Schießsport:Im frischen Wind der fünf Ringe

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Beim Weltcup in Garching fehlt den deutschen Schützen oft nur eine Winzigkeit zum Finaleinzug. Dominiert wird der Wettkampf von den Chinesen.

Von Julian Ignatowitsch, Garching

So ein internationaler Weltcup der Schützen, wie er in diesen Tagen auf der Olympiaschießanlage in München-Hochbrück stattfindet, ist immer auch ein Spiegel der aktuellen Welt- und Gesellschaftslage. Da stand also die Schützin Lin Ying-Shin der Republik China auf Taiwan nach dem Luftgewehr-Finale der Frauen ganz oben auf dem Siegertreppchen und ihre Mitstreiterin Wu Mingyang aus der Volksrepublik China eine Stufe tiefer - und jetzt wurde erst mal darüber diskutiert, ob die Hymne der Siegerin gespielt werden sollte oder nicht. Schließlich erkennt die Volksrepublik China den Inselstaat Taiwan, dessen völkerrechtliche Stellung bis heute umstritten ist, nicht an. Die Hymne Taiwans stellt für chinesische Ohren also eine Beleidigung dar. Weil aber laut den Starterlisten des internationalen Schützenverbandes ISSF sehr wohl ein Unterschied zwischen den Athleten aus der Volksrepublik (Kürzel: CHN) und der Republik China (TPE) gemacht wird, wurden schließlich beide Hymnen gespielt. Alle Beteiligten ließen das Ganze mit etwas unerfreuter Mine über sich ergehen. So sieht Weltpolitik auf sportlicher Bühne also aus.

"Es ist vielleicht schon ein kleiner Vorteil, dass ich die Halle sehr gut kenne", sagt Christian Reitz

Wenn 800 Schützen aus 81 Nationen zusammentreffen, sind solche kleineren Unstimmigkeiten eben auch Teil des Wettbewerbs. Insgesamt aber überwiegt die Verständigung, da sieht man Inder mit Amerikanern lachen und Franzosen auf Englisch parlieren. "Ein großes, buntes Klassentreffen" nennt Ralf Horneber, Sportdirektor des Bayerischen Schützenbunds, diese Veranstaltung. Der Gedanke an den olympischen Geist liegt nahe - und tatsächlich spürt der ein oder andere schon wieder diesen besonderen Wind der fünf Ringe irgendwo zwischen den Buden, Fahnen und Schießständen umherwehen.

Auch wenn in München noch keine Startplätze für die Sommerspiele 2020 in Tokio ausgeschossen wurden, so waren die Wettkämpfe doch ein Fingerzeig in Richtung des großen Events, bei dem auch die Schützen alle vier Jahre mal medial, sportlich und überhaupt im Mittelpunkt stehen. 2016 hat die Sportart ja ihr Image aufpoliert, mit reichlich Medaillen, einem eingeschworenen Teamgeist und dem sympathisch-bayerischen Zungenschlag der Goldmedaillengewinnerin Barbara Engleder. "Davon profitieren wir auch jetzt noch, was Zuschauer, Resonanz und Stimmung angeht", erzählt Gewehrschütze Daniel Brodmeier, damals Vierter und deshalb umso mehr auf Tokio und eine erneute Medaillenchance schielend. "Ich habe da noch was zu erledigen", meint er.

Engleder ist nicht mehr dabei, hat ihre Karriere beendet. Brodmeier gehört mit 30 Jahren zu den Erfahrensten im deutschen Team. Jüngere Athleten wie der 21-jährige Lengdorfer Maxi Dallinger oder die 26-jährige Isabella Straub aus Ebersberg drängen nach. Wie eng es da zugeht, zeigte einmal mehr dieser Weltcup. Trotz guter Leistungen verpassten sowohl Brodmeier als auch Dallinger und Straub eine Finalteilnahme in München, die einen Platz im deutschen Top Team und damit eine vorzeitige Olympiachance garantiert hätte. Brodmeier schoss im Vorlauf des KK-Dreistellungskampfes zunächst Bestleistung (1182 Ringe), baute in der Qualifikation aber ab. Straub (16. Platz) und Dallinger (26.) verpassten am Luftgewehr knapp (1,1 bzw. 1,9 Ringe) die besten Acht. Wenn auf den Zehntelmillimeter genau geschossen wird, bedeutet eben tatsächlich die sprichwörtliche "Haaresbreite" den Unterschied. Um ein Haar wäre auch der Münchner Luftpistolenschütze Michael Heise (578 Ringe, 18. Platz) ins Finale gekommen, aber eben nur: "um ein Haar". Weitere Möglichkeiten folgen bei den kommenden Weltcups.

