TSV Unterhaching:Salto beidwärts

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Die Zwillinge Laura und Marie Hahnl, 14, turnen in der zweiten Liga. Doch ihr Talent kommt auch auf Snowboards zur Geltung.

Von Andreas Liebmann, Unterhaching

Marie Hahnl probiert sich an einer Übersetzung. "Cab", klar, da springe man mit dem falschen Fuß voraus, sagt die 14-Jährige, und irgendwie bekommt sie das dann schon halbwegs sortiert mit diesem dreifachen Rückwärtssalto mit halber Drehung. Aber so wirklich ist es nicht bis hierher durchgedrungen, dass tags zuvor die Österreicherin Anna Gasser als erste Frau einen "Cab Triple Underflip 1260" gestanden hat. Wieso auch. Die Olympiasiegerin hat damit zwar die Snowboard-Welt ziemlich in Verzückung versetzt, das Video ihres Rekords aus dem Stubaital ging auf Instagram durch die Decke. Doch Marie Hahnl sitzt gerade in einer völlig anderen Welt, im Übungsraum der Unterhachinger Turner, umgeben von Turngeräten und Schnitzelgruben, und bereitet sich auf einen wichtigen Wettkampf vor.

Auf den ersten Blick sitzt sie sogar zweimal da. Auf einem Trampolin, einmal in einem pink-blauen, und daneben noch einmal in einem grün-lila Turnanzug, jeweils mit Pailletten besetzt, die Hände voller Magnesia, die langen blonden Haare zu Knoten gebunden, Zahnspangenlächeln. Marie und Laura Hahnl sind Zwillinge. Zum Verwechseln ähnlich, aber nicht wirklich identisch. Sie überlegen beide, wie dieser Sprung wohl aussehen müsste, denn erstens sprechen sie beide prima Englisch, zweitens fährt auch Laura Snowboard. Allerdings nur noch zum Spaß, sie hat sich dann doch fürs Turnen entschieden. Marie macht beides. Und beides erfolgreich.

Der letzte Zweitliga-Wettkampf wird wohl im Abstieg enden. Sie wollen trotzdem ihr Bestes geben

An diesem Samstag findet in Berlin der letzte Turnwettkampf der zweiten Frauen-Bundesliga statt. Eine sehr zerrissene Saison geht damit zu Ende, die ersten drei der vier Wettkampftage fanden im März und April statt. Seitdem war Pause in der Liga, die junge Mannschaft des TSV Unterhaching konnte sich inzwischen mit dem Gedanken vertraut machen, dass sie als abgeschlagene Tabellenletzte vermutlich nicht mehr viel wird tun können gegen den Abstieg. "Wir sind schon nervös", sagt Laura. Marie ergänzt: "Auch wenn die Aussichten nicht groß sind, wir geben unser Bestes." Laura hat für alle vier Geräte trainiert; an welchen sie am Samstag zum Einsatz kommen wird, weiß sie noch nicht. "Ich bin für alles bereit", versichert sie. Marie hat nur am Schwebebalken und am Stufenbarren Einsatzchancen, sie fährt gehandicapt nach Berlin. Außenbandanriss. Ihren rechten Knöchel umgibt ein blaues Tape.

Als Dreijährige haben die Schwestern mit dem Turnen begonnen, in Seattle. Geboren sind sie hier, dann habe der Vater ein interessantes Jobangebot aus den USA bekommen, und in der Rückbetrachtung finden sie: "Das war eine coole Chance für die ganze Familie." So haben sie gleich Englisch gelernt. Als sie acht waren, kehrte die Familie heim, heute besuchen Laura und Marie das Albert-Einstein-Gymnasium und turnen für die Hachinger in der Liga und im Landeskader. Sechs Mal pro Woche Training, "die Belastungen sind enorm", weiß Abteilungsleiter Oskar Paulicks.

Das ist auch ein Grund, wieso das Team so schlecht abgeschnitten hat in der bisherigen Saison: Chiara Strecker, eine der Bundeskader-Turnerinnen, hat nach dem ersten Wettkampf aufgehört mit dem Leistungssport. "Sehr schade", findet Paulicks, "sie hätte es noch weit bringen können." Auf die andere, Tabea Landau, musste der Verein bislang wegen Rückenproblemen verzichten. Sie soll an diesem Samstag erstmals mitturnen. Weil dann noch eine Spanierin, die der Verein zur Unterstützung eingeflogen hatte, in einem Wettkampf von fast jedem Gerät gepurzelt war, konnte die Saison nicht mehr viel bringen für die Hachinger. "Wenn drei Leistungsträgerinnen wegfallen, bist du chancenlos", sagt Paulicks, doch er sehe das nicht dramatisch. "Dann packen wir es eben in der dritten Liga wieder an", sagt er. An ein Wunder am letzten Wettkampftag glaubt niemand, die Kosten für eine ausländische Verstärkung hat sich der Verein diesmal gespart.

Die Wege von Laura und Marie Hahnl haben sich ein ganz klein bisschen voneinander getrennt. Das kam durch Zufall. Vor drei Jahren war die Familie mit den Snowboards in einem Funpark in Flachauwinkl unterwegs, Marie und Laura hatten Spaß, probierten Sachen aus, wurden beobachtet und angesprochen. Bald standen sie im Snowboard-Landeskader. Nach einigen gemeinsamen Erfolgen aber entschied Laura zuletzt, sich wieder voll aufs Turnen zu konzentrieren, während Marie ihre Wochenenden häufig in den Bergen verbrachte.

Während ihr Turnteam Ende März den zweiten Wettkampftag absolvierte, fehlte Marie. Sie nahm da gerade an Wettkämpfen im österreichischen Kühtai teil - und wurde im Slopestyle deutsche Meisterin. Und einen Monat später saß Marie auf der Tribüne und feuerte Laura an, die bei den deutschen Turnmeisterschaften Rang 20 belegte. Mit ihrer bis dahin besten Wettkampfleistung, wie Paulicks lobte, und das in der heimischen Halle in Unterhaching, vor 600 Zuschauern, von denen viele ihr die Daumen drückten. Dass sie sich sportlich ein bisschen auseinander entwickelten, fühle sich "schon komisch an", sagt Laura, "weil wir ja sonst immer alles gemeinsam machen. Aber auch gut, denn wir haben beide unsere Ziele erreicht".

Für das Snowboardteam sei Marie Hahnl "eine Bereicherung", sagt Nadine Härtinger, die im bayerischen Verband für Marketing zuständig ist und die Schwestern bis vor einem Jahr trainierte. Vom Turnen bringe sie viel mit: die große Beweglichkeit, den Trainingseifer, die Orientierungsgabe in der Luft, die sie hier "Air Awareness" nennen. "Die haben ihre Doppelsalti im Blut." Und dann kommt Härtinger auf diesen Vergleich mit Anna Gasser, dem Superstar ihrer Sportart. Denn auch die habe schließlich als Turnerin angefangen. "Da ist schon die Hoffnung, dass das mal die neue Anna Gasser werden könnte."

Ewig werde das natürlich nicht funktionieren, beide Sportarten parallel zu betreiben, sagt Härtinger noch, eines Tages werde sich auch Marie Hahnl entscheiden müssen. Doch bis dahin ist noch etwas Zeit. Am Samstag werden die Zwillinge erst einmal wieder gemeinsam in der zweiten Bundesliga turnen.

© SZ vom 16.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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