Volleyball:Der Straßenschlaue

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Volleyball-Talent Benedikt Sagstetter hat für drei Jahre beim Erstligisten Herrsching unterschrieben. Auch weil der 18-Jährige dort seine Beach-Karriere vorantreiben darf und soll.

Von Katrin Freiburghaus, Herrsching

Es gibt kleine Dinge, die große Auswirkungen auf eine Sportlerkarriere haben können. Der Bruder, der einen zum Training schleppt, die richtigen Schuhe, eine verständnisvolle Mathe-Lehrerin. Den Beginn der noch kurzen Laufbahn des Volleyballers Benedikt Sagstetter hat ein anderes Detail maßgeblich beeinflusst: sein Geburtsdatum. Der 18-Jährige kam am 30. Dezember 2000 zur Welt.

Für das an vielen Stellen in Doppeljahrgänge eingeteilte Fördersystem des deutschen Volleyballs war das zwei Tage zu früh und die Lizenz dafür, immer überall der Jüngste und damit auch der Kleinste zu sein. "Das macht bei den Sichtungen in der Jugend einen riesigen Unterschied", sagt Dominic von Känel, bis vor drei Monaten Sagstetters Trainer beim ASV Dachau.

Wenn es keine Altersgrenze gibt, spielt Benedikt einfach mit seinem Bruder Jonas

"Man sieht seit Jahren, dass er ein Riesentalent hat, leider hat er nie für internationale Sachen Beachtung gefunden", erklärt er weiter. Das galt bis zur Beach-Europameisterschaft der U20 vor einer Woche in Göteborg. Dort gewann Sagstetter bei seinem ersten Einsatz auf internationaler Bühne mit Rudy Schneider Silber. "Ich wollte immer wissen, was die Leute in meinem Jahrgang europaweit und weltweit können", sagt Sagstetter, "es war schön, mal zu sehen, wo man steht." Seinen ersten Bundesligavertrag für die Halle hatte er zu diesem Zeitpunkt bereits in der Tasche: Nachdem er in der vergangenen Saison mit einem Doppelspielrecht ein paar Punkte für Herrsching in der ersten Liga gespielt hatte, unterschrieb der Zuspieler einen Dreijahresvertrag. Sein Bruder Jonas, der sein erklärtes Vorbild und im Beach-Volleyball sein Standardpartner ist, wenn es keine Altersgrenze gibt, ist wie so oft schon zwei Jahre da, wenn Benedikt dazukommt. Jonas wechselte nach zwei Jahren beim Meisterschaftsdritten Hypo Tirol Alpenvolleys Haching kürzlich zum VC Eltmann, weil er sich beim Aufsteiger mehr Einsatzzeit erhofft.

Vor allem aber toleriert Eltmann seine Parallel-Ambitionen im Sand, Benedikt kann sich in Herrsching sogar auf explizit vereinbarte Förderung durch seinen Coach Max Hauser verlassen. "Das ist ein kleiner Bonus im Vertrag", sagt Hauser, der seinen Spieler auf beiden Untergründen als "herausragend talentiert" bezeichnet und nicht bremsen will. "Das wäre verschenkt", sagt Hauser, "weil ich nicht weiß, wo er mit 27 die besseren Chancen haben wird." So lange er das nicht sicher beurteilen könne, unterstütze er ihn in beidem. Hausers Haltung wird in der Volleyballszene seit Jahren heiß diskutiert.

Sagstetters früherer Coach in Dachau findet, dass er sich bald entscheiden muss

Von Känel, der ab August die sportliche Leitung des Volleyball-Internats in Frankfurt übernehmen wird, favorisiert eine Spezialisierung im kommenden Sommer. Auch er könne keine Tendenz für eine der beiden Sparten ausmachen. "Er kann sich das aussuchen", sagt er, "aber ich würde ihm raten, sich zu entscheiden."

Hauser sieht das anders. Sobald Benedikt in einem Bereich der A-Nationalmannschaft angehöre, werde eine Entscheidung aus logistischen Gründen unumgänglich. "Aber sonst finde ich sie so früh falsch", sagt er. Es spreche "für die beiden Jungs, dass sie sich das nicht einreden lassen". Hauser ist ohnehin ein Freund der breiten sportlichen Ausbildung, Benedikt Sagstetter beobachtet er, seit der elf war und nebenher noch Tennis spielte - Hauser trainierte seine Gegner. Schon damals hoffte Hauser, "dass der durchhält, denn den wollte ich gerne haben". Die Verpflichtung eines Erstliga-Neulings als einzigen Ersatz für Stammzuspieler Johannes Tille sei zwar ein Risiko, aber eines, das Hauser in Kauf nimmt. "Ich verpflichte keine Spieler, denen ich nicht vertraue", sagt er.

Sagstetter müsse für den Sprung fraglos in vielen Bereichen arbeiten, individualtaktisch aber sei er "sehr stark". Hauser bescheinigt ihm "den Spielwitz eines 35-Jährigen" und fügt hinzu: "Das ist vielleicht diese Straßenschläue, die man sich erarbeitet, wenn man nicht immer brav alles macht, was einem gesagt wird." Womit man wieder beim 30. Dezember 2000 wäre. Denn Benedikt spielte natürlich nicht auf der Straße, aber eben auch nicht innerhalb jener Bahnen, in die durchgeplante Karrieren großer Talente gerne frühzeitig gelenkt werden. "Er hat oft seine eigene Lösung gefunden und dann zu Hause seine Hausaufgaben gemacht", sagt Hauser anerkennend.

Anders als Jonas war Benedikt nicht im Volleyball-Internat. Für den älteren Jahrgang war er nicht weit genug, für den jüngeren konnte er sich aus schulischen Gründen nicht mehr begeistern. Er ließ sich stattdessen von seinen Eltern täglich aus Landshut zum Training nach Dachau fahren. Diese Zusatzbelastung entfällt künftig. Benedikt hat das Loch umgehend gefüllt: Er startet an diesem Wochenende mit seinem Bruder beim Beach Masters der Kategorie 1 in Freising.

© SZ vom 06.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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