Süddeutsche Zeitung

Tischtennis:Plan B

Mit 21 Jahren beendet Florian Schreiner seine Profikarriere - und schließt sich im Sommer dem FC Bayern an. Der Drittligist steckt tief im Abstiegskampf und hofft nun umso mehr auf den Klassenerhalt

Von Andreas Liebmann

Es war nur eine winzige Kleinigkeit, die Florian Schreiners Leben auf den Kopf stellte. Eine Unebenheit irgendwo in seinem Hüftgelenk. In einigen Monaten wird Schreiner deshalb zum FC Bayern München wechseln, der Verein freut sich riesig auf ihn. Doch was in anderen Sportarten der Höhepunkt einer Karriere sein mag, bedeutet für den Tischtennisspieler nichts anderes als das Ende seiner Profilaufbahn. Mit 21. "Der Schlussstrich war schwierig, er hat mich und meine Familie viel Kraft gekostet", erzählt er.

Florian Schreiners Weg schien von Anfang an vorgezeichnet. Sein Vater Ralf ist ein ehemaliger Zweitliga-Tischtennisspieler, die Mutter Yunli eine mehrmalige (und immer noch aktive) Europacup-Siegerin. Er selbst war 2013 deutscher Jugendmeister, sein ehemaliger Landestrainer Thomas Wetzel sah in ihm den technisch komplettesten Tischtennisspieler seines Alters in Europa. "Ich war so davon überzeugt, dass ich unter die Top 50 komme", sagt Schreiner. Er sitzt in seiner hübschen Wohnung in Düsseldorf, die er vor einem Jahr bezog, um am Deutschen Tischtennis-Zentrum zu trainieren; "um näher an die Nationalmannschaft zu rücken", wie er sagt. Vom damaligen Zweitligisten TuS Fürstenfeldbruck war er zum Erstligisten Schwalbe Bergneustadt gewechselt. "Ich habe das alles für eine Riesenchance gehalten", erinnert sich Schreiner - und das war es auch. Doch bis heute hat er keinen Erstliga-Einsatz bekommen. Stattdessen brachte er sich Gitarrespielen bei: "Ich hatte ja nichts zu tun, ich war so verzweifelt."

Diese Saison lief so gar nicht wie erhofft. Er gewann die U-21-Konkurrenz der Chile Open, absolvierte ein Trainingslager in China, dann die Saisonvorbereitung mit Bergneustadt, doch ihn begleiteten immer heftigere Schmerzen. Kurz vor Saisonstart kam die Diagnose: Schambeinentzündung. Mehrere Monate pausierte er, doch auch danach verschwanden die Schmerzen nie ganz. Schreiner ist recht groß für einen Tischtennisspieler, er muss tiefer in die Knie gehen als andere, sein Körper hielt den Belastungen nicht stand. Das Hüftgelenk löste immer wieder Schmerzen aus. Und irgendwann, sagt er, habe er den Glauben daran verloren, dass er mit diesem Handicap so weit kommen würde, wie er das immer geplant hatte.

Florian Schreiner hat lange nachgedacht. "Das Problem ist die Zeit", sagt er. Er hat Abitur gemacht, er benötigte dafür einen zweiten Anlauf, mit 19 erst konnte er seine Profilaufbahn beginnen. In anderen Ländern sei das einfacher. "Es wäre etwas anderes, wenn ich den Durchbruch schon geschafft hätte", sagt er, "dann wäre ich jetzt halt mal ein Jahr verletzt gewesen." Doch der große Durchbruch ist ihm noch nicht gelungen. Was also, wenn ihn seine Hüfte noch öfter zurückwerfen würde? "Ich wollte nicht mit 26 feststellen, dass ich mit nichts dastehe", sagt er. Er ist froh, dass er das Abitur gemacht hat. Es habe früher viele gegeben, die ihm geraten hätten: "Du bist so gut, geh nach der zehnten Klasse von der Schule." Doch er habe immer schon über Tischtennis hinaus gedacht. Akribisch an Plan A gearbeitet, aber auch einen Plan B im Hinterkopf gehabt.