So war es mal wieder der Pistolenveteran Christian Reitz, auch er einer der sympathischen Goldmedaillengewinner von Rio, der den ersten deutschen Erfolg bei diesem Weltcup in den Einzelwettbewerben besorgte. An der Luftpistole zielte er für Silber, in seiner Paradedisziplin, der Schnellfeuerpistole, legte er Rang sechs nach - hier holte Oliver Geis das zweite Silber. "Es ist vielleicht schon ein kleiner Vorteil, dass ich die Halle sehr gut kenne", meinte Reitz zum Thema Heimvorteil.

Dieser wirkt für manche Athleten aber eher belastend. Die Regensburgerin Monika Karsch, Silbergewinnerin in Rio, enttäuschte in München mal wieder als Schwächste ihrer Mannschaft. Zuvor hatte sie offen über die vielen Termine bei so einem Event gesprochen, wo sie Freunde und Familie treffe, Sponsoren und Presse zufriedenstellen müsse. Das richtige Weltcup-Feeling, die angemessene Konzentration, sei so nur schwer zu finden.

Überhaupt sind die weiblichen Athleten noch damit beschäftigt, sich an Regeländerungen im Zuge der Gleichstellungsbemühungen des Schützenbundes anzupassen. Seit diesem Jahr schießen Frauen und Männer gleich oft und in denselben Disziplinen. "Es ist dadurch schon anstrengender geworden", sagt Schützin Isabella Straub, die die Angleichung aber generell begrüßt. "Auch der Organisationsaufwand hat zugenommen", erklärt Sportdirektor Horneber. Die Wettbewerbe dauern länger, die Hallen sind noch mehr ausgelastet - der Zeitplan wird also noch straffer. Das liegt auch an den neu ins Programm genommenen Mixed-Wettbewerben, die am heutigen Montag ausgetragen werden. Wie in anderen olympischen Sportarten auch, fördert der Verband die Teamwettbewerbe. Beim Schießen heißt das: eine Frau, ein Mann, 80 Schüsse. Die deutsche Mannschaft begrüßt den neuen Wettbewerb mehrheitlich. "Es macht Spaß und ist mal was anderes, abwechselnd zu zweit zu schießen", erklärt Straub, die an der Seite von Dallinger startet. Zudem sind die Medaillenchancen für Deutschland durch die geschlechterübergreifende Ausgeglichenheit im Team relativ gut.

Gut auch - Stichwort Organisationsaufwand -, dass die Luftdruckhalle auf der Schießanlage gerade erst für einen sechsstelligen Betrag saniert wurde und in bestem Zustand ist. Seit den Olympischen Spielen 1972 werden die Stätten hier regelmäßig restauriert, was die Anlage zu einem weltweiten Vorzeigemodell macht - und zum beliebten Reiseziel jedes Schützen. Die Wind- und Lichtbedingungen sind fair, die Grünflächen groß, und so nehmen Athleten aus Australien auch gerne eine 24-stündige Anreise in Kauf. Auch wenn sie dann wieder ohne Medaille nach Hause fliegen, so wie diesmal.

Den Medaillenspiegel führt mal wieder deutlich die Mannschaft Chinas an: dreimal Gold, viermal Silber, zweimal Bronze. Gleich dahinter folgt Taiwan. Was beide Länder im Schießsport von Deutschland unterscheidet? "Die haben einfach viel mehr Vollprofis und ganz andere Trainingsbedingungen, im Rahmen von Militär und Polizei", erklärt Horneber. Auch ein Spiegelbild gesellschaftlicher Verhältnisse.

© SZ vom 28.05.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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