Süddeutsche Zeitung

Tischtennis:Die Unvollendete

Nationalspielerin Sabine Winter wechselt zu ihrem Heimatverein TSV Schwabhausen. Eine Komfortzone erwartet sie dort nicht, im Gegenteil: Von ihrem alten Trainer erhofft sie sich neue Impulse.

Von Andreas Liebmann, Schwabhausen

Die Frage war unüblich, und es war auch kein perfekter Moment für Scherze. Trotzdem: "Gute oder schlechte Nachricht?", wollte Sabine Winters Trainer wissen. Soeben hatte die 26-Jährige den ersten Satz ihres Viertelfinalspiels um die deutsche Tischtennis-Einzelmeisterschaft verloren, deutlich mit 5:11 gegen ihre Nationalteamkollegin Shan Xiaona. Winter entschied sich für die schlechte, also bekam sie zu hören: "Deine Taktik ist kacke!"

Winter musste lachen. Man sollte dazu wissen: Ihr Trainer hatte sie zuvor gefragt, wie genau sie gegen Shan zu spielen beabsichtige, und obwohl er an ihren Plänen Zweifel hegte, hatte er sie gewähren lassen. Nach dem ersten Durchgang änderten sie dann ihre Strategie. Es kam zu einem Krimi, den Winter 4:3 gewann, 5:11, 11:4, 6:11, 11:4, 9:11, 11:8, 11:6. Sie stand im Halbfinale.

Was man zum besseren Verständnis dieser kleinen Anekdote vielleicht auch wissen sollte: Ihr Coach war Alexander Yahmed. Der Vereinstrainer des TSV Schwabhausen, den Winter vor sieben Spielzeiten verlassen hatte, als sie zum aktuellen Meister SV-DJK Kolbermoor wechselte, hat sie vor vielen Jahren groß herausgebracht und stark gemacht. Es kam also bei den deutschen Meisterschaften in Wetzlar mal wieder zusammen, was eigentlich schon immer zusammengehörte. Offenbar fühlte es sich für beide gut an. Das ist eine gute Nachricht, denn dieses Duo wird bald wieder intensiver zusammenarbeiten. Winter hat in Wetzlar bestätigt, dass sie zur neuen Saison nach Schwabhausen zurückkehrt.

Die Gründe sind vielschichtig, und sie spielten auch mit in diese Meisterschaft in Wetzlar hinein. Denn Sabine Winter musste tags darauf ihr schwer erarbeitetes Halbfinale gegen Petrissa Solja absagen, ebenso wie ihr Doppelhalbfinale an Soljas Seite. Sie leidet schon seit langem an Nackenbeschwerden, die über Nacht wieder schlimmer geworden waren. "Acht Spiele waren vielleicht doch zu viel", sagt sie. Die Schmerzen begleiten sie schon seit Monaten, immer wieder musste sie deshalb mit dem Training kürzertreten. Zuletzt war sie beschwerdefrei, ihr Sieg gegen Shan sei "das erste gute Spiel in diesem Jahr" gewesen, sagt sie selbst. Doch dann kam wieder der Rückschlag. Sabine Winter kann die kampflos verlorenen Halbfinals wegstecken. "Im Einzel wäre es eh schwierig geworden", glaubt sie, und ein Titel mehr oder weniger im Doppel spiele keine große Rolle für sie. Winter war mit wechselnden Partnerinnen ohnehin schon viermal deutsche Meisterin, zweimal Europameisterin. Sehr viel wichtiger sei für sie, dass sie endlich wieder gesund und voll belastbar wird.

In dieser psychisch kniffligen Phase hat sie sich also entschieden, zu ihren sportlichen Wurzeln zurückzukehren. "Ich mag alle Leute in Schwabhausen, alle sind nett zu mir, ich denke einfach, das ist der richtige Schritt", erklärt sie. Mit dem TSV war sie schon länger in Verhandlungen, ihr aktueller Klub hat ihr dann auch gar kein Angebot unterbreitet. Winters sportliche Bilanz war längst nicht so überragend wie in den Jahren zuvor. "Ich denke, dass so jetzt beide Seiten glücklich werden", sagt sie.

Eine Rückkehr in die Komfortzone wird mit ihrem Wechsel aber nicht einhergehen, für niemanden, ganz im Gegenteil. Druck werde bleiben, das weiß die aus Hechendorf im Landkreis Starnberg kommende Bundeswehrsoldatin, die seit Jahren in Düsseldorf lebt und trainiert - künftig eben nicht mehr im Kampf um die Meisterschaft, sondern gegen den Abstieg. Der TSV Schwabhausen wird aus der zweiten Liga aufsteigen, und er wird den kompletten Kader behalten: die überragende Mateja Jeger, 24, für die dieser Aufstieg ein notwendiger Entwicklungsschritt ist, dazu Alina Nikitchanka, 22, Sarah Mantz, 18, und Laura Tiefenbrunner, 17. Dahinter gibt es noch einige weitere Talente. Einige neigten nach Yahmeds Dafürhalten aber dazu, zu schnell zufrieden zu sein und deshalb nicht alles abzurufen, was ihr Potenzial hergäbe. "Wir legen Wert auf Entwicklung", erklärt Yahmed, "die erste Liga könnte da eine Initialzündung sein. Mit Sabine bekommen wir jetzt einen Superprofi - vielleicht schauen sich die anderen ja etwas ab."

Der Superprofi selbst muss erst einmal gesund werden, die Sorgen um den Nacken vergessen. "Kein Stress", sagt Yahmed, wenn sie nicht fit sei, müsse sie auch nicht spielen. Ansonsten aber hat er viel mit Sabine Winter vor. Er sieht mehr in ihr als der aktuelle Weltranglistenplatz 59 besagt, oder auch jener 36. Rang, der vor zwei Jahren ihr bislang höchster war. Sie schlägt die Vorhand wuchtiger und athletischer als die meisten anderen Frauen, diese Stärke will er mehr zum Vorschein bringen. "Sie ist für mich unvollendet", sagt Yahmed. "Ich würde gerne ihre Blickrichtung aufs Tischtennis verändern." Kein leichtes Unterfangen. Voraussetzung wären regelmäßige Einheiten in Schwabhausen, um Spielzüge auszuarbeiten, die ihre Dominanz erhöhen. Mit den Bundestrainern muss das abgesprochen werden, mit der Bundeswehr als Arbeitgeber, außerdem ist Sabine Winter ja längst ein gestandener Profi mit eigenen Ideen. Doch sie ist offen für diesen Neubeginn, gerade jetzt. Auch darüber haben sie in Wetzlar gesprochen. Die vielen Jahre, die sie sich nun schon kennen, dürften den Neustart erleichtern. "Wir werden es gemeinsam versuchen", verspricht sie.

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Quelle:
SZ vom 05.03.2019
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