Süddeutsche Zeitung

Rugby im Olympiastadion:Darth Vader hat Gänsehaut

Beim Oktoberfest Sevens bejubeln 20 000 Fans den Sieg der Australier. Auch wenn die Zuschauerzahlen Luft nach oben haben, wird klar, dass der Nischen-Sport in München funktionieren kann.

Von Ralf Tögel und Sebastian Winter

Robbie Williams geht immer. Wer sich Freitag und Samstag dem Olympiastadion näherte, musste den Eindruck gewinnen, dass da der Bär tobte bei den Rugby Oktoberfest Sevens, dem Weltklasse-Rugby-Turnier, das in München seine Premiere feierte. Das übliche Muster: Musik aus, die Massen brüllen den Refrain von Angel, einem der größten Erfolge des extrovertierten Briten, der ideale Stimmungsmacher fürs Publikum.

Der Blick ins weite Oval war dann allerdings etwas ernüchternd. Knapp 6000 Besucher schauten sich am Freitag den aktionsgeladenen olympischen Sport an, am Samstag lockten die Finalspiele immerhin 15 000 Rugbyfans ins fast 70 000 Menschen fassende Oval. Initiator Mathias Entenmann sprach trotzdem von einem "extrem positiven Feedback" und, erfrischend realitätsnah, von einer "Basis, auf der man wachsen kann" (). Auch Olympiapark-Chefin Marion Schöne war sehr angetan von diesem Turnier, dem bislang größten und am stärksten besetzten überhaupt auf deutschem Boden. "Es war ein fantastisches Event mit grandioser Stimmung, auch über eine so lange Zeit hinweg", sagte Schöne, zumal die Konkurrenz nicht eben klein war: Drüben in der Olympiahalle legte Star-DJ Robin Schulz auf, ein paar Kilometer weiter südöstlich prosteten sich Hunderttausende auf der Wiesn zu: Ich würde mich jedenfalls sehr freuen, wenn wir das künftig weiterführen können." Das hängt sicher auch davon ab, ob die Rugby-Enthusiasten um Entenmann das knapp siebenstellige Budget noch weiter ausbauen - und damit auch mehr Werbung machen können.

Olympiasieger Fidschi hat im Finale beim 7:40 keine Chance gegen die frischeren Australier

34 Spiele waren es an den beiden Tagen, jedes dauerte, wie in der olympischen Siebener-Variante vorgeschrieben, zweimal sieben Minuten. Es war ein Mammutprogramm, dem auch Olympiasieger Fidschi am Ende Tribut zollen musste. Die bulligen Männer aus der Südsee verloren das Finale gegen die wesentlich frischer wirkenden Australier mit 7:40, schon zur Halbzeit hatten sie mit 0:26 zurückgelegen. Ihr muskelbepackter Kapitän Paula Dranisinukula bedauerte später in den Katakomben des Stadions, "dass wir viel besser hätten spielen können, aber die Aussis wollten wirklich gewinnen." Vielleicht seien sie im nächsten Jahr wieder hier, sagte er noch, am Sonntag flog die bunte Delegation schon nach Fidschi zurück.

Apropos bunt: Das Rahmenprogramm passte zur sportlichen Show, die von den Akteure unten auf dem neu verlegten Rasen geboten wurde: Ob Goaßlschnalzer, von einer Seilrutsche ins Publikum geworfene Rugbybälle, das Wiesn-Playmate oder die Kiss-Cam