!!!

Und wie korrigieren Sie solche Spieler?

Bei Griffin muss ich eher schauen, dass er schneller ins Positive kommt, bei Nick, dass er analytischer wird. Das ist viel Arbeit, manchmal umsonst, aber die Art und Weise, wie man heutzutage coachen sollte. Übrigens trainieren wir noch mehr, mittags gehen die Spieler zwei- bis dreimal pro Woche direkt nach dem Krafttraining in die Halle. Das habe ich mir vom VfB Friedrichshafen abgeschaut.

Als Sie 2017 bei Vital Heynen, der inzwischen mit Polens Männern Weltmeister geworden ist, hospitiert haben?

Ja. Er geht unheimlich simpel vor und schafft es, etwas unheimlich Komplexes in etwas völlig Simples zu verwandeln. Sein Training ist immer gleich, der organisatorische Ablauf auch. Das ist die große Kunst.

Auch Berlins Ex-Trainer Roberto Serniotti haben Sie über die Schulter geschaut.

Seine Spielanalyse ist beeindruckend analytisch, dieses Schema hatte ich nicht, wie er den Gegner seziert. Es ist aber auch unheimlich aufwendig, jetzt müssen mein Scout und Co-Trainer deutlich mehr arbeiten. Aber auch da habe ich gelernt. Ich bin ja ein induktiver Mensch. Das heißt, ich gehe nicht mit einem Plan in die Dinge rein. Sondern ich probiere das aus, analysiere und lerne dann daraus.

Sie sind Erstligatrainer, Jugendcoach, machen Beachvolleyball-Camps, nebenher arbeiten Sie in Gilching als Gymnasiallehrer. Vor allem sind Sie einer von drei Mitgesellschaftern der GmbH, in die die Profis ausgelagert sind. Wie viel Geld haben Sie bisher ins Unternehmen gesteckt?

Ich weiß das schon genau.

Eine sechsstellige Summe?

Sicher. Aber wir wissen jetzt schon, dass wir nach diesem Jahr auf zwei Beinen stehen und nicht mehr irgendwelchen Schulden hinterherrennen. Wir wollen wirtschaften und bilden uns auch ein, dass wir es schaffen können. Die WWK, McDonalds, so große Partner hat keiner in der Liga, außer Friedrichshafen. Aber natürlich liegt auch da der Casus knacksus in der Halle.

Zugleich hat der Herrschinger Gemeinderat die neue Multifunktionsarena, die die zu kleine Nikolaushalle ersetzen soll, zu den Akten gelegt. Und das Verhältnis zu Bürgermeister Christian Schiller (parteilos) ist schon länger ziemlich unterkühlt.

Unter dem aktuellen Bürgermeister glaube ich nicht, dass wir in Herrsching eine Halle kriegen. Und wenn wir beim Hallenthema nicht weiterkommen, kann es passieren, dass wir 2020 nicht mehr erste Liga spielen. Wir haben ja alles in der Schublade, die komplett fertige Halle samt Gelände. Aber keinen Gesamtbebauungsplan. Da muss das Gymnasium hin und die Halle. Das was aktuell geplant wird - mit dem Gymnasium samt Schulturnhalle am anderen Ende der Stadt Richtung Mühlfeld -, ist für uns trainingstechnisch toll, aber strategisch gesehen unklug. Und gar keine Halle ist auch schlecht.

In München fordert die SPD eine bislang fehlende Sporthalle für rund 3000 Zuschauer im Olympiapark. Die Geschäftsführerin des ESV München sagt, eine solche Halle auf ihr Gelände in Laim stellen zu können. Interessiert?

Na klar. Größere Hallen halte ich für Quatsch. Aber eine mittelgroße Halle kann man füllen, und zwar mit verkauften und nicht etwa verschenkten Tickets. Das ist der richtige Weg für Volleyball. Das ist auch eine Nische, die sich finanziell, kulturell und gesellschaftlich lohnt - und für die SPD vielleicht auch Wählerstimmen bringt (lacht). So etwas muss die Stadt München bauen. Und zu Laim - würden wir sofort machen!

Diese Saison müssen Sie zugleich in einem möglichen Playoff-Viertelfinale oder Pokal-Halbfinale wegen der Regularien wieder ausziehen aus der Nikolaushalle. Vorletztes Jahr ging es nach Innsbruck, letztes Jahr nach Vilsbiburg. Jetzt?

Zunächst mal: Ich finde das eine total bescheuerte Regel, einen absoluten Schmarrn. Punkt aus. Wenn ich im Fernsehen übertragen werde, sehe ich das ja ein. Solange das nicht der Fall ist, und das war es bisher nicht bei diesen Spielen, sehe ich nicht ein, warum ich in eine andere Halle wechseln soll. Mit Vilsbiburg haben wir uns super vertragen, das wäre die beste Möglichkeit. Außerdem weiß ich nicht, wo sonst hin.

Vorvergangenen Sommer sind Sie Vater einer Tochter geworden. Wann haben Sie eigentlich Zeit für Mia?

Die Vormittage habe ich Zeit mit meinem Baby und meiner Frau. Und im vergangenen Sommer waren wir so oft am Ammersee. Aber ich denke trotzdem nur an Volleyball, ununterbrochen. Ich kann da nicht abschalten. Und in den Zeiten, wo andere abends um zehn einen Film auf Pro Sieben anschauen, schaue ich nach dem Training auf dem Laptop eben Spiele an, den nächsten Gegner. Nur eines ist klar, gerade weil das Baby nicht sonderlich gut schläft: Um Mitternacht ist Schluss.

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Quelle:
SZ vom 20.10.2018
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