Er sei seinen Eltern dankbar dafür, dass sie ihm diesen Sport beigebracht und ermöglicht hätten, er habe viel von der Welt gesehen, sagt Schreiner. Mit 14 zog er von zu Hause aus, um in der Obhut des Bayerischen Tischtennis-Verbands (BTTV) zu trainieren. "Ich bereue nichts", versichert er, aber nun, findet er, sei dies die richtige Entscheidung; eine reife, verantwortungsvolle: "Ich kann darauf auch stolz sein." Er bat in Bergneustadt um Auflösung seines Zweijahresvertrags und nahm Kontakt zum FC Bayern auf. Er will in München studieren, vielleicht sogar Pharmazie wie sein Vater, und nach Jahren in Flugzeugen und auf Autobahnen werde er es genießen, mit der U-Bahn zum Heimspiel zu fahren.

Für den FC Bayern ist Schreiner nun vielleicht das Versprechen, das er einst für die Zukunft des deutschen Tischtennis war. Denn dessen Drittliga-Männer kämpfen im dritten Jahr gegen den Abstieg. Trotz eines 6:0-Auswärtssiegs gegen den abgeschlagenen TSV Ansbach vom vergangenen Wochenende droht ihnen weiter der vorletzte Tabellenplatz - wieder mal müsste das Quartett dann hoffen, dass es nur einen Absteiger gibt. "Es läuft schon besser als die letzten Jahre", findet Kapitän Julian Diemer. Mit einigen Teams könne man inzwischen mithalten, mehrmals gab es unglückliche 4:6-Niederlagen mit nicht genutzten Matchbällen. Aber nun wollen sie natürlich erst recht nicht absteigen. Mit Schreiner an Position eins, das ist klar, dürfte der Ligaverbleib künftig viel einfacher werden. "Besser hätte es nicht kommen können", findet Diemer. Csaba Szappanos, 49, der einzige Profi im Team, wird den Verein dafür verlassen müssen.

Auch für Daniel Rinderer könnte Schreiner zum Glücksfall werden. Der 15-Jährige ist die Nummer drei der deutschen Schüler-Rangliste, für den BTTV ist er das, was früher Schreiner war: das Vorzeigetalent. Voriges Jahr verließ er sein Zuhause Ruhmannsfelden, um am BTTV-Stützpunkt zu trainieren. Beim FC Bayern kam er in der dritten Liga noch wenig zum Zug, aber Diemer ist überzeugt, dass sich das bis zur nächsten Saison ändert - und in Schreiner hat die Nachwuchshoffnung bald noch einen starken Trainingspartner im Verein.

Schreiner hat in seinem neuen Team ebenfalls einen, an dem er sich orientieren kann: Michael Plattner, die bisherige Nummer eins. "Auch der kam damals zufällig nach München", weiß Diemer, vor knapp sechs Jahren. Der 31-Jährige aus der Oberpfalz zählte ebenfalls zur Top Ten im deutschen Nachwuchs, in der Schülerrangliste stand er mal auf Position drei - hinter Dimitrij Ovtcharov und vor Patrick Baum, heute ein zweimaliger Europa- und ein zweimaliger Vize-Europameister. Plattner entschied sich sehr bald für Schule und Ausbildung. Während des Studiums spielte er unter anderem in Passau zweite Liga, heute arbeitet er in München als Chirurg. Aktuell hat er eine fast ausgeglichene Bilanz im vorderen Paarkreuz, 12:13 - trotz Nachtschichten und wenig Training. "Er ist Wahnsinn", schwärmt Diemer. "Wie er immer noch Profis schlägt, die zweimal am Tag trainieren - keine Ahnung, wie er das schafft, es ist unglaublich." Schreiner glaubt: "Michi ist eben schlau. Im richtigen Leben und an der Platte."

Er selbst, sagt Schreiner, "wollte immer Erfolg haben". Wenn nicht im Sport, dann eben im Studium und im Beruf. Aber auch in die dritte Liga wird er Ehrgeiz legen. Für die zweite Mannschaft von Bergneustadt hat er zuletzt sechs Drittliga-Einzel in Serie gewonnen. Dieses Niveau hat er drauf, auch mit weniger Training. "Meine Mannschaft kann immer auf mich zählen", verspricht er. Er hat mit der Profikarriere abgeschlossen, nicht mit seinem Sport.

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Quelle:
SZ vom 25.02.2017
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