Spielerberater:"Den Fußball traf Corona unvorbereitet"

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Der Spielerberater Berthold Nickl, 48, über Änderungen im Markt, unmoralische Gehälter, Notfallpläne und Spanferkel.

Interview von Ralf Tögel

Überall Monitore, ständig fiepst und klingelt es, laufend kommen Anrufe: Berthold Nickl, 48, bringt nichts aus der Ruhe, schließlich muss er sich um Klienten wie Manuel Neuer (unten) oder Sebastian Rode kümmern. (Foto: Claus Schunk)

SZ: Wie gehen die Geschäfte?

Berthold Nickl: So wie immer.

Kein Unterschied? Nach wie vor wütet eine Pandemie.

Der Unterschied liegt in der Welt, nicht in unserem Beruf und unserer Tätigkeit. Natürlich ist um uns herum gerade alles ein wenig verrückt: Die Menschen haben Angst. Den Fußball hat Corona völlig unerwartet und auch unvorbereitet getroffen. Man hat in Vereinen und Verbänden gemerkt, dass vieles zunächst sehr hilflos gewirkt hat. Inzwischen hat aber auch hier eine zuverlässige Klarheit Einzug gehalten.

Waren Sie auch hilflos?

Für uns als Agentur war wichtig, dass wir stets handlungsfähig waren und im Prinzip gleichzeitig mit dem Shutdown ein relativ umfangreiches Expertisepaket für unsere Spieler am Start hatten - sowohl sportlich als auch juristisch.

Warum juristische Expertise?

Um Antworten auf Fragen zu Kurzarbeit oder Gehaltsverzicht zu haben. Gerade Amateurvereine hatten vereinzelt versucht, die Gunst der Corona-Stunde zu nutzen, um sich aus wirtschaftlichen Verpflichtungen herauszunehmen. Einige Regionalligisten haben probiert, ziemlich rustikal die Gehälter ganz oder teilweise nicht zu bezahlen.

Dann waren Sie bei den Schnellen?

Wir brauchten 24 Stunden, nachdem klar war, dass ein Shutdown kommt. Unsere Juristen waren dann täglich an einer Hotline erreichbar. Als das Mannschaftstraining ganz verboten wurde, haben wir sofort videobasierte Heimtrainingsprogramme aufgelegt, Angebote zur Trainingsplangestaltung gemacht und dafür auch Trimm-Dich-Pfade in der Umgebung, so lange sie nicht gesperrt waren, als Trainingsstätten genutzt.

Wie viele Spieler mussten Sie versorgen?

Hier in München 70, bundesweit über 250. Die Nachwuchsspieler aus der Region, die zwischen 16 und 21 Jahre alt sind und bei Vereinen in und um München spielen, daneben die Profis, die wir über unser Regionalbüro von hier aus betreuen.

Nur Jugendliche?

Nein, sowohl Nachwuchsspieler als auch Profis wie Julian Baumgartlinger (Bayer Leverkusen), Christopher Schindler, der im englischen Huddersfield spielt, oder Manuel Neuer bei den Bayern.

Wird sich der Markt verändern?

Das wissen wir noch nicht. Gerade wird im Fußball viel gejammert. Vereine, die eine hohe Abhängigkeit von Zuschauerzahlen haben, wird es stärker treffen.

Also je unterklassiger, desto schlimmer?

Das kann man so nicht sagen, ein Regionalligist wie Buchbach ist so ein ganz klassischer Verein auf dem Land, der eben primär von Zuschauereinnahmen und vom Spanferkelverkauf lebt. Es gibt aber auch Regionalligisten, die stark von Einzelmäzenen abhängen, für die ist die Anzahl der Leute im Stadion nicht so wichtig. In der Bundesliga wird sich im Mittelbau etwas verändern, aber die Toptransfers wird es nach wie vor geben - ich denke auch mit den Steigerungsraten wie zuvor.

Also weiter 100-Millionen-Deals. Finden Sie solche Summen nicht unanständig?

Wenn ein Klub einen Spieler unbedingt will, werden solche Transfers vorkommen. Ich halte das für legitim. Solche Summen bezahlt ja kein Vollidiot. Wenn jemand einen Spieler für 100 Millionen verpflichtet, hat er einen betriebswirtschaftlichen Plan, dass sich diese Investition durch Fernsehübertragungsrechte, Trikotverkäufe oder Sponsorenmehreinnahmen amortisiert. Ob ein wirtschaftliches Konzept dahintersteht oder es in Einzelfällen ein Liebhaberpreis ist, das ist Thema des Käufers.

