Süddeutsche Zeitung

Tennis:Im Schatten der Großen

Während sich Zverev und Thiem bei den US Open duellieren, erreicht der Wahl-Münchner Yannick Hanfmann in Kitzbühel sein zweites Finale auf der ATP-Profitour - und kratzt an den Top 100 der Welt.

Von Sebastian Winter

Yannick Hanfmann hat am vergangenen Sonntag einfach nicht mehr die Augen aufhalten können. Den ersten Satz habe er noch geschafft, erzählt er am Telefon, aber selbst da nicht mehr jeden Ballwechsel. Nach dem 6:2 schlief er ein. Und so verpasste Hanfmann in der Nacht zu Montag am Fernseher den dramatischen Fünfsatzkampf zwischen Alexander Zverev und Dominic Thiem im Finale der US Open, den Zverev im Tiebreak verlor.

Hanfmanns Müdigkeit war dabei allzu gut nachzuvollziehen. Denn der 28-jährige Profi aus Karlsruhe, der an der Tennisbase Oberhaching lebt und trainiert, hat im Schatten von Zverev und Thiem selbst Eindrucksvolles geleistet. Beim mit Top-100-Spielern gespickten ATP-Turnier in Kitzbühel erreichte Hanfmann als Qualifikant überraschend das Finale. Dort erst unterlag er am Sonntag dem Serben Miomir Kecmanovic mit 4:6 und 4:6, was Hanfmann "persönlich sehr enttäuscht" hatte: "Ich habe die Woche sehr gutes Tennis gespielt und auch im Finale meine Chancen gehabt." Nur genutzt hat er sie in den entscheidenden Momenten nicht.

Sehr gutes Tennis - das ist fast noch untertrieben. Hanfmann, bis dato Weltranglisten-118., schlug in der Qualifikation den ehemaligen Top-Ten-Spieler Ernests Gulbis sowie den Brasilianer Thiago Monteiro (88.), dann rauschte er mit Siegen gegen Alexander Bublik (56.) und Dusan Lajovic (25.) weiter durchs Turnier, vor allem der Dreisatz-Erfolg gegen den Serben Lajovic ließ aufhorchen. Im Viertelfinale schickte Hanfmann seinen Trainingspartner Maximilian Marterer nach Oberhaching an die Tennisbase zurück. Im Halbfinale rang er Laslo Djere, immerhin 71. der Weltrangliste und im vergangenen Jahr schon mal 27., mit 4:6, 6:3, 7:6 nieder. Es gibt ein Video vom Matchball gegen Djere, den Hanfmann auf dem Center Court vor immerhin ein paar Zuschauern mit einem formidablen Rückhand-Return die Linie entlang verwandelt und danach die Faust ballt. Sein Finalgegner Kecmanovic, dem er unterlag, ist 39. der Welt.

Hanfmann möchte nun in Paris in die erste Runde einziehen. 2019 unterlag er dort Rafael Nadal

Hanfmann hat also binnen Tagen vier Top-100-Spieler geschlagen, obwohl er selbst jenseits dieser Schallmauer steht, hinter der die Chancen auf hohe Preisgelder und mehr Renommee erst richtig steigen. Weil die Profis dort die Möglichkeit bekommen, an den richtig lukrativen Turnieren teilzunehmen; und nicht an jenen der Challenger-Serie, auf der Hanfmann bislang eher mühsam ATP-Punkte sammelte.

Kitzbühel war Hanfmanns erst zweites Endspiel der ATP-Profiserie, 2017 hatte er in Gstaad gegen den Italiener Fabio Fognini verloren. Mit dem neuerlichen Erfolg rückt er von Rang 118 auf 101 der Weltrangliste vor. Seine höchste Platzierung war vor etwas mehr als zwei Jahren die 99 - für eine Woche. "Es ist einfach schwer, diese Schwelle zu übertreten, da wollen so viele hin", sagte Hanfmann nun am Telefon: "Aber ich denke, dass ich da gut mitmischen und mich etablieren kann."

Im August hatte er beim Challenger in Todi, das er gewann, den Grundstein dafür gelegt. Neben 12 250 Euro Preisgeld hatte er dort 100 Weltranglistenpunkte gesammelt. In Kitzbühel kamen 150 Punkte und knapp 20 000 Euro dazu. Auch die Atmosphäre passte in Tirol, "mit DJ's, Musik und Zuschauern, die super Stimmung gemacht haben", wie Hanfmann fand. Die Spieler wurden dennoch hermetisch abgeschirmt, sie bewegten sich nur im Dreieck Hotel, Physiotherapie, Tennisplatz; die Siegerehrung bestritten Hanfmann und Kecmanovic mit Abstand und Mundschutz.

Die lange Coronapause hatte Hanfmann zuvor gut überbrückt, auch mit Yogakursen mit seiner Freundin, wie er der SZ in diesem Frühjahr erzählte. Trainieren konnte er an der Tennisbase recht früh wieder, weil diese als Profisport-Arbeitsstätte bereits Anfang April ihre Pforten wieder öffnete. Ende Juli gewann Hanfmann dann das Finale der Turnierserie des Deutschen Tennis Bundes in Großhesselohe, die ins Leben gerufen worden war, um deutschen Spitzenspielern Matchpraxis zu geben. Das frühe Training, die hochkarätige Sommerserie, viele Krafteinheiten - all das zahlte sich nun in Kitzbühel für Hanfmann aus, der fand, "dass sich vor allem mein Netzspiel absolut verbessert hat". Besonders am Weg zum Netz nach dem Aufschlag hatten die Trainer mit ihm gefeilt.

Der Zeitpunkt für diese ansteigende Formkurve könnte besser kaum sein für Hanfmann. An diesem Donnerstag reist er per Zug zu den French Open nach Paris, um dort wie in Kitzbühel die Qualifikation zu meistern. Im vergangenen Jahr überstand er sie und traf in der ersten Runde auf einen gewissen Rafael Nadal. 2:6, 1:6, 3:6 hieß es am Ende auf dem Center Court. Hanfmann hätte nichts dagegen, diesmal auf einen etwas leichteren Gegner zu treffen, wenn er es in die erste Runde schafft. Einen wie Zverev vielleicht, gegen den er einmal bei den BMW Open spielte - und hauchdünn in drei Sätzen verlor.

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Quelle:
SZ vom 17.09.2020
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