SpVgg Unterhaching:Durch die Beine der Krake

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„Wir dachten in der Halbzeit schon, es gebe für uns in Wehen Wiesbaden nichts Neues“: Die SpVgg lag hinten, auch ein Distanzschuss von Josef Welzmüller (re. im Duell mit Manuel Schäffler) hatte nichts eingebracht. Doch nach der Pause drehten die Gäste die Partie – und erzielten kurz vor Schluss das Siegtor. (Foto: Marcel Lorenz/imago)

Fußball-Drittligist SpVgg Unterhaching gewinnt bei Wehen Wiesbaden durch einen Treffer kurz vor Schluss mit 2:1, bleibt unbesiegt und hofft nun auf viele Zuschauer beim Heimspiel gegen Braunschweig.

Daniel-Kofi Kyereh war der ideale Sündenbock. Eigentlich. Es stand 1:0 für seinen Klub, den SV Wehen Wiesbaden, als Kyereh in der 69. Minute Luca Marseiler foulte. Die Attacke war die größte anzunehmenden Dummheit: Erstens hatte Kyereh kurz vor der Pause bereits Gelb gesehen, er hätte deshalb besser Acht geben müssen. Zweitens stellte Marseiler keine Gefahr für das Wehener Tor dar, er befand sich etwa 70 Meter davon entfernt - in der Hälfte seiner SpVgg Unterhaching. Schiedsrichter Henry Müller zeigte Kyereh zum zweiten Mal die gelbe Karte, der 22-Jährige musste das Feld verlassen. Und die Partie kippte. Unterhaching gewann am Ende 2:1.

"Ich wäre mit diesem Ausgleich super zufrieden gewesen." Kurz vor Schluss trifft Hain zum 2:1

Rüdiger Rehm, Wehens Trainer, hätte Kyereh an den Pranger stellen können. Er tat es nicht. Er stellte gleich seine ganze Mannschaft an den Pranger. Jene Mannschaft, die vor einer Woche fulminant gespielt und den Zweitligisten St. Pauli aus dem Pokal befördert hatte - vor genau 10 007 Zuschauern. "Meine Jungs müssen sich hinterfragen", schimpfte Rehm nach der Partie gegen Haching, "das war ein schlechtes Fußballspiel und von uns viel zu wenig - vielleicht hat mancher nur die richtige Einstellung, wenn die Tribüne voll ist." Gegen Haching waren nur 1830 Zuschauer in der Brita-Arena in Wiesbaden.

Dabei hatte es gut begonnen für Wehen Wiesbaden. Und für Daniel-Kofi Kyereh. Es waren sieben Minuten gespielt, die Hachinger bestaunten tatenlos den Spielaufbau der Gastgeber, und plötzlich bekam Kyereh auf dem rechten Flügel den Ball. In dieser Szene machte er dann alles richtig: Mit der größten aufzubietenden Wucht hieb er gegen den Ball, der dann im langen Eck einschlug, unerreichbar für den formstarken Keeper Lukas Königshofer, der zuletzt fast alle Bälle erreicht hatte.

Sascha Mockenhaupt, Kyerehs Kollege und Wehener Abwehrspieler, hatte vor der Partie gesagt, er wolle "unbedingt mal zu null spielen" - schließlich hatte Wehen Wiesbaden zuvor neun Tore in vier Spielen kassiert. Dass sein Wunsch zunächst erfüllt wurde, lag an dem Mann hinter ihm: an Torwart Markus Kolke. Kolke ist ein spektakulärer Torhüter, ein Flieger wie früher Gerd Heinze und ein Elfmetertöter wie Rudi Kargus. Wenn man Paraden von ihm sieht, denkt man, warum dieser Mann nicht längst höher spielt als Dritte Liga. Seine Kollegen nennen ihn "Krake". Zuletzt hatte er ein paar Wackler in der Liga, aber im Pokal gegen Pauli und nun gegen Haching war er wieder der Alte.

Kolke wurde nach 18 Minuten erstmals geprüft - es war aber bloß eine lässige Aufwärmübung für den Tormann, Josef Welzmüllers unplatzierten Distanzschuss zu entschärfen. Dann wurden die Aufgaben kniffliger: Kolke klärte Marseilers Flachschuss mit einer flinken Fußabwehr, Finn Poraths Schuss aus spitzem Winkel mit beiden Fäusten und Stephan Hains flachen Versuch mit einer Hand. Hain, der sich den Finger gebrochen hatte, spielte mit einem riesengroßen Verband, und man fragte sich, was länger ist: Hains mittlerweile gewaltiger Bart oder der großzügig eingebundene Finger.

Wehen führte also, obwohl Haching vor der Pause "ordentlich gespielt" hatte, wie Trainer Claus Schromm hernach meinte. "Wir dachten in der Halbzeit schon, es gebe für uns in Wehen Wiesbaden nichts Neues." Das heißt: In den letzten Jahren hatte Haching nicht viele Punkte dort erbeutet.

Nach dem Wechsel hatte Wehen Wiesbaden die erste gute Chance, aber Königshofer lenkte Niklas Schmidts 18-Meter-Schuss um den Pfosten (61.). Die Kugel kam halbhoch, es war ein dankbarer Ball für einen Torhüter, aber schön sah es dennoch aus, wie nach dem Ball auch der Keeper flog, die Arme weit von sich streckte und das 2:0 vereitelte.

Dann ging Wehens Kyereh, verbannt vom Schiri, und Unterhachings Stefan Schimmer kam. Klar, dass Schromm einen Stürmer brachte: Haching lag hinten. Und Haching spielte nun in Überzahl.

Schimmer bewarb sich sofort für einen Spitzenplatz in der Kategorie "schnelles Jokertor". Als der Ball nach einem Kopfballduell im Wehener Strafraum vor seinen Füßen landete, reagiert er blitzschnell und bugsierte die Kugel aus spitzem Winkel - und durch Kolkes Beine - in das Tor der Gastgeber. "Ich wäre schon mit diesem Ausgleich super zufrieden gewesen", sagte Claus Schromm. Aber seine Spieler wollten wohl, dass ihr Trainer super, super zufrieden ist. Oder gar "überglücklich", wie Schromm es nach dem Schlusspfiff nannte. Die Hachinger machten nämlich nach dem 1:1 weiter Druck, und kurz vor Schluss traf dann Hain, derjenige Hachinger, der so häufig trifft. Wobei, halb muss man das Tor auch Lucas Hufnagel gutschreiben, nicht in der Torjägerliste, aber ethisch-moralisch, denn Hufnagel bereitete den Treffer so schön vor: Er umspielte den ersten Wehener, er umkurvte den zweiten elegant im Strafraum, er ließ sich - ethisch-moralisch sauber - nicht fallen, als dieser ihn attackierte, und er passte fein auf Hain, der am Fünfer stand und flach abzog. Es half dann auch das Glück, denn vom Standbein eines Verteidigers wurde die Kugel unhaltbar für Kolke abgefälscht. Die Hachinger bleiben damit ungeschlagen, sie stehen auf einem Aufstiegsplatz und dürfen bei ihrem nächsten Heimspiel auf ein großes Publikum hoffen: Die Partie gegen Eintracht Braunschweig wird im Bayerischen Rundfunk live übertragen.

© SZ vom 27.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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