Finden Sie das nicht unmoralisch?

Wenn ich hochrechne, was ein Chefarzt pro Stunde im Vergleich zu einem Krankenpfleger verdient, kann ich auch fragen, ob das moralisch noch okay ist. Und ich spreche noch nicht von Dax-Vorständen. Die Öffentlichkeit sieht meist nur die Spitze des Eisbergs. Über den Transfer des Spielers innerhalb der dritten Liga spricht niemand, der dann knapp 2500 Euro netto verdient.

Also ändern sich doch die Preise?

Das Gehaltsspektrum im Fußball hat sich schon immer zwischen ganz kleinen und sehr großen Gehältern bewegt. Wenn Vereine weniger Geld einnehmen, werden die Gehälter sinken - besonders außerhalb der Welt- oder europäischen Spitze.

Erwarten Sie Insolvenzen?

Das ist nur bei Klubs zu erwarten, die vorher schon gefährdet und "auf Kante genäht" waren, in der Bundesliga dürfte uns zeitnah nichts blühen.

Und darunter, bei Amateurvereinen?

Im Amateurbereich wird es sicher Klubs geben, die kurz- oder mittelfristig das Ausbleiben geplanter Einnahmen nicht verkraften werden. Wir arbeiten auch bisweilen mit Klubs aus der Regionalliga, und ich kann nur hoffen, dass möglichst alle Vereine es packen. Auch wenn unser Fokus auf den drei Profiligen liegt, sind Regional- und teilweise auch Oberligen wichtig für junge Spieler, um sich zu entwickeln.

Ein Spielervermittler mit idealistischem Ansatz?

Bisweilen sicher. In Buchbach darf ich manchmal umsonst Spanferkel essen (lacht). Die Wege für Spieler in den bezahlten Fußball sind vielfältig, auch ein guter Regionalligist kann für den einen oder anderen Spieler eine Option sein, sich zu entwickeln und für höhere Aufgaben zu empfehlen. Sehen Sie Florian Niederlechner, dessen Weg ihn von der Landesliga bei Falke Markt Schwaben über Ismaning und Unterhaching in die Bundesliga gebracht hat.

Wie geht eine Akquise vonstatten?

Meistens durch Empfehlungen. Aber auch aus den Ergebnissen unserer eigenen Marktbeobachtung kommen wir mit Spielern ins Gespräch. Jemand, der uns kennt und schätzt, empfiehlt uns dem Spieler. Dann stellen wir unser Angebot vor und loten miteinander aus, ob eine Zusammenarbeit für beide Seiten Sinn ergibt.

Lehnen Sie auch Spieler ab?

Selten. Da wir aber für Spieler kostenlos arbeiten und uns eine herausragende Betreuung ein großes Anliegen ist, müssen wir verantwortlich mit unseren Ressourcen umgehen.

Was ist eine herausragende Betreuung?

Wir unterstützen unsere Spieler ganz gezielt in den Bereichen, die erfolgsrelevant für sie sind: Wir unterhalten ein großes und äußerst differenziertes Expertennetzwerk im medizinischen Bereich, ermöglichen in nahezu allen fußballspezifischen Bereichen individuelle Förderung, zwei Fachjuristen kümmern sich um die rechtlichen Fragestellungen. Daneben unterstützt unser Pressesprecher von uns betreute Profis bei der Medienarbeit. Nicht zuletzt bieten wir Unterstützung im PR-Bereich und bei Vermarktungsthemen an.

Sie leben von den Provisionen - bei Manuel Neuer dürfte das lukrativ sein.

Die Honorare orientieren sich am Jahresgehalt und der Transfersumme des Spielers, das unterscheidet den Bundesligatransfer von dem in die Regionalliga. Inhaltlich unterscheiden sie sich nur in der Komplexität. Die grundlegenden Themen und Inhalte sind oftmals sehr ähnlich.

Was passiert mit Spielern, die es nicht in die Bundesliga schaffen?

