Tennis in der Kunstgalerie:"Malerei setzt sich immer auch mit Heroen auseinander"

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Künstler Thomas von Poschinger spricht im Interview über das archaische Element des Spitzensports in seinem Werk und das Gefühl des Alleinseins.

Interview von Gerald Kleffmann

Der Künstler Thomas von Poschinger wagte sich kürzlich in einer Ausstellung an einen ungewöhnlichen Ansatz heran: Er verarbeitete Fotos aus der Welt des Profitennis in seinen Werken. Der 38-Jährige wollte sich einmal seiner nebenberuflich größten Leidenschaft widmen, dem Tennissport. Von Poschinger studierte Kunstgeschichte an der Ludwig-Maximilians-Universität sowie Malerei und Grafik an der Akademie der Bildenden Künste in München. Er ist ein Meisterschüler von Günther Förg. Seine Tennis-Ausstellung im Kunstraum Loggia nannte er "COURT". Anlässlich der großen Galerien-Initiative "Various Others" eröffnet von Poschinger an diesem Freitagabend in der Galerie Christine Mayer, die ihn seit 2016 vertritt, seine Ausstellung "Kir Royal", zusammen mit dem Berliner Künstler Henning Strassburger. Sie ist bis zum 17. Oktober (Liebigstraße 39) zu sehen und beinhaltet ebenfalls Bezüge zum Tennis.

SZ: Herr von Poschinger, Sie haben in Ihren jüngsten abstrakten Werken Fotos von Tennisspielern als Motive verarbeitet. Es kommt selten vor, dass Maler sich in die Welt des Sports begeben. Was waren Ihre Gedanken bei dieser Adaption?

Thomas von Poschinger: An der Tenniswelt fasziniert mich, dass es Parallelen zur Kunstwelt gibt. Sie ist ein abgeschlossenes, hermetisches System. Sie funktioniert auch nach Regeln und Codes. Und ein Tennisspieler hat, wenn man das so sehen will, viel mit einem Maler gemeinsam. Jede Entscheidung, und sei es noch so eine kleine, zählt im Match. Das ist beim Maler ähnlich, wenn er ein Bild malt.

Wie meinen Sie das?

Die große Einsamkeit, mit der die Tennisspieler konfrontiert sind, kann bei Künstlern auch vorkommen. Man muss in beiden Welten alleine und diszipliniert arbeiten. Und sich eine eigene Struktur schaffen. In der heutigen Zeit mit Instagram und all den Sozialen Medien ist das in meiner Wahrnehmung für die jüngeren Spieler ein viel größeres Problem als früher. Das finde ich auch irre spannend, wie sich vielleicht die Qualität dieser Spieler verändert hat durch diese Ablenkung.

Wie wollten Sie diese Gedanken auf die Leinwand transferieren?

Zunächst mal arbeiten Tennisspieler ja viel alleine. Und dann kommt der Moment, in dem sie diese Einsamkeit verlassen und diese großen, glamourösen Bühnen betreten. Dort werden sie fast zu so etwas wie Kämpfern oder Schauspielern in der Arena, es hat etwas Archaisches. Malerei setzt sich immer auch mit Heroen auseinander. Ich wollte mich dieser Aufgabe schon immer einmal stellen, insbesondere da ich ein großer Bewunderer von André Agassi und seinem Tennis bin.

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(Foto: Courtesy of the artist/Galerie Christine Mayer/oh)

"Zverev könnte ja direkt einem Renaissance-Bild entsprungen sein mit seinem prinzenhaften Aussehen": Thomas von Poschinger über den deutschen Profi.

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(Foto: Courtesy of the artist/Galerie Christine Mayer/oh)

Die abstrakten Flächen symbolisieren die Einsamkeit, die die Tennisspieler auf dem Platz im Kampf mit Gegner und sich selbst umgibt.

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(Foto: Courtesy of the artist/Galerie Christine Mayer/oh)

Auch der große Rafael Nadal wurde von dem Münchner Künstler verewigt. Roger Federer hat ihn dagegen weniger fasziniert.

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(Foto: Courtesy of the artist/Galerie Christine Mayer/oh)

"An Zverev kann ich als Zuschauer Kontraste und Grenzüberschreitungen beobachten": Von Poschinger verfolgt Tennis auch aus psychologischer Sicht.

Herausgekommen ist eine Mischung aus Abstraktion und Realismus. Wieso wählten Sie diese Kombination?

