Süddeutsche Zeitung

Snowboard:Rückkehr der Ausbrecherin

Verband plant mit Silvia Mittermüller für Olympia

Von Johannes Schnitzler

Silvia Mittermüllers Karriere begann mit einem Knick. "Ich habe mir sofort den Arm gebrochen", erzählt die Münchnerin von ihren ersten Versuchen auf dem Snowboard. 14 war sie damals und hasste den Winter. Aufs Snowboard stieg sie nur, weil ihre Eltern es ausprobieren wollten. Bald aber merkte sie, dass ihr das Snowboarden nicht nur körperliche Frakturen, sondern vor allem die Möglichkeit zum Ausbruch aus ihrer behüteten Welt eröffnete, der Welt einer Musterschülerin mit Ballett, Reitstunden und Klavierunterricht. "Mit 13 fühlte ich mich gefangen", sagt Silvia Mittermüller.

Die ersten Schritte und Stürze auf dem Weg in die Freiheit erlebte sie noch auf dem Skateboard. Nach dem Umstieg auf das Snowboard wurden die Verletzungen mehr und heftiger, aber die Gewissheit wuchs: Das ist mein Ding.

Die blutigen Nasen der Jugend haben Silvia Mittermüller ganz gut auf die Strapazen einer Profi-Karriere vorbereitet: Sie hat Kreuzbandrisse, Gehirnerschütterungen, einen ausgekugelten Ellenbogen hinter sich. Aber die Überzeugung blieb. Nun, mit 32, ist Mittermüller, seit Jahren die beste deutsche Freestyle-Snowboarderin, plötzlich die neue deutsche Olympia-Hoffnung. Und das, obwohl ihre Beziehung zum Deutschen Snowboard Verband (Snowboard Germany) oft so schmerzhaft war wie ein gebrochener Knochen. "Ein schwieriges Thema", sagt Mittermüller.

Vor 15 Jahren, am 18. November 2000, gab Mittermüller in Tignes ihr Weltcup-Debüt. 2003 wurde sie Zweite der Junioren-WM in der Halfpipe, 2005 gewann sie bei den X-Games in Aspen Silber im Slopestyle, der Fahrt über einen Hindernisparcours, ähnlich einem Skatepark. Vor zwei Jahren schloss sie die Gesamtwertung der Ticket to Ride World Snowboard Tour als Dritte ab, sagte anschließend sogar die WM ab aus Angst, sich zu verletzen - die Olympischen Spiele 2014 in Sotschi sollten ihr Höhepunkt werden. Der Verband teilte ihr seine Enttäuschung über ihre Entscheidung mit. Dann kam der 1. Dezember 2013. An diesem Tag endete Silvia Mittermüllers Olympia-Traum: Achillessehnenriss. "Das war ein heftiger Schlag für mich." Mit der Verletzung war auch die Sportförderung abrupt beendet. Aber Mittermüller ist eine Meisterin des Selbstmanagements. "Der Grund, warum ich mit 32 im Profizirkus noch dabei bin, ist grenzenlose Leidenschaft." Damit kämpft sie sich zurück an die Spitze.

In Eigenregie fährt sie nach Australien und qualifiziert sich bei ihrem ersten Wettbewerb nach der Verletzungspause für die WM. Beim Weltcup-Auftakt im vergangenen August in Neuseeland wird sie Achte, im Europacup Anfang November Erste und Zweite. Bereits im Mai gab es ein Treffen mit dem Verband. Weil der Parallel-Slalom aus dem olympischen Programm geflogen ist, haben die Freestyler im Hinblick auf Olympia 2018 an Gewicht gewonnen. "Wir haben mit potenziellen Slopestyle- und Big-Air-Athleten konkrete Vereinbarungen für eine Förderung in Richtung Pyeongchang abgeschlossen. Silvia hat diese Vorgaben bereits mit Top-Ergebnissen erfüllt", sagt Stefan Knirsch, Sportdirektor bei Snowboard Germany. "Olympia ist das einzige, was mir noch fehlt, was ich nie erlebt habe", sagt Silvia Mittermüller. Deshalb habe sie den ersten Schritt getan: "Man kann das eine Rückkehr nennen."

Es war ihr erster Schritt in eine neue Freiheit, die Freiheit, Kompromisse einzugehen, ohne sich zu kompromittieren. "Ich bin nicht mehr die Vermarktungspuppe wie mit 17", sagt sie. "Aber ich bin noch gut dabei."

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Quelle:
SZ vom 26.11.2015
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