Da haben wir einen ganz guten Kontakt zu guten Amateurvereinen und amerikanischen Colleges, wo die Spieler über vier Jahre ihr Studium finanziert bekommen. Wir arbeiten auch mit dem internationalen Fußballinstitut in München zusammen, das bietet eine duale Hochschulausbildung an. Bei uns fliegt keiner raus, nur weil er es nicht geschafft hat. Vielmehr sehen wir in jedem Spieler auch einen künftigen Netzwerkpartner, in welchen Bereich es ihn am Ende auch immer verschlägt.

Aber Ihr Job hat einen schlechten Ruf.

Weil es wie fast überall unseriöse Mitspieler auf jeder Seite gibt. Was aber vergessen wird, ist, dass ein Spielerberater fast keine unseriösen Geschäfte alleine machen kann. Korruption braucht immer zwei Seiten, das ist nie eine Einbahnstraße. Für mich selbst kann ich sagen, dass ich in den vergangenen fast 20 Jahren keine Situation erlebt habe, wo mir ein unseriöses Geschäft angeboten worden wäre. Deshalb hat sich für mich die Frage nie gestellt.

Na klar, weil Sie so ehrlich sind?

Das schreiben wir uns ganz groß auf die Fahne. Ein seriöser Ruf ist essenzielle Grundlage unserer Tätigkeit. Und gerade in schwierigen Zeiten suchen Spieler einen fachlich starken und im Geschäftsgebaren seriösen Partner.

Also profitieren seriöse Agenturen?

Davon bin ich überzeugt.

Es ist aber nicht schwer, eine zu gründen.

Das liegt zunächst im Wegfall der Spielervermittlerlizenz vor fünf Jahren begründet. Inzwischen kann wirklich jeder, der eine Registrierungsgebühr von ein paar Hundert Euro an den DFB überweist, eine eigene Berater-Butze aufmachen. Eine verbandsseitige Qualitätssicherung ist nicht mehr gegeben. Und das merkt man auch. Für uns gilt es, uns in einem immer bunteren Markt als seriöser und kompetenter Partner zu positionieren.

Wie oft spüren Sie Ablehnung im Job?

Immer dann, wenn man entweder nichts von mir will, oder das, was man will, nicht bekommt. ( lacht). Das ist wie McDonalds, ganz Deutschland schimpft über Fastfood - aber das goldene M macht jeden Morgen wieder auf. Ganz platt: Will ein Klub einen Spieler, findet er den Berater erst mal gut. Bis zu dem Punkt, wenn man ihm absagt oder die Forderung dem Klub nicht passt. Dann ist der Spielerberater schlecht.

Gilt das für alle Klubs?

Nein, das ist mit grobem Stift gezeichnet. Mit vielen Klubs sind über die Jahre durch viele gemeinsame Transfers tragfähige Geschäftsbeziehungen gewachsen. Dennoch darf man nicht verkennen, dass das reflexartige Berater-Bashing in Deutschland nach wie vor Hochkonjunktur hat. Das einzige, was wir tun, ist Spieler und Vereine zusammenzubringen. Das ist weder per se unseriös noch gierig. Dass in einem Bereich, wo so viel Geld auf dem Tisch liegt, auch Menschen angezogen werden, die weniger seriös sind, liegt in der Natur der Sache.

Und den Fans ist das sowieso egal?

Am Ende wird Fußball gespielt und die Leute gehen in die Stadien, ganz einfach.

Was sie noch nicht dürfen.

Ich glaube, dass wir im Herbst schrittweise mit Publikum spielen und es mit der Zeit in den Stadien auch wieder voller wird.

Und wenn die Infektionszahlen steigen?

Ich bin ziemlich sicher, dass es keinen nationalen Lockdown mehr geben wird. Man kann aber nie ausschließen, dass in einer Fleischfabrik oder auf einem Gemüsehof Unheil geschieht.

Wie soll das gehen? Union Berlin will die Zuschauer vor dem Spiel testen.

Die Idee finde ich super kreativ, Respekt vor den Verantwortlichen dort. Das ist eine der sympathischen Seiten der Krise, dass Menschen zeigen können, dass sie in der Problemstellung gute Einfälle haben, auch mal quer denken und nicht nur destruktiv sind und lamentieren.

Variante zwei sind weniger Zuschauer.

