Tennis:Das Acht-Augen-Prinzip

Lesezeit: 3 min

Einer der Aufsteiger 2018: Maximilian Marterer, Mitglied der Tennis-Base in Oberhaching, spielte sich in die Top 50 der Weltrangliste. (Foto: Juergen Hasenkopf/imago/)

Im Leistungszentrum Oberhaching wirkt ein ausgeklügeltes System: Jeder Trainer kümmert sich fest um ihm zugeteilte Spieler - doch wenn es pragmatisch erscheint, wird auch rotiert.

Von Gerald Kleffmann, Oberhaching

Am Sonntag saßen sie zusammen, Tobias Summerer und Florian Mayer, der Trainer und sein Ex-Spieler, mit dem er so viele Jahre gearbeitet hatte. Mayer, der im Herbst seine Karriere beendet hatte, servierte Freunden ein Raclette-Menü. Am Abend zuvor hatte der 35-Jährige in seiner Geburtsstadt Bayreuth ein Abschieds-Match gegen den Profikollegen Maximilian Marterer ausgetragen. Still und leise, wie es seine Art ist, trat er auch dort ab. Das Beisammensein sei schön gewesen, erzählt Summerer, "es war eine lange Zeit mit Flo", die er nicht missen möchte. Und doch ist es so: "Ich bin schon euphorisch, dass es bald weitergeht."

Aus diesem Grund sitzt er nun im Leistungszentrum des Bayerischen Tennis-Verbandes (BTV), das Tennis-Base genannt wird und als Männer-Bundesstützpunkt des Deutschen Tennis-Bundes an Bedeutung gewinnt. Die neue Saison steht bevor, es sind die Tage, an denen Bilanz gezogen wird, an denen Weichen gestellt werden. All das bietet sich schon deshalb an, weil sich gerade die wichtigsten Kräfte in Oberhaching aufhalten und Meetings in kurzer Zeit anberaumt werden können - wie auch Medienrunden wie an diesem Dezembertag. Vier Trainer und sechs Spieler präsentieren sich, um zurückzublicken und vor allem nach vorne zu schauen.

Die deutsche Tennisszene hat längst zur Kenntnis genommen, dass viele Erfolge in der abgelegenen Tennis-Base ihren Ursprung nahmen. Bei Auftritten wie an diesem Vormittag ist zu spüren, was das Zusammenwirken ausmacht: "Die Base ist wie eine Familie", sagt Summerer, der als 13-Jähriger erstmals diesen Ort kennen lernte, Profi wurde, dann Trainer und 22 Jahre später immer noch von der Kollegialität schwärmt. Seine Worte mögen leicht nach einer Phrase klingen. Aber es gibt ja Fakten, die belegen, wie gemeinsam nach effizienten Wegen gesucht wird.

Nicht zum ersten Mal wurden wieder Rochaden auf den Trainer-Positionen vollzogen, ohne dass gleich Komplikationen daraus entstanden. Im Gegenteil. Philipp Kohlschreiber, 35, der sich in der Weltspitze seit mehr als zehn Jahren wie festgetackert aufhält, wird mit Summerer als Coach in seine 18. Saison gehen. Allerdings nicht mit den größten Erwartungen zunächst, was an einem Gips liegt, der an Kohlschreibers rechtem Arm sichtbar ist. Eine Sehnenscheidenentzündung ist der Grund, warum er kein Schlagtraining machen kann, "aber mir geht es gut", sagt er und lächelt. Die gute Laune verfliegt keineswegs, als der Trainerwechsel zur Sprache kommt. Kohlschreiber hört sich so an, als sei das normal, dass Lars Uebel ihn ein Jahr lang betreute, der Chefcoach der Profiabteilung, sich nun aber wieder mehr um interne Projekte kümmert und Summerer sogleich mit der Betreuung Kohlschreibers betraute. Im Fußball würden solche Staffelübergaben sicher nicht reibungsfrei ablaufen.

Das Miteinander ermöglicht vor allem der Ansatz, dass kein Trainer sich unter Verschluss um den ihm zugeteilten Spieler kümmert, sondern dass es im Alltag weiterhin zu kleinen Rochaden innerhalb der großen Rochaden kommt, wenn es pragmatisch und förderlich erscheint. Offiziell sei er für Kohlschreiber verantwortlich, sagt Summerer, aber das heiße nicht, es gebe keinen Austausch mit anderen Trainern. Es könne auch sein, dass Uebel wie 2018 mit Kohlschreiber mal auf dem Platz steht. "Acht Augen sehen mehr als zwei", erklärt Summerer, Uebel neben ihm nickt. Lukas Wolff wiederum, der sich lange als Coach um Talente kümmerte, rotierte auf die Profi-Ebene und leitet Matthias Bachinger, Yannick Hanfmann und Daniel Masur an. Der Münchner Bachinger und der Karlsruher Hanfmann, Kandidaten für die Top 100, zählen auch zu den Spielern, die Uebel mal betreute, aber die Zeiten des Alleingängertums sind vorbei. So ist es selbstverständlich, dass Marterer, 23, der 2018 bis in die Top 50 durchstartete und vom DTB-Bundestrainer und Davis-Cup-Teamchef Michael Kohlmann trainiert wird, mit allen anderen übt. In Doha wiederum, beim ersten ATP-Turnier 2019, wird Summerer Bachinger unterstützen, da Wolff erst in Melbourne dabei sein wird. Eine Trennung zwischen DTB- und BTV-Hoheitsgebiet, macht Uebel klar, werde im Alltag nicht gelebt, schon aus dem übergeordneten Ziel: "Wir wollen alle besser machen."

Bald werden die besten Spieler ausfliegen, im Januar stehen die Australian Open an, das erste Grand-Slam-Turnier des Jahres (das Hanfmann aufgrund eines Trainingsrückstands nach einer Verletzung auslässt). An der Base wird dann die Arbeit weitergehen, die Talente Louis Weßels und Marvin Möller schließen sich samt dem neuen Trainer Michiel Schapers dem Leistungszentrum an, im Juni werden zwei weitere junge Spieler folgen, Henri Squire und Bastien Presuhn. Man wolle alles unternehmen, damit eines Tages neue Spieler vom Format eines Kohlschreiber und Mayer ihren Weg gehen, sagt Uebel.

© SZ vom 20.12.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: