Süddeutsche Zeitung

Türkgücü München:Schlechte Nachricht aus dem Netz

Zieht sich Hasan Kivran zum Jahresende bei Türkgücü München zurück? Seine Nachfolge hat der Investor und Präsident des Drittliga-Aufsteigers noch nicht geregelt. Vieles ist unklar, vor allem die genauen Gründe für diesen Schritt nach den jüngsten sportlichen Erfolgen - und wie viele Anteile Kivran wirklich verkauft.

Von Christoph Leischwitz

Sicher ist bei Türkgücü München aktuell nur, dass Hasan Kivran seinen Angestellten das Weihnachtsfest gehörig vermiest hat. Dabei dachten am vergangenen Mittwochabend alle im Klub, es gehe wieder bergauf. Die Mannschaft hatte ihr Nachholspiel beim SV Meppen souverän 4:1 gewonnen, die erste lange Negativserie des Drittliga-Aufsteigers war mit zwei Siegen beendet worden. Türkgücü, das ist in diesem Zusammenhang durchaus bedeutsam, steht auf Tabellenplatz acht und hat ein offenes Nachholspiel, insofern sind die Aufstiegsränge plötzlich wieder recht nah. Also: durchschnaufen, stille Nacht.

Von wegen. Rund eine Stunde nach der Partie hatte sich die Sache mit der staden Weihnachtszeit erledigt. Geschäftsführer Max Kothny sagt, er habe es erfahren, als er gerade mit dem Auto das Stadion verlassen hatte. Die Mannschaft war im Bus auf dem Weg nach Hause, als plötzlich die Nachricht kam: Investor und Präsident Hasan Kivran zieht sich zum Jahresende zurück. Das erfuhr die Reisegruppe nicht von Kivran selbst, der 54-Jährige war in Meppen gar nicht dabei - sondern durch einen auffällig kurzen Bericht auf Sport1.de, der keinerlei Quellen oder Zitate enthielt. Noch am Abend sagten Kothny und Kluboffizielle lediglich, dass man dazu nichts sagen könne. Bisher gibt es Stellungnahmen nur auf Anfrage, nicht über die vereinseigenen Kanäle.

Kothny sagte am Sonntag auf Nachfrage, dass sich Kivran nicht äußern wolle

Offen sind die Gründe, die Kivran nach den jüngsten Erfolgen dazu bewogen haben sollen, schlagartig hinzuschmeißen. Der Investor war für eine Stellungnahme bislang nicht zu erreichen. Geschäftsführer Kothny sagte am Sonntag der SZ, dass sich Kivran nicht äußern wolle. Finanzielle Probleme seien natürlich aktuell ein Faktor: fehlende Zuschauereinnahmen etwa und dadurch auch ausgebliebene Sponsorenerlöse. Dazu kommt, dass Türkgücü von der staatlichen Corona-Hilfe kaum etwas abbekommen hat, weil die Zuschauerzahlen der vorigen Regionalliga-Saison für die Ausschüttung herangezogen werden - die waren niedrig. Auch die Zeit bis zum Saisonende werde mit einem dicken Minus enden, sagte der Geschäftsführer.

Kivran, hieß es, wolle sich um einen Nachfolger bemühen. Also um jemanden, der seine Anteile an der Fußball-GmbH von Türkgücü übernimmt. Man sei in Gesprächen mit Interessenten und potenziellen Nachfolgern, ein wichtiges Gespräch hierzu finde am Montag statt. Das bedeutet aber auch: Kivran hatte seine Nachfolge noch gar nicht geregelt, und das eine Woche vor seinem angekündigten angeblichen Abtritt zum 31. Dezember.

Diese Ankündigung relativiert sich auch. So sei zum Beispiel noch gar nicht klar, wann Kivran als Präsident zurücktrete, sagt Kothny. Und ebenso, wie viele Anteile Kivran wirklich verkaufen werde. Denn das hänge davon ab, wie viele der kommende Interessent übernehmen wolle: "Es kann von einem Teilrückzug bis hin zu allen 89 Prozent alles passieren", sagt Kothny.

Aktuell hält Kivran 89 Prozent an der Vermögens-GmbH, die seine Initialen "HK" trägt. Zehn Prozent gehören seinem früheren Geschäftspartner aus der Logistikbranche, Naveen Kohli. Und wenn man gar keinen Nachfolger findet? Macht Kivran dann vielleicht sogar weiter? "Das kann ich bisher noch nicht beantworten", sagt Kothny. Zumindest verfüge man über TV- und einige Sponsorengelder, wahrscheinlich müsse man damit das Budget der Restsaison planen. Mit anderen Worten heißt das aber auch: Es wird wohl Einschränkungen geben, Spieler sollen darauf vorbereitet werden, dass ihnen betriebsbedingt gekündigt wird.

Einiges spricht dafür, dass es sich bei Kivrans halboffiziellem Rücktritt um eine Nebelkerze handelt. Viel Sinn ergäbe er jedenfalls aktuell nicht. Erstens mussten die Vereine im Oktober Unterlagen zur Nachlizenzierung beim DFB einreichen; von finanziellen Sorgen des Klubs drang seitdem nichts nach außen. Zweitens ist die Wahrscheinlichkeit, in die zweite Liga aufzusteigen, vor Weihnachten gestiegen, und dort würde Kivran viel mehr Geld für seine Anteile erhalten. Drittens ist dem Investor seit jeher bewusst, dass er finanzielle Löcher stopfen muss - er hat dies stets getan.

Der Kader von Türkgücü ist riesig, die Ausgaben seit Sommer höher als nötig: Zehn Spieler standen in der aktuellen Saison noch gar nicht auf dem Platz. Mehrere sind oder waren freigestellt, obwohl sie erst 2020 verpflichtet wurden. Sie werden also weiter bezahlt. Gespart wurde allerdings nie, im Gegenteil. Trotz der erheblichen Verluste, die nun dem Vernehmen nach den Fußballern exakt vorgerechnet werden, wurde selbst nach Schließung des Transferfensters Anfang Oktober in Mounir Bouziane noch ein weiterer namhafter Spieler verpflichtet.

Es ist allerdings möglich, dass Kivran das finanzielle Risiko künftig auf mehrere Schultern verteilen möchte. Vielleicht will er es auch ganz loswerden, wenn es die Möglichkeit gäbe. Doch nach SZ-Informationen hat der Investor, der drei Aufstiege in Serie finanziert hat, in der Vergangenheit den Spielern schon mehrmals gedroht, sich zurückzuziehen. Gegangen sind im Nachgang aber bisher immer nur Spieler. Kivran blieb.

Am 3. Januar sollen die Spieler wieder ins Training einsteigen. Wie viele dann noch dabei sein werden, ist im Moment völlig offen.

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