Süddeutsche Zeitung

SZ-Aktion "Coaches' Challenge":Die Kraft des Sports

Yusuf Güngörmüs hat sich dem Ehrenamt völlig verschrieben. Für den Judotrainer des SC Arcadia Messestadt sind Integration und Inklusion zentrale Motive.

Von Alina Götz, München

Im Rahmen der Coaches' Challenge haben die Dr.-Ludwig-Koch-Stiftung und die Süddeutsche Zeitung besonders engagierte Übungsleiter gesucht, die nun ein Jahr lang finanziell von der Münchner Stiftung gefördert werden. Die zwölf von der Jury ausgewählten Preisträger werden aktuell in der SZ vorgestellt. Hier Teil zwei über Yusuf Güngörmüs.

München Messestadt ist ein sehr junger und diverser Stadtteil. Verschiedenste Nationalitäten und Religionen treffen hier aufeinander; gute Integrationsarbeit ist daher besonders wichtig. Das Potential des Stadtteils erkannten auch Yusuf Güngörmus und sein Arbeitskollege Uwe Delkof, als sie 2006 den SC Arcadia Messestadt genau dort gründeten. Güngörmüs baute die Judo-Abteilung des Vereins auf. Heute trainiert er - neben seinem Vollzeitjob - in zwei Vereinen Kinder und Erwachsene, auch den Fußball hat er inzwischen für sich entdeckt. Integration und Inklusion stehen bei seiner Arbeit im Vordergrund.

Wie wichtig der Sport für Integration ist, hat Güngörmüs am eigenen Leib erfahren: Mit neun Jahren kam er nach Deutschland, ohne Sprachkenntnisse. Mit elf Jahren begann er mit dem Judo. "Sport verbindet. Es gibt Regeln, Disziplin, und jemanden, der aufpasst und ein Vorbild sein kann. Die Kinder glauben an das, was wir vorleben." An der "wunderschönen Kampfsportart Judo" schätzt Güngörmüs das ganzheitliche Training für Körper und Geist, und dass man sich im Rahmen klarer Regeln miteinander messen kann.

Respekt, Hilfsbereitschaft, Bescheidenheit und Ehrlichkeit, solche Werte will Güngörmüs vermitteln

Auch das Miteinander steht ganz oben: "Wir sind eine Gruppe, die Judofreunde. Wir unterstützen uns gegenseitig, in der Technik oder Sprache. Es ist egal, wo man herkommt, wie man ausschaut, wie man sich bewegen kann." Besonders wichtig ist für ihn, Freude zu vermitteln und jeden zu motivieren - egal, ob jemand nur zum Spaß dabei ist oder in den Leistungssport möchte. "Ich versuche, alle gleich zu behandeln." Die vielen verschiedenen Werte, die der Judo vertreten möchte, stehen auch auf der Webseite von Arcadia. Respekt, Hilfsbereitschaft, Bescheidenheit und Ehrlichkeit können hiervon auch im Leben abseits des Sports nützlich sein.

In seiner Jugend wurde Güngörmüs süddeutscher Meister, mit den Senioren bayerischer Meister, er gewann viele nationale und internationale Turniere. Nachdem er die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten hatte, durfte er auch endlich an der deutschen Meisterschaft teilnehmen - 2006 gewann er bei der Ü30. "Es sollte so sein", sagt er heute im Hinblick auf die vielen verpassten Chancen aufgrund des fehlenden Passes. "Ich bin fit und gesund, das ist das Schönste." Dass er jetzt mit 49 Jahren immer noch auf der Matte stehen und sein Wissen weitergeben kann, ist für ihn nicht selbstverständlich. "Auf einem anderen Weg hätte durch eine Verletzung auch früher Schluss sein können."

2019 war er Judotrainer des Jahres, 2020 erhielt er die Verdienstmedaille des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland

Sein Heimatverein sind die Sportfreunde Harteck. Dort begann seine Judokarriere. Als 14-Jähriger wurde er bereits Co-Trainer, mit 17 übernahm er das Team der zweiten Bundesliga. Bei Harteck trainiert er heute noch; auch Menschen mit geistiger Behinderung. Der Deutsche Judo-Bund wählte Güngörmüs kurz vor der Pandemie zum Trainer des Jahres 2019. Im vergangenen Oktober erhielt er zudem das Bundesverdienstkreuz. Münchens Sportbürgermeisterin Verena Dietl sagte bei ihrer Laudatio im Rathaus: "Sie helfen dabei, Hürden durch Herkunft oder Behinderung mit dem Sport zu überwinden. Und Sie motivieren Münchner Kinder und Jugendliche, sich selbstbewusst einen Platz im Leben zu suchen und sich einzubringen. Dafür möchte ich mich bei Ihnen herzlich bedanken!" Solche Worte "bestätigen einen in seinem Leben", sagt Güngörmüs.

Sowohl bei Harteck als auch Arcadia hilft er schon den ganz Kleinen beim Lernen. Spiele, die Spaß an der Bewegung vermitteln, Bewegungsabläufe, fallen üben, raufen - das alles geht schon mit Dreijährigen, sagt Güngörmüs. "Dann sind die Ängste überwunden, bevor sie mit fünf oder sechs Jahren mit dem Judo anfangen." Mit dem "Mini-Judo" hat er vor rund 15 Jahren begonnen, "weil ich Kurse ab sechs hatte und gemerkt habe, dass manche nicht einmal einen Purzelbaum können".

Vor der Pandemie stand Güngörmüs, der Vollzeit bei der Staatlichen Lotterie-und Spielbankverwaltung arbeitet, jeden Abend in der Halle oder auf dem Platz. Denn er trainiert auch noch die männliche C2 in der Fußballjugend des FV Hansa Neuhausen, in der einer seiner Söhne spielt. Die zwei Jungs machen beides, Judo und Fußball.

Die Mitgliederzahl ist während der Pandemie auch beim SC Arcadia stark eingebrochen

Uwe Delkof, Präsident von Arcadia, hat Güngörmüs bei der Coaches' Challenge angemeldet. Er kümmert sich um den Fußball, versteht selbst nicht viel von Judo. Aber er weiß von Güngörmüs' Erfolgen und hört, wie zufrieden die Eltern der Kinder mit ihm sind. Delkof, der bei Vereinsgründung in der Messestadt wohnte, schätzt vor allem seine Einstellung zur Arbeit mit Jugendlichen: "Er findet es wichtig, dass man mit den Kindern was macht. Wir hatten ähnliche Visionen und er war sofort bereit zu helfen - obwohl er schon anderweitig engagiert war. Er hat sich die Zeit genommen." In der Firma der beiden ist Güngörmüs Betriebsrat. "Er setzt sich für Menschen ein, hat eine gute moralische Linie."

Bei Arcadia gibt es derzeit einmal in der Woche Judotraining per Video. Die Fußballer dürfen draußen wieder kontaktlos in kleinen Gruppen trainieren. Für das Jahr 2020 habe man bei Arcadia keine Mitgliedsbeiträge eingezogen, sagt Delkof. Trotzdem sei die Mitgliederzahl von über 500 auf unter 300 gesunken. Judo sei da eine der stabileren Abteilungen. Die Konkurrenz ist eben nicht so groß wie im Fußball.

"Wir versuchen, über die Runden zu kommen", sagt Delkof. Das Geld, das Güngörmüs nun gewonnen hat, wird direkt für ihn verwendet. "Er hat es verdient", sagt Delkof. Man wolle schließlich, dass er zufrieden ist und weitermacht.

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