Süddeutsche Zeitung

Snowboard:Mit 23 in den Kindergarten

Was wäre gewesen, wenn? Maximilian Stark hatte mehr Verletzungen als Erfolge. Jetzt hat der Unterhachinger seine Profi-Karriere beendet. "Passt schon", sagt er

Von Johannes Knuth

Es gebe einfache und schwere Tage in seinem neuen Leben, sagt Maximilian Stark. Die einfachen Tage sind die, an denen er aufsteht, ohne dass allzu viel schmerzt. An schweren Tagen ist das so eine Sache. Mit dem Aufstehen. Starks rechter Oberschenkel ist seit ein paar Jahren kürzer als der linke, sein Becken steht deshalb schief, das wirkt sich wiederum auf die Lendenwirbel aus. An schlechten Tagen tut Starks Rücken so sehr weh, "da möchte ich am liebsten liegen bleiben". Aber alles in allem gehe es ihm doch ordentlich. Jetzt, da er seine Karriere als Snowboard-Profi seit ein paar Tagen hinter sich hat. Mit 23 Jahren.

Maximilian Stark aus Unterhaching hat vor rund einer Woche also sein Leben als Hochleistungssportler beendet. Zurück bleiben Schmerzen und ein Konjunktiv: Was wäre erst möglich gewesen, wenn . . ? Stark galt lange als große Hoffnung im kleinen deutschen Snowboard-Verband, in der Disziplin Snowboardcross. Er wurde ausgebildet in Österreich, auf der Skihandelsschule Schladming, seine Familie besitzt in der Nähe ein Ferienhaus. Seine Eltern nahmen irgendwann Kontakt zum deutschen Verband auf, der holte Stark gerne zu sich. Er wurde zweimal Vierter bei der Junioren-WM. Er war selbstbewusst, zu selbstbewusst am Anfang, weil er nicht begriff, dass man für den Weg in die Elite etwas mehr Zeit einplanen muss als nur ein paar Wochen. Aber er lernte, tastete sich langsam nach oben, wurde Vierter im Weltcup. Dann kam der 7. Dezember 2012.

Stark schlängelte sich durch einen Kurs in Montafon, in der Qualifikation. Er erwischte einen Sprung schlecht, segelte rund 50 Meter unkontrolliert durch die Luft. Stark zog sich einen Riss des Quadrizeps und einen Bruch des rechten Oberschenkelknochens zu. Statt die Planungen für die Winterspiele 2014 voranzutreiben, schlug Stark sich mit diversen Operationen und Rehaprozessen herum. Die Ärzte fixierten den Bruch mit einer Platte und zehn Schrauben, der Knochen heilte ein bisschen, dann löste sich die Platte, die Ärzte setzten einen Marknagel ein, um den Knochen zu stabilisieren, darauf entfernten sie einen Verriegelungsbolzen. Der Heilungsprozess zog sich hin. Manchmal klang es so, als würde da ein Lastkraftwagen repariert, nicht ein Mensch. Stark probierte sich doch noch an der Olympiaqualifikation, aber der Oberschenkel verhinderte dies. Er wechselte das Fach, fuhr nicht mehr Snowboardcross, über eine Piste mit Steilkurven und weiten Sprüngen, sondern Parallelslalom, das schonte die Knochen ein wenig. Es half alles nichts. "Im letzten Oktober waren die Kraftwerte miserabel", sagt Stark. Die WM im Januar verpasste er. Wenig später gab er auf. "Es ist bitter, einen Athleten wie Maxi so früh verabschieden zu müssen", sagt Stefan Knirsch, Geschäftsführer vom deutschen Verband Snowboard Germany. Stark hat sich von dem Frust weitgehend gelöst, "es war ja kein spontaner Entschluss", sagt er, sondern einer, der die vergangenen zwei Jahre reifte. "Passt schon", sagt Stark.

Wobei, ein wenig sauer sei er schon, auf die deutsche Sportförderung. Im Cross, in jenem Metier, in dem er ausgebildet wurde, benötigt man vor allem Erfahrung. Bis zu sechs Fahrer kurven gleichzeitig über einen Kurs, nur die besten zwei, drei Athleten werden in den nächsten Lauf befördert, das erfordert Kalkül, Robustheit, physisch wie psychisch. Die Besten erreichen den Gipfel ihrer Schaffenskraft für gewöhnlich mit 28, 29 Jahren. "Das deutsche Sportsystem sieht einen Athleten aber mit 23 Jahren in der Weltspitze", sagt Stark, zumindest in den Top 30. Egal, ob es sich um Biathlon handelt oder Snowboardcross. Das sei, mit seiner Krankenakte, "eigentlich ein Ding der Unmöglichkeit gewesen", findet Stark. Wer sich schwerwiegend verletzt, den spuckt der Hochleistungsbetrieb recht schnell aus. Der leidet darunter, dass das Fördersystem eigentlich ein Belohnungssystem ist, in dem vor allem die gefördert werden, die sich bereits bis an die Spitze durchgeschlagen haben. Stark hätte seinen Platz in der Sportfördergruppe der Bundeswehr wohl bald räumen müssen, er hätte zudem sehr bald einen Arbeitgeber auftreiben müssen, der ihm 200 freie Tage im Jahr gönnt. Das sei, im Einklang mit seiner Reha, kaum machbar gewesen, sagt er. Stark ist dem Snowboard-Verband dankbar, das schon, sie vertrauten ihm ja bis zuletzt. Aber "die Leute da oben in Frankfurt", wo der Deutsche Olympische Sportbund seinen Sitz hat, die hätten "keine Ahnung von dem, was sie da bewerten". Der 23-Jährige klingt jetzt ein wenig verbittert. Allerdings nur kurz.

Stark kann aus mehreren Karriereoptionen wählen, das ist nicht bei allen Spitzensport-Alumni der Fall. Er hat gerade an der Ostsee geurlaubt, hat an seinem Trainerschein im Kitesurfen gearbeitet. Auch die Snowboarder würden ihn gerne als Trainer einstellen. Stark hatte sich diese Option ohnehin zurechtgelegt, jetzt greift er sie vielleicht früher auf als geplant. Ab und zu fährt er selbst ein wenig, das geht schon noch, trotz Beckenschiefstand. "Die wirklichen Nachwehen werde ich wohl erst in ein paar Jahren sehen", sagt er. Aber nach allem, was er in den vergangenen zwei Jahren durchgemacht habe, glaubt Stark, "ist alles Weitere jetzt fast ein Kindergarten".

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SZ vom 09.06.2015
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