SpVgg Unterhaching:Das zweite Gesicht

Lesezeit: 3 min

Rank und schlank und trotzdem robust: "Bomber" Stefan Schimmer hat achteinhalb Kilo Gewicht verloren, dafür aber an Torgefahr gewonnen. Der Siegtreffer in Würzburg war für ihn Saisontor Nummer zehn - nur Stephan Hain hat mehr. (Foto: Claus Schunk)

Nach 360 erfolglosen Minuten beantwortet die SpVgg in Würzburg in 120 Sekunden alle Charakterfragen. Beim 1:0 gegen die Kickers zeigt die Elf die von Trainer Schromm geforderte Leidenschaft.

Von Sebastian Leisgang, Würzburg

Das Spiel am Montagabend war noch nicht mal 120 Sekunden alt, als die SpVgg Unterhaching in Würzburg bereits ihr erstes Ziel erreicht hatte. Die Mannschaft von Trainer Claus Schromm ging nicht in Führung, sie gab nicht mal einen Torschuss ab, sie gewann auch keinen Zweikampf: Abwehrspieler Marc Endres beging auf Höhe der Mittellinie ein astreines Foulspiel und handelte sich, pflichtbewusst wie er war, bei Schiedsrichter Sören Storks eine gelbe Karte ein. Im Laufe der 90 Minuten kamen vier Verwarnungen hinzu - und in der Nachspielzeit gar ein ebenso astreiner Platzverweis für Alexander Winkler.

Schromm, 49, ist kein Ihr-müsst-Gras-fressen-Trainer. Das ist an dieser Stelle mal festzuhalten. Unterhachings Coach drischt nicht bloß Parolen, und seine Mannschaft steht ohnehin im Ruf, das fußballerisch wohl beste Team der dritten Liga zu sein. Doch nach dem leblosen Auftritt beim 1:4 am vergangenen Mittwochabend in Aalen hatte Schromm in Würzburg vor allem eines von seinen Spielern erwartet: sich dem Gegner nach Kräften zu widersetzen und "auch mal bereit zu sein, eine gelbe Karte mitzunehmen", wie er nach dem 1:0 (1:0), dem ersten Sieg der SpVgg im Jahr 2019, offen sagte.

Ausdruck der Entschlossenheit: Nach vier Niederlagen in Serie gelingt der erste Sieg im Jahr 2019

Leidenschaft, Engagement, Wehrhaftigkeit: All das war Unterhaching in Aalen ja abgegangen. So kam die Partie in Würzburg einem Charaktertest gleich. Würde Schromms Mannschaft bei aufstrebenden Kickers nun vollends in der Krise versinken und sich erst mal aus dem Aufstiegsrennen verabschieden? Oder würde sie der Serie von vier Niederlagen in den ersten vier Spielen nach der Winterpause trotzig begegnen und tatsächlich "ein ganz anderes Gesicht zeigen", wie Schromm es sich versprochen hatte?

Noch bevor Schiedsrichter Storks die Partie freigab (und Endres die Frage nach nicht mal 120 Sekunden beantwortete), erhielt man eine Ahnung. Beide Mannschaften formierten sich auf dem Spielfeld zu einem Kreis, und während die Würzburger nach einer letzten Ansprache im Stillen auseinandergingen, um ihre Positionen einzunehmen, stießen Schromms Spieler einen inbrünstigen Kampfschrei aus.

Ja, die Hachinger hatten verstanden - und sie waren entschlossen. Entschlossen, sich zu widersetzen und sich eben auch mal eine gelbe Karte einzuhandeln. Oder fünf. Und eine rote. Das war die Botschaft.

Den Auftritt der SpVgg nur auf die Grundtugenden zu reduzieren, würde diesem allerdings nicht gerecht werden. Man sah die Hachinger zwar tatsächlich das ein oder andere Mal nach hinten sprintend (und sogar grätschend, wenn man sich nicht täuscht) - doch sie verstanden es gerade in der ersten Hälfte auch, immer wieder zu gefälligen Konterangriffen anzusetzen und Würzburg zu fordern.

Noch einmal trifft die SpVgg in dieser Saison auf Würzburg, Anfang April im Pokal

In diesem Zug fiel besonders Stefan Schimmer, 24, auf. In seiner Anfangszeit nur Reservist, hat sich der Angreifer inzwischen längst als Stammkraft bewährt. In Würzburg war er nicht nur wegen des entscheidenden Treffers nach gut einer Viertelstunde der auffälligste Hachinger, von ihm ging generell die größte Torgefahr aus. Acht Kilo habe er, den sie wegen seiner Ähnlichkeit mit dem späten Gerd Müller "Bomber" nannten, verloren, seit er vor gut eineinhalb Jahren als Feierabendfußballer aus Memmingen nach Unterhaching gekommen sei. Das hat Schimmer mal erzählt. In dieser Saison vereint er Dynamik und Robustheit, Instinkt und Wucht. In 21 Einsätzen hat er zehn Tore und vier Vorlagen zustande gebracht. Nur Stephan Hain (13 Tore/vier Assists) hat mehr.

Als Schromm am Montagabend in Würzburg die zurückliegenden 90 Minuten analysiert hatte, kam er noch mal kurz auf das Halbfinale im Landespokal zu sprechen, das seine Mannschaft Anfang April ein drittes und in dieser Saison letztes Mal mit den Kickers zusammenführt. Er hoffe, sagte Schromm, Würzburg dann "in aller Ruhe, ohne Emotionen" wiederzusehen. In der Nachspielzeit hatte der Eifer im Gefecht schließlich überhand genommen - wenngleich auf Seiten der Kickers: Phil Ofosu-Ayeh leistete sich bei einer Rudelbildung einen Kopfstoß und sah Rot.

© SZ vom 06.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: