Süddeutsche Zeitung

Snowboard:"Froh, dass ich überhaupt noch fahren kann"

Nach langer Zwangspause ist Deutschlands bester Snowboarder Patrick Bussler zurück auf der Weltcup-Piste. Die Infektion im Knie ist überwunden. Zur WM könnte es für den Olympiavierten aber knapp werden

Von Korbinian Eisenberger

Hinter dem Esstisch hätte Patrick Bussler im Februar 2014 eigentlich gerne einen Nagel in die Wand geschlagen. Zuhause in Aschheim, oberhalb der Leinwand mit den fünf olympischen Ringen. Dort würde sie jetzt baumeln: Jene Medaille, die er im Parallel-Riesenslalom der Snowboarder dann doch noch verpasste, als er im trockenen Schnee von Sotschi auf den vierten Platz carvte. Elf Monate sind seitdem vergangen. Elf Monate, in denen sich der 30-Jährige weniger mit Medaillenträumen und seinem Raceboard beschäftigte, sondern nahezu wöchentlich Arztpraxen und Krankenhäuser aufsuchte. Elf Monate, in denen es plötzlich hieß, dass der Profi-Snowboarder Bussler womöglich nie wieder snowboarden dürfe.

Dabei sah alles so rosig aus für den Mann vom SC Aschheim, der bei Olympia so nah dran war am Edelmetall wie bisher kein anderer deutscher Snowboarder. Die Niederlage im kleinen Finale von Sotschi hatte er schnell weggesteckt. Angestachelt von der verpassten Medaille sei er zu Beginn des Sommers "voll motiviert" gewesen, sagt Bussler. Die Weltmeisterschaft vom 15. bis 25. Januar vor Augen, habe er "gut und viel trainiert". Es hätte eine schöne Saison werden sollen. Eine, in der das in Vergessenheit geratene Hochgefühl, auf dem Stockerl zu stehen, wieder aufkeimen sollte. Kopf, Form, Material - alles stimmte. Dann meldete sich der Körper.

Ende Juni wachte Bussler mit starken Knieschmerzen auf. "Ich dachte erst, es muss irgendwas am Meniskus sein", sagt Bussler heute. Kurz darauf stellte sich heraus, dass sich der Aschheimer einen bakteriellen Infekt im linken Knie zugezogen hatte. Die Ursache ist bis heute ungeklärt. Die Auswirkungen damals waren fatal: Nach dem linken schwoll auch das rechte Knie um zwei Zentimeter auf Handball-Größe an. "Wir haben versucht, es mit Medikamenten in den Griff zu kriegen", sagt Bussler. Doch die Entzündung blieb hartnäckig. "Es gab immer wieder Rückschläge", sagt Bundestrainer Andreas Scheid. Im Oktober wagte Bussler dann unter Schmerzen einen Versuch mit dem Snowboard. "Zu früh", sagt Bussler im Nachhinein. Kurz darauf vermuteten die Ärzte, dass die Entzündung womöglich chronisch sei. Und für Bussler war klar: "Damit hätte ich das Snowboarden vergessen können."

Allein die Vorstellung sei für "Pätzi", wie ihn der Bundestrainer nennt, deprimierend gewesen. Scheid sagt, er habe ihm deshalb zu verstehen gegeben, "dass Gesundheit das höchste Gut ist, das ein Sportler hat". Sportsoldat Bussler stellte das Snowboard also in den Keller, schonte seine Beine, und ging stattdessen täglich zum Rumpftraining. Und tatsächlich: Ein halbes Jahr nach dem Ausbruch der Infektion schlüpfte Bussler das erste mal wieder in seine Snowboardstiefel. Kurz nach Weihnachten die erste schmerzfreie Abfahrt - "ich habe mich ein bisschen wie neugeboren gefühlt", sagt Bussler.

Dass die Entzündung wieder kommt, sei relativ unwahrscheinlich, sagen die Ärzte mittlerweile. Eine Woche vor Beginn der Snowboard-WM wird Bussler deshalb an diesem Freitag wieder bei einem Weltcup-Rennen starten: Bad Gastein, Parallelslalom. Busslers erste Chance, doch noch die WM-Norm zu erfüllen, ist jedoch gleichzeitig seine letzte.

Damit er beim Saisonhöhepunkt am Kreischberg in der Steiermark dabei sein kann, muss Bussler in Bad Gastein unter die besten 16 kommen. "Mit seinem Potenzial ist das absolut realistisch", sagt Scheid. Sollte Bussler es auf der Zielgeraden noch zur WM schaffen, traue er ihm in beiden Disziplinen, sowohl im Parallelriesenslalom als auch im Slalom den Sprung unter die besten acht zu. "Technisch ist er ganz der alte", sagt Scheid. Es fehle ihm lediglich an Training und Kraft. Bussler selbst drückt sich wesentlich zurückhaltender aus: "Ich habe mir die Ziele nicht so hoch gesteckt." Er sei froh, dass er überhaupt wieder fahren könne. Und dennoch, sagt er: "Wenn alles gut läuft, dann ist ein Top-acht-Ergebnis drin."

Von einer Medaille spricht im deutschen Herren-Team niemand. Lange ist es her, dass Bussler 2009 bei der WM in Südkorea auf den dritten Platz fuhr und Bronze - und damit das letzte Edelmetall für die Snowboard-Herren - gewann. Die Ambitionen von Bundestrainer Scheid dürften freilich weitaus niedriger sein. Schließlich schaffte bei den beiden bisherigen Weltcups lediglich Alexander Bergmann (Bischofswiesen) mit Rang 13 und 15 den Sprung ins Viertelfinale. Genau jene Hürde, die auch Patrick Bussler schaffen muss, um die WM-Norm in Bad Gastein zu erfüllen.

Allzu großen Druck wolle er sich deswegen jedoch nicht aufladen. "Es wird schwer genug", sagt Bussler. Und überhaupt sei die WM für ihn noch lange nicht das Ende. "Ich habe mich entschieden, bis 2018 weiterzufahren", sagt Bussler. Im südkoreanischen Pyeongchang will der dann 34-Jährige einen letzten Anlauf auf eine olympische Medaille nehmen. In jenem Land, in dem er vor sechs Jahren WM-Bronze holte, soll sie 2018 dann enden: Die Jagd nach dem fehlenden Schmuckstück über dem Esstisch.

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Quelle:
SZ vom 09.01.2015
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