Türkgücü München:Vertrauen in den Boss

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„Für uns gab es keine Veranlassung mehr, uns an überholte Absprachen zu halten“: Hasan Kivran. (Foto: Claus Schunk)

Türkgücü-Präsident Hasan Kivran nutzt seine Kontakte, damit der Aufsteiger in der Regionalliga "eine gute Rolle" spielt - oder auch mehr.

Von Stefan Galler, München

Noch vor ein paar Monaten hatte Robert Hettich Zeit gehabt für seine zweite große Leidenschaft: Eishockey. Er kommentierte NHL-Spiele für den Streaming-Dienstleister Dazn, reiste selbst nach Nordamerika und traf dort unter anderem Nationalspieler Leon Draisaitl. Zuletzt war an derlei Nebenbeschäftigungen freilich nicht mehr zu denken. Denn Hettich ist bei Türkgücü München, wie der Klub - zuvor SV Türkgücü-Ataspor - seit Anfang dieser Woche heißt, mächtig engagiert. Der 44 Jahre alte gebürtige Wolfratshauser verantwortet beim Regionalligaaufsteiger die Kaderplanung, macht aber auch die Öffentlichkeitsarbeit und ist im ständigen Austausch mit Präsident Hasan Kivran und dem Trainerteam um Reiner Maurer. "Die letzten Wochen waren schon heftig", sagt Hettich, der seit Mitte März nicht weniger als 20 neue Spieler zum Verein holte. Davor hatte er Maurer davon überzeugt, für die neue Saison als Coach zuzusagen.

Hettichs Aufgabe bestand darin, einen schlagkräftigen Kader für die vierthöchste Spielklasse zusammenzustellen, denn eines sei klar: "Wenn wir keine gute Rolle in der Regionalliga spielen wollten, dann würden wir das alles nicht machen", sagt Hettich. Ein Platz im oberen Tabellendrittel solle es sein, heißt es von Vereinsseite. Doch man kann davon ausgehen, dass es angesichts der Investitionen und der professionellen Bedingungen, unter denen der Klub künftig trainieren wird, auch gern ein bisschen mehr sein darf. Ähnlich aufgestellt ist in der Regionalliga lediglich Schweinfurt 05. Und schließlich hat Türkgücü-Vorstand Kivran eine Vision: Er will seinen Verein irgendwann in der zweiten Liga sehen, als zweite Kraft im Großraum München hinter den Bayern.

Kivran ist derjenige im Verein, der ganz klar die Richtung vorgibt. Seinem Plan folgend wurden zuletzt 99 Prozent der Geschäftsanteile an der Türkgücü München Fußball GmbH an seine eigene Firma, die HK Erste Vermögensverwaltungs und Beratung GmbH mit Sitz in München veräußert - was nichts anderes bedeutet, als dass die Herrenmannschaft in eine Kapitalgesellschaft überführt wurde. Auf der außerordentlichen Mitgliederversammlung am vergangenen Montag stimmten alle Anwesenden für Kivrans Plan - man vertraut dem Boss vorbehaltlos. Schließlich gilt auch im Fußball das alte Motto "Wer zahlt, schafft an", und selbst wenn Kivran nicht alle finanziellen Anstrengungen von Türkgücü aus seiner eigenen Tasche bestreitet, so verfügt der Geschäftsmann über entsprechende Kontakte in der Wirtschaft, um potente Geldgeber mit ins Boot zu holen: Der aktuelle Trikotsponsor Aon etwa, ein europaweit tätiger Versicherungsmakler, arbeitet auch mit Manchester United und dem FC Parma zusammen. Auch zum Lebensmittelgroßhändler Gazi und dem Touristikunternehmen FTI hat Kivran den Kontakt hergestellt. Sein eigenes finanzielles Engagement soll sich seit seinem Einstieg in den Verein im hohen sechsstelligen Bereich bewegen.

Robert Hettich will solche Zahlen nicht kommentieren, zum Etat für die kommenden Saison sagt er nur, dass man 1,5 bis zwei Millionen benötige, um profihafte Bedingungen zu garantieren. Dennoch sei es keineswegs so, dass man bei Türkgücü Mondpreise bezahle: "Ein Mario Erb ist bestimmt nicht zu uns gewechselt, weil er bei uns mehr Geld verdienen würde als in Uerdingen", sagt Hettich. Vielmehr habe in vielen Fällen der renommierte Trainer Maurer oder auch der attraktive Standort München den Ausschlag gegeben, sich für Türkgücü zu entscheiden. Andere wollten wieder zurück in heimatliche Gefilde, beispielsweise Verteidiger Erb, Stürmer Karl-Heinz Lappe (zuletzt Mainz) oder Mittelfeldspieler Marco Holz (Saarbrücken).

Aus dem bisherigen Kader bleiben nur vier Spieler: der bisherige Kapitän Yasin Yilmaz - übrigens neben einigen Studenten der einzige, der neben dem Fußball einem Beruf nachgeht - dazu Verteidiger Fabio Leutenecker, Mittelfeldspieler Ünal Tosun und Stürmer Masaaki Takahara. Abwehrspieler Arbnor Segashi, 24, hatte seinen Vertrag ebenfalls verlängert, sich zuletzt aber laut Hettich aus familiären und beruflichen Gründen für eine Fußballpause entschieden.

Im aktuellen Kader stünden nur fünf türkischstämmige Spieler - sie alle seien jedoch in Deutschland geboren. "Unsere einzigen Ausländer sind der Österreicher Patrick Hasenhüttl und der Japaner Takahara", sagt Hettich.

Bunt ist die Mischung allemal, in dieser Woche wird sie von Maurer und seinem Team, zu dem auch der bisherige Cheftrainer Andreas Pummer gehört, im Trainingslager auf die neue Saison eingeschworen. "Es gilt jetzt, möglichst schnell ein Team zu werden", sagt Hettich. Bange ist ihm vor der neuen Herausforderung, die auf den Verein zukommt, jedenfalls nicht: "Klar haben wir Druck, aber wir haben ja auch einen entsprechenden Anspruch an uns selbst."

© SZ vom 29.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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