In meinen Werken symbolisieren die abstrakten Flächen die Einsamkeit der Bühne, und in diese Stimmung habe ich Fotos von Tennisspielern geklebt, die ich im Tennis Magazin gefunden und ausgeschnitten habe. So führte ich beide Welten zusammen. Die Spieler schwimmen fast in diesen Farbflächen und wirken teilweise verloren. Auf dem Platz ist es ja ähnlich. Die Spieler werden im Format eines Tenniscourts gehalten - in meinem Fall sind es die Maße des Bildes. Aber innerhalb dieses Formats können sich die Spieler eben auch verlieren. Das finde ich spannend.

Der Amerikaner Agassi war eine der prägenden, schillernden Tennis-Figuren vor 15, 20 Jahren und ist mit Steffi Graf, der großen deutschen Spielerin, verheiratet, die beiden haben zwei Kinder. Er hat schon immer viele Menschen fasziniert. Jedoch fällt auf: In Ihren Werken kommen Rafael Nadal oder Alexander Zverev vor - nicht aber Agassi. Warum?

Das ist eine Frage, die mich selbst beschäftigt. Vielleicht liegt das an der Faszination, die Agassi auf mich ausübt. Ich habe auch einmal versucht, ihn in ein Werk einzubinden. Es ist mir aber nicht gelungen. Vielleicht habe ich nicht genug Distanz zu ihm, die ich wirklich gebraucht hätte, um ein gutes Bild zu machen. Aber genau kann ich die Frage auch nicht beantworten.

Es ist ein Zufall dieses Gesprächs, dass gerade an diesem Freitag Zverev bei den US Open in New York im Halbfinale steht und gegen den Spanier Pablo Carreño Busta um den Einzug in sein erstes Grand-Slam-Finale kämpft. Den 23-jährigen Deutschen haben Sie gleich mehrfach in ihren Werken gewürdigt. Warum ihn?

Zverev könnte ja direkt einem Renaissance-Bild entsprungen sein mit seinem prinzenhaften Aussehen und den goldenen Ketten. Bei ihm finden so viele Verhaltensweisen gleichzeitig statt: eitel, kämpferisch, stur, irrational, inspiriert. Seine berüchtigte Aufschlagschwäche fasziniert mich besonders. Sie tritt so plötzlich auf - sein Aufschlag ist ja eigentlich fantastisch - und hat eine bizarre Qualität. An Zverev kann ich als Zuschauer Kontraste und Grenzüberschreitungen beobachten.

Ein zweiter Zufall ist, dass gleichzeitig gerade Agassis langjährige Bekleidungsfirma Nike eine an seine frühen Outfits angelehnte Kollektion herausgab. Die Shirts sind wieder mit den unglaublich grell-bunten Farbmustern bestückt.

Ja, das habe ich zunächst mal neugierig wahrgenommen. Die jungen Spieler tragen diese Designs allerdings so, ohne sie auszufüllen. Mode per se ist nicht nur prägend und wichtig in jeder Epoche, sondern auch die Personen, die sie tragen, sind wichtig. Und Agassi, damals mit seinen langen Haaren und seiner dramatischen Art, er war die perfekte Symbiose zu diesen exzentrischen fleckenartigen 90er-Jahre-Mustern und den Denim-Shorts mit Radlerhose. Er war ein Gesamtkunstwerk. Die Bewunderung hat sogar so weit geführt, dass ich mir die Outfits als Zwölfjähriger gleich gekauft habe, obwohl ich kaum die Vorhand übers Netz gebracht habe.

Kunststudium an der LMU und der Akademie der Bildende Künste, Meisterschüler – und glühender Tennis-Fan: Thomas von Poschinger, 38, lässt sich in seiner Arbeit auch vom Profisport inspirieren. (Foto: Frank Stürmer/oh)

Gewöhnlich ist Roger Federer, der 20-malige Grand-Slam-Sieger aus der Schweiz, die Ikone schlechthin für die meisten, die halbe Welt schwärmt von ihm. Ihn haben sie aber nur einmal verarbeitet. Federer scheint Sie nicht ganz gepackt zu haben, oder täuscht das?

Nein. Mich faszinieren komplexe Persönlichkeiten. Den Russen Daniil Medwedew zum Beispiel finde ich sehr interessant. Als Spieler mag ich auch Dominic Thiem besonders. Federer ist einfach nicht die Ikone für mich. Ich spreche jetzt nur als Künstler, der sich mit dessen Abbild beschäftigt. Und da muss ich sagen: Ich finde Federer extrem glatt. Extrem unklar zu lesen. In dem, was er tut, wirkt er auf mich oft zu perfekt, zu makellos. Das hat mich schon bei Pete Sampras nicht so erreicht. Das ist wie bei einem Maler, bei dem man nur Perfektion sieht. Ich mag Bilder, wo auch Fehler drin sind und die stehengelassen werden.

