Süddeutsche Zeitung

Tennis:Ein Matchball spielt Schicksal

Nach 15 Jahren als Profi verliert Daniel Brands den Spaß an seinem Beruf. Er entscheidet sich, ein allerletztes Turnier zu spielen - und findet dabei die Freude wieder. Die Geschichte einer Wende.

Von Gerald Kleffmann

Im August 2016, Daniel Brands hat nur wenig trainiert, reist er nach New York. Seine Freundin begleitet ihn, die Ärztin aus München hat sich freigenommen. Noch einmal will Brands seinen Beruf ausüben. Noch einmal genießen. Big Apple. US Open. Roger Federer und Serena Williams auf der Anlage. Die große Welt des Tennis. Das letzte Grand-Slam-Turnier der Saison soll ein spezielles werden. Hat sich Brands vorgenommen. Danach soll Schluss sein. Nach 15 Jahren als Profi hat er genug. Die letzten Jahre liefen nicht rund, er verlor zu oft, er siegte zu selten. Vor allem: "Ich hatte den Spaß verloren." Er hatte lange gebraucht, um sich dies eingestehen zu können. Mit 80 Prozent Motivation umherzureisen, hat keinen Sinn. Dann lieber ein Aufbruch in einen neuen Lebensabschnitt.

Es läuft die erste Runde der Qualifikation. Brands spielt gegen Thiago Monteiro. Der Brasilianer hat Matchball. Macht er ihn, kann Brands das Buch zuklappen. Der gebürtige Niederbayer aus Bogen, der einmal die Nummer 51 der Weltrangliste war, der einmal Roger Federer besiegte, er war mit sich im Reinen. Er hatte keine Angst vor dem Matchball des Gegners.

Brands sitzt in einem Münchner Café. Er lächelt, während er erzählt. Er weiß, es klingt fast absurd. Aber es war so: Er wehrte den Matchball ab. Gewann 7:6 im dritten Satz. Gewann die nächste Runde. Verlor, gegen einen Argentinier. Rückte als Lucky Loser dennoch nach - und plötzlich stand er im Hauptfeld der US Open.

Das war dieser überraschende Moment, in dem es wieder kribbelte in ihm. In dem er spürte, warum es sich lohnt, sich zu schinden, kreuz und quer zu fliegen, um auf ein paar Siege zu hoffen. "Das war die Wende", sagt Brands.

Er verlor zwar in der ersten Runde, in vier Sätzen gegen Alexander Zverev, den deutschen Spitzenspieler. "Aber ich war gut dabei", erinnert er sich. Das zeigte ihm: Er war nicht fertig mit seiner Karriere. Er entschied sich, weiterzumachen.

Die Geschichte dieses netten Daniel Brands ist keine, die sich in einer steilen These bündeln ließe. Er war ja nicht mal abgestürzt. Selbst als er den Spaß verloren hatte, rangierte er um den 150. Weltranglistenplatz. Nur: Je nach Potenzial und Ehrgeiz verschieben sich Erwartungen. 2010 stand er im Achtelfinale von Wimbledon. 2013 hatte es Brands bis in die deutsche Davis-Cup-Mannschaft gebracht. Beim Turnier in Gstaad 2013 hatte er Federer 6:3, 6:4 besiegt. In Hamburg verlor er in drei Sätzen gegen den Schweizer, aber seine Bilanz ist seitdem ausgeglichen - "wer kann sagen, er hat Federer geschlagen", sagt er schmunzelnd, "das wird bleiben." Es war ein Höhepunkt, das schon, aber er weiß ihn einzuordnen. Seine Geschichte erzählt vielmehr von den inneren Kämpfen, den Zweifeln, Hoffnungen, Zuversichtsschüben und frustrierenden Augenblicken, mit denen sich Spieler auseinandersetzen müssen, die nicht konstant zu den 100 besten Profis gehören. Aber eben dazugehören könnten.

Brands ist 1,96 Meter groß, sein Körper athletisch, sein Verhalten professionell. Das bescheinigten stets seine Trainer. Brands betrachtet Ausgaben für Coaches oder Physios nicht als Übel, sondern als Investition. 2015 nahm er Geld in die Hand, um sich in der Akademie von Magnus Norman fortzubilden. Der Schwede, ehemals Nummer zwei der Welt, führte den Schweizer Stan Wawrinka zu drei Grand-Slam-Triumphen. Verschiedene Male übte er auch mit Norman und Wawrinka, er nahm für sich "hauptsächlich Dinge mit, wie man bestimmte Situationen auf dem Platz löst". Wie man mit Stress umgeht, mit Druck. Mit dem italienischen Coach Gianluca Marchiori, angestellt bei Norman, war Brands ein Jahr auf der Tour unterwegs. Er spielte sich hoch, bis auf Rang 130. "Aber ich habe es nicht geschafft, den nächsten Schritt zu machen."

Die Spirale, die so viele Spieler der hinteren Reihe erleben, setzte sich in Gang: "Es war komisch", sagt Brands, "ich fühlte mich körperlich gut, es gab keine Ausreden. Aber mit jedem Turnier spielte ich mich gefühlt weiter weg von den Zielen, die ich hatte." 2014 hatte ihn das Pfeiffersche Drüsenfieber zu einer Auszeit gezwungen, das war erklärbar. Aber so war das diesmal nicht. Es dauerte Monate, bis er begriff: Es ist grundsätzlicher - der Spaß ist weg. Das ist der Grund. "Da kamen die Gedanken, dass ich aufhöre." Das Abitur nachholen, sich etwas Neues aufbauen - er blickte rasch nach vorn. Bis die US Open Schicksal spielten.

Mit der Wende im Kopf kam der Erfolg nicht wie auf Knopfdruck zurück. Das Leben ist kein Märchen. Eher im Kleinen, eher schleichend kämpfte er sich zurück im Kopf. "Ich war wieder heiß", sagt Brands. In Tunesien gewann er zwei Turniere der ITF-Kategorie, zwei Stufen unterhalb der ATP Tour. Doch diese Erfolge nährten sein Selbstvertrauen. In Italien gewann er ein Challenger. Er kletterte höher. Eine Phase lang trainierte ihn sein früherer Coach Klaus Langenbach, ehe er mit Alexander Satschko in München zusammenkam, der Peter Gojowczyk betreut und in die Top 50 geführt hat. Sein Vater begleitete ihn dazu, wie auch der Niederbayer Frederic Arlt, der in der zweiten Bundesliga spielt. Bis Ende 2019 plant er erst mal, die Top 100 sind sein Ziel, 174. ist er zurzeit. "Und bei den großen Turnieren will man spielen." New York, Big Apple. Die weite Tenniswelt lockt immer noch.

Aber diesmal geht es Brands anders an. Er versucht, das Abitur per Fernlehrgang nachzuholen. Nur im Internet zu surfen oder Netflix zu schauen, wie es andere Profis machen, ist nicht sein Ding. Brands will zu seinen Bedingungen jetzt Profi sein. Sandplatzturniere wird er eher meiden, auch wenn er 2019 für den TC Großhesselohe in der Bundesliga antreten wird. Am wichtigsten ist für ihn, dass er sich mit dem Tennis versöhnt hat. Und den Wert schätzt, den ihm sein Sport gab. Eigentlich wollte er nach der Karriere die Branche wechseln. Aber nun denkt er, "dass ich im Tennis bleibe".

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Quelle:
SZ vom 01.12.2018
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