Ich finde die Berliner Idee besser. Am Ende geht es darum, das Fußballerlebnis wieder möglichst vielen Menschen unmittelbar zu ermöglichen, ohne unnötige Risiken einzugehen. Wenn der Philosoph Kant sagt, dass Glück nur in dessen Abwesenheit verstanden werden kann, dann gilt das auch für die Bundesliga. Erst durch das Verbot der öffentlichen Spiele wurde bewusst, welche gesellschaftliche Funktion der Fußball nach wie vor hat.

Und sobald ein Impfstoff da ist, wird alles wie immer?

Nein, wir hatten durch den Lockdown eine völlige Entrhythmisierung von Training und Spielbelastung. In meinen Augen laufen wir auf eine Verletzungsmisere zu, das übersehen die meisten im Moment noch.

Wie glauben Sie, verändert sich der Markt im Rest der Welt, in Asien, Afrika oder Südamerika?

Es wollen sehr viele Spieler nach Deutschland, für die das vor einem Jahr noch kein Thema war. Das Spielerangebot für die Klubs vergrößert sich spürbar.

Warum?

Weil wir mit der Krise in der Wahrnehmung des Auslandes sehr viel besser umgegangen sind. Auch wenn wir das mit unserem nationalen Minderwertigkeitskomplex nicht glauben, weltweit schauen alle auf uns, wie wir das handeln. Viele Zielmärkte, wo wir hinvermitteln könnten, haben ganz massive wirtschaftliche Probleme, wie Spanien, Portugal oder Italien.

Wird Ihr Job jetzt schwieriger? Sie müssen viel reisen.

Die Atemmaske im Flieger geht mir unfassbar auf die Nerven, aber es ist halt notwendig. Ich glaube, dass wir auf den ersten Blick sehr von den ganzen sozialen Medien und anderen Kommunikationsmitteln profitieren. Aber bei wichtigen Fragen wird das persönliche Zusammentreffen unabdingbare Voraussetzung bleiben.

Also doch das gepflegte Essen anstatt einer Videokonferenz?

Am liebsten im Besprechungszimmer eine Stunde hart arbeiten und danach gemeinsam zum Essen. Spieler haben vier, fünf Verträge in ihrer Laufbahn, jeder einzelne ist für sie unfassbar wichtig. Das ist für mich eine leidenschaftliche Arbeit, das gibt es nicht von der Stange. Da ist es egal, ob es in der dritten Liga um 3000 Euro oder in der Champions League um viele Millionen geht. Es geht nicht nur um eine Summe, es geht um Gesamtpakete, die für Spieler und Klub funktionieren sollen.

Das Geld ist nicht im Vordergrund?

Was bringt es, wenn ich dem Spieler einen super Vertrag mache und er vier Jahre auf der Bank sitzt und kreuzunglücklich ist?

Ihnen bringt es Geld.

Ja, und danach habe ich einen kompletten Karriere-Pflegefall. Das macht wenig Sinn und wäre zu kurz gedacht.

Das kann Ihnen doch egal sein.

Niemals, das ist nicht unsere Haltung. Wir gehen diesen Weg zusammen mit den Spielern. Und wir wollen, dass aus sportlichem und wirtschaftlichem Erfolg eine starke Biografie wächst, die den Spieler trägt.

Zurück zur Kernfrage: Wird sich das Geschäft überhaupt wieder normalisieren?

Ich glaube: ja, die Frage ist, wie schnell. Am Ende wollen die Leute Brot und Spiele haben, sie werden ins Stadion gehen und in Buchbach wieder Spanferkelsemmeln kaufen. Dann ist wieder Geld da, das im Fußball ausgegeben wird. Der Fußball wird seine gesellschaftliche Bedeutung behalten, vielleicht wird sie sogar noch größer.

Also bald alles vergessen?

Sicher nicht. Besonders im Amateursport werden die langen Unterbrechungen durch Corona Auswirkungen haben. Manche werden aufhören, Fußball zu spielen. Die Menschen entwickeln schnell neue Freizeitkonzepte.

Playstation statt Kicken?

Zum Beispiel, bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen geht das schnell. Es gab vier, fünf Monate kein Vereinsleben, das lebt von Bindungen, und wenn man sich nicht sieht, lösen sich Verbindungen auch schnell auf.

Findet diese Entwicklung nicht längst statt?

Doch. Der gesellschaftliche Schaden ist schon da. Viele Menschen verlassen Vereine. Langfristig wird das für den ganzen Fußball ein großes Problem.

© SZ vom 13.08.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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