Was finden Sie an Agassi spannend?

Agassi ist der neunt-erfolgreichste Tennisspieler der Geschichte und sein Career Super Slam macht ihn einzigartig. Das erste Mal als Kind habe ich ihn so richtig wahrgenommen, als er 1990 im Finale der French Open gegen Andres Gomez verlor. Ich sehe diesen Über-Superstar, wie es ihn vielleicht nur im Übergang von den 80er zu den 90er Jahren geben konnte, der damals ein lava-pinkes Outfit trug und dieses avantgardistische Tennis spielte. Und das in Paris, dieser Weltstadt, mit dem exaltierten Publikum. Für mich war das eine komplette Reizüberflutung an Glamour. Wobei sein Glamour immer von seiner Leistung getragen wurde. Agassi ist für mich der Inbegriff des modernen Spielers vor der modernen Ära. Der Nadal vor Nadal. Und er war ein Time-Traveller. In den Achtzigern war er der erfolgreichste Teenager. Und dann war er noch 2003 die älteste Nummer eins der Welt. Das ist eine einmalige Spanne. Er war somit auch, anders als gerade in einigen Podcasts zu seinem 50. Geburtstag behauptet wird, letztendlich einer der konstantesten Spieler. Als Kind kam er in die ikonische Bollettieri-Schule, aber er blieb kein stoischer Bollettieri-Schüler ...

Nick Bollettieri, heute 89 Jahre alt, prägte mit seiner Akademie den Tennissport wie kein anderer Trainer.

Agassi spielte tatsächlich unglaublich variantenreich. Sein Return ist der beste aller Zeiten. Aggressiver als der von Connors und riskanter als der von Djokovic. Auch seine Rückhand longline ist bis heute unerreicht für mich. Die eingesprungene Vorhand, die extremen Crossbälle, der Swinging Volley, bei dem er den Volley voll durchgezogen hat - das war alles einzigartig und hat das Tennis komplett weiterentwickelt. Bei seinem Wimbledon-Sieg 1992 schlug er den Ball so früh und schnell, dass ich das Gefühl hatte, er spielt Volleys von der Grundlinie. Später mit Brad Gilbert wurde sein Tennis zielgerichteter und effizienter. Er zermürbte den Gegner wie ein Boxer. Agassis Vater war ja ein olympischer Boxer für den Iran. Mit einer unfassbaren Hand-Auge-Koordination konnte Agassi jeden Ball aus jedem Winkel exakt auf die Linie setzen. Von seiner Persönlichkeit her fand ich spannend, dass er Brüche in seinem Weg hatte. Vor allem am Anfang seiner Karriere musste er ja auch immer inspiriert sein für Tennis, um so genial zu sein. Was für eine Wahnsinns-Comeback-Story: von Nummer 141 zurück zur Eins.

War es eigentlich Absicht, dass Sie Ihre Bilder ohne Publikum malten? Sie passen nun perfekt in dieses von der Pandemie geprägte Jahr. Die US Open gerade finden ja auch ohne Zuschauer statt.

Die Bilder sind tatsächlich in diesem Jahr entstanden, aber zu Anfang des Jahres. Da war nicht absehbar, wie es wirklich mit Sportveranstaltungen weitergehen würde. Ich wollte keinen Kommentar zur Pandemie abgeben oder was dem Tennis droht. Aber man ist unbewusst geprägt von dieser isolierten, komischen, wabigen Zeit.

In Ihrer nächsten Ausstellung namens "Kir Royal" ab 11. September in der Münchner Galerie Christine Mayer entfernen Sie sich wieder vom Sport.

Die Ausstellung findet im Rahmen des Galerie-Programms "Various Others" statt. Ich stelle dabei nicht alleine aus, sondern zusammen mit dem Berliner Künstler Henning Strassburger. Ich trete nun also, um beim Tennis zu bleiben, im Doppel an. Für Künstler ist das spannend, weil es nicht so oft vorkommt. München wird ein Leitmotiv sein. München ist ja auch bisweilen eine Filmstadt und sehr hedonistische Stadt, und das wollen wir in unseren Werken würdigen. Es kommt auch Boris Becker vor, der ja mal in Bogenhausen gelebt hat. Aber auch Filmschauspieler und Adlige.

© SZ vom 11.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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