Süddeutsche Zeitung

Volleyball:Der Faktor Zeit

Trainer Alexander Hezareh hat den TSV Grafing vom Abstiegskandidaten zu einer Zweitliga-Spitzenmannschaft geformt. Nach seinem Abschied muss der Klub nun neu planen.

Von Sebastian Winter, Grafing

Der 12. Mai war ein Tag, den Johannes Oswald nicht so schnell vergessen wird. An jenem Dienstag vor zwei Wochen wurde der Grünen-Politiker als Zweiter Bürgermeister der Stadt Grafing vereidigt. Mit 29 Jahren. Die Zeremonie zur Vereidigung des Ersten Bürgermeisters fand unter freiem Himmel statt, auf dem Vorplatz der Stadthalle. Drinnen wäre nach Corona-Regeln zu wenig Platz gewesen für die vielen neugierigen Bürger. Später wurde die Vereidigung im Saal wiederholt, der Form halber, damit alles seine Richtigkeit hat. Und dort kam dann auch Oswald in sein neues Ehrenamt. "Gut", sagt Oswald lapidar, "das ist die nächste Herausforderung."

Hauptberuflich ist Oswald persönlicher Mitarbeiter des Landtagsabgeordneten Martin Runge - und Manager sowie Geschäftsführer von Grafings Zweitliga-Volleyballern. Als TSV-Funktionär musste der neue Bürgermeister nur drei Tage nach seiner Ernennung eine unpopuläre Nachricht verkünden: Denn Alexander Hezareh, der Grafinger Meistertrainer, hört auf.

Alexander Hezareh hat Grafing zu einem Spitzenklub geformt

Hezareh, Vater von vier Kindern und Inhaber einer Sommer- und Wintersportschule, führt "den Faktor Zeit" für seinen Abschied an, außerdem sei seine "Motivation für begeisterndes Training nach fünf Jahren ein bisschen abgestumpft". Ein Schlüsselerlebnis hatte Hezareh am 11. Januar, als er um sechs Uhr aufstand, als Skikursleiter in die Berge fuhr, und nachmittags Richtung Mainz zum Auswärtsspiel. Es endete 0:3, nach einer guten Stunde. Hezareh kehrte mit dem Team um vier Uhr nachts heim, stand um sechs Uhr auf, und fuhr wieder mit den Kindern zum Skikurs. "Da habe ich Ossi gesagt: ,Ich weiß nicht, wie lange ich das noch machen kann.'"

Oswald lobt Hezareh überschwänglich: "Alex hat mit seinem Engagement und seinem Herzblut eine Ära geprägt - die Meisterschaft hat uns auf eine neue Ebene gehoben." In der Tat hat Hezarehs die Grafinger mit seinem ganzheitlichen Ansatz und viel mentalem Training vom Abstiegskandidaten zu einem Spitzenklub in der zweiten Liga geformt; mit der Zweitliga-Meisterschaft 2018, der ersten überhaupt für den TSV in dieser Liga, als Höhepunkt. In der folgenden Saison scheiterte Grafing auf dem Weg zur Titelverteidigung knapp am späteren Aufsteiger Eltmann. Nun sind die Unterfranken insolvent, was für Grafing ein Alarmzeichen ist und den Wunsch, auch bald im Oberhaus zu spielen, nicht verstärkt. Zumal es in der Mitte März wegen der Corona-Krise abgebrochenen Spielzeit erste sportliche Dellen gab. Grafing war "nur" Vierter, mit immerhin acht Niederlagen in 21 Spielen.

Hezarehs schweres Erbe wird wohl ein junger Trainer übernehmen, eine externe Lösung aus dem Münchner Umfeld - die Unterschrift steht allerdings noch aus. Den Stammkader will Oswald halten, auch Führungsfiguren wie Zuspieler Fabian Wagner, Außenangreifer Julius Höfer oder Diagonalmann Michael Zierhut. Fragezeichen stünden hinter Junioren wie Zuspieler Felix Broghammer und Libero Korbinian Hess, weil unklar ist, wo sie studieren werden. Immerhin: Trainiert wird schon wieder auf den städtischen Beachfeldern - mit viel Abstand und ohne Netzduelle.

Der TSV stellt sich jedenfalls darauf ein, am 12. September in die neue Saison zu starten, an diesem Datum ist der erste Zweitliga-Spieltag terminiert. Zugleich wirft die Pandemie den TSV massiv zurück. Oswald hofft, den Etat von zuletzt rund 100 000 Euro zumindest halten zu können, die Sponsorengespräche sind erst im Juni. Eigentlich wollte der Klub sein Budget steigern, sowie einen hauptamtlichen Nachwuchstrainer einstellen - alles derzeit undenkbar. Wie auch ein möglicher Erstliga-Aufstieg, der strukturell ohnehin weit entfernt ist. Immerhin wird erstmals eine FSJ-Kraft installiert. Und dann ist da noch die Angst vor Geisterspielen: "Ohne die Zuschauereinnahmen würden uns 20 Prozent des Gesamtetats fehlen", sagt Oswald: "Das wäre scheiße, wir bekommen ja keine TV-Gelder." Politisch unkorrekte Worte für einen Bürgermeister. Nicht aber für einen Geschäftsführer im Krisenmodus.

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SZ vom 25.05.2020
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