Süddeutsche Zeitung

Schach:Theaterstück in fremder Sprache

Von der Einsamkeit des Königs: In München findet das wohl bestbesetzte Turnier seit 25 Jahren statt - und kaum jemand geht hin. Warum nur?

Von Thomas Gröbner

Armdick sind die Seile, die Schaulustige und Spieler trennen, irgendwo im Bauch eines noblen Hotels am Münchner Hauptbahnhof. Auf dem Boden: ein dicker, grüner Teppich. An der Decke: Kristalllüster. An der holzgetäfelten Wand: Kameras auf Stativen, wie stumme Zuschauer, die niemals blinzeln. Davor sechs Tische, an denen ehemalige Weltmeister und ein Kasparow-Herausforderer sitzen, sie kommen aus Spanien, der Ukraine, dem Iran oder aus München. Sie alle sind Großmeister, der höchste Rang im Schach. Es ist das vielleicht stärkste und beste Turnier, das in München in den vergangenen 25 Jahren gespielt wurde. Und trotzdem bleiben viele Sitze leer.

Schach wird das Spiel der Könige genannt. Aber es wird einsam um das Spiel. Die Krise des Schachsports in Deutschland ist auch eine Aufmerksamkeitskrise. Eine "mediale Wüste" nennt Stefan Kindermann, einer der Initiatoren des Turniers, die Schachberichterstattung. Die Liga dürstet nach Aufmerksamkeit.

Kindermann kämpft dagegen an. Er ist der Geschäftsführer der Münchner Schachakademie, die das Turnier veranstaltet - und zugleich Teilnehmer. Der ehemalige Profi war Anfang der neunziger Jahre Deutschlands Nummer zwei und Weltranglisten auf Position 70. Heute sucht er neue Erzählformen für seinen Sport.

Das Schachturnier "Beautiful Minds" ist so eine Versuchsanordnung, die zeigen soll, wie der Sport wieder aus der Nische geholt werden könnte. Mit drei, manchmal vier Kommentatoren, alle selbst Großmeister im Ruhestand, die launig Züge vorhersagen oder einfach gehobenen Kaffeeklatsch für Kenner liefern. Vor ihnen stehen Mikrofone, zusammen mit dem Bild der Kameras werden die Analysen live auf wichtigen Schachseiten im Internet übertragen.

Näher kommt man den Spielern hier in München ohnehin selten, Klack. Klack. Klack. Alle zwei Sekunden schlägt eine flache Hand auf die Uhr, dann verrinnen für den Gegner die Sekunden. Keine Partie dauert länger als eine Stunde. Zu beobachten ist gewissermaßen rasender Stillstand.

Viele Spieler bei diesem Einladungsturnier treten in der deutschen Bundesliga an. Sie ist eine der stärksten der Welt, einige der besten Profis spielen hier, bezahlt von privaten Sponsoren. Im FC Bayern und der MSA Zugzwang spielen gleich zwei Münchner Mannschaften in der Bundesliga. Trotzdem sind manchmal weniger Zuschauer als Spieler da.

"Es ist schwierig zu vermitteln, welche inneren Stürme auszuhalten sind, wenn der Puls auf 200 steigt in kritischen Momenten", sagt Kindermann - sogar dem eigenen Partner. Schach ist ein einsames Spiel. "Beim Fußball meint jeder, dass er versteht, was passiert, zumindest denkt er das. Aber Schach ist für viele wie ein Theaterstück in fremder Sprache." Die Übersetzung müssten gute Kommentatoren leisten, glaubt Kindermann. Jahrzehnte lang sei das verschlafen und versäumt worden, Idole für den Nachwuchs zu formen. "Wenn wir einen Carlsen hätten ...", seufzt Kindermann. Der Norweger Magnus Carlsen, 25, verteidigt gerade den WM-Titel (Partie Nummer zwölf am Montagabend war bei Redaktionsschluss dieser Ausgabe noch nicht beendet), im Kino läuft ein Film über ihn. Titel: "Der Mozart des Schachs".

Die Sehnsucht nach einem neuen Wunderkind ist groß, gerade trägt diese Bürde in Deutschland Vincent Keymer. Der Elfjährige ist die große deutsche Schachhoffnung, vor ein paar Wochen schlug er den Münchner Großmeister Gerald Hertneck, der beim "Beautiful Minds"-Cup gegen Francisco Vallejo Pons verliert - ein anderes, längst erwachsen gewordenes Wunderkind aus Spanien. Der Engländer Nigel Short kommt herein, der einst gegen Kasparow um den WM-Titel kämpfte. Die Erklärung für seinen schlechten Start in das Turnier? Der viele Wein am Vorabend, sagt Short. Schach ist manchmal ein wundervoll leichtes Spiel.

Doch Schach kann nur noch die Besten ernähren. Wer heute davon gut leben wolle, müsse unter den Top 20 der Welt sein, sagt Kindermann. Am Ende siegt das ehemalige Wunderkind, der 34-jährige Vallejo Pons. Er bekommt 4000 Euro Preisgeld, dazu einen Bierkrug und ein Plüschpferd im Schachkaro-Kleid.

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Quelle:
SZ vom 29.11.2016
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