Süddeutsche Zeitung

Speedway:Nervensache

Martin Smolinski wollte an diesem Freitag beim Grand Prix in Breslau starten. Stattdessen zwingt den Olchinger ein fürchterlicher Trainingssturz zu monatelanger Reha.

Von Christoph Leischwitz, Olching

In diesem einen Moment kam dann einfach unheimlich viel Pech zusammen. Martin Smolinski war Ende Mai extra nach Leipzig gereist, um trainieren zu können, in Bayern war das während des Lockdowns überhaupt nicht möglich gewesen. Er hatte sich gefreut: Endlich mal wieder richtig Gas geben. Am Ende mischte sich in die Euphorie aber auch Müdigkeit. Nun war er schon einen halben Tag auf der Maschine gesessen, die Konzentration ließ allmählich nach. Nur ein paar Runden wollte er noch drehen. Auf der Geraden hatte er das Vorderrad wohl ein bisschen zu spät abgesetzt, die Reifen hatten keinen richtigen Griff, der Einlenkpunkt für die Kurve kam zu spät. Der Speedway-Profi verlor die Herrschaft über die Maschine und krachte in die Mauer. Mit der Hüfte voraus.

Drei Monate später findet an diesem Freitag das erste Grand-Prix-Rennen statt. Das polnische Breslau bildet den Auftakt dieser WM-Serie - ein Ritterschlag für jeden teilnehmenden Speedwayfahrer. Smolinski war gerade so hineingerutscht ins Feld, weil ein US-Amerikaner aus privaten Gründen zurückziehen musste. Vergangene Woche nun entschied sich Smolinski zum selben Schritt: "Wir haben lange gewartet und vorher alle Möglichkeiten durchgespielt", sagt er über die aufwendigen Reha-Maßnahmen in diesem Sommer. Noch vor vier Wochen hatte er bekanntgegeben, er gehe fest davon aus, beim Grand Prix zu starten. Zuletzt habe man sich überlegt, Rennen für Rennen einzeln abzusagen. "Aber das wäre nicht fair gegenüber dem Veranstalter und auch gegenüber den Fans." Ein Start wäre wohl ohnehin sehr riskant für die Gesundheit geworden. Nachgerückt ist für Smolinski nun der Däne Mikkel Michelsen.

Es war schon vor diesem Unfall unheimlich viel zusammengekommen. 2019 hatte sich der 35-jährige Olchinger zum ersten Mal überhaupt bei einem Sturz das Schlüsselbein gebrochen, obwohl das unter Speedwayfahrern relativ häufig vorkommt. Im Dezember vergangenen Jahres wurde ihm von einem Parkplatz in Schweden eines seiner Motorräder geklaut. Zudem hatte sich einer seiner Sponsoren in einen Rechtsstreit gewagt, sozusagen stellvertretend für ihn selbst, weil Smolinski und sein Geldgeber über soziale Medien verleumdet worden seien. Und dann waren auch noch zwei Mechaniker verstorben, viel zu früh und unerwartet.

Nach seiner Schulterverletzung hatte sich Smolinski noch als unerschrockener Draufgänger gegeben. Jetzt hört er sich deutlich nachdenklicher und weniger draufgängerisch an. "Der Körper braucht eine Pause. Ich bin alles andere als fit. Ich habe auch immer noch Schmerzen", sagt er. Dabei war er direkt nach dem Unfall operiert worden. Es sei ja auch nicht nur die Hüftpfanne und der Oberschenkelhals kaputt gewesen, "auch die Muskulatur drumherum ist immer noch sauer." Das aktuell größte Problem sind die in Mitleidenschaft gezogenen Nerven. Insgesamt also ein überaus traumatisches Erlebnis. Smolinski hofft, im Oktober wieder auf einem Motorrad sitzen zu können, bis dahin ist ausschließlich lästige Reha angesagt.

Doch Smolinski ist noch lange nicht so weit, nun schon über sein Karriereende nachzudenken. "Im Gegenteil", sagt er, er fiebere dem Tag entgegen, wieder Rennen fahren zu können. Wann immer das sein wird. Normalerweise würde er nun womöglich sagen, dass man in Coronazeiten ja weniger verpasst als in anderen Jahren - aber durch seine Grand-Prix-Absage stimmt das nicht ganz. Die Veranstaltung in Polen hätte den zusätzlichen Vorteil gehabt, dass Zuschauer erlaubt sind. Der Veranstalter darf die Stadionkapazität zu 25 Prozent nutzen. Für Smolinski gilt es nun, sich wieder heranzukämpfen und erneut zu qualifizieren. Davor war ihm das nur einmal gelungen, 2014 gewann er das WM-Rennen in Neuseeland völlig überraschend.

Trotzdem arbeitet der deutsche Rekordmeister schon an der zweiten Karriere. Kürzlich kaufte er eine Firma, die auf Motoreninstandsetzung spezialisiert ist. "Von einem der besten Motoren-Tuner in unserem Sport das komplette Know-how zu kaufen - bei der Gelegenheit konnte ich nicht Nein sagen", erzählt er. "Ich lebe vom Speedwayfahren. Ich bin kein Fußballer, der mit 40 ausgesorgt hat. Aber ich kenne mich mit Motoren aus, und ich habe gerne dreckige Finger."

Wann in Deutschland wieder Rennen stattfinden, insbesondere mit Zuschauern, vermag im Moment niemand zu sagen. Er möchte aber bereit sein. Auch wenn man hinter dem Motorengeräusch die Zuschauer gar nicht hören könne - "man spürt ihr Adrenalin". In diesem Moment hört sich Martin Smolinski tatsächlich wieder so an, als ob er mit dem Kick im eigenen Körper noch nicht abgeschlossen hat.

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Quelle:
SZ vom 27.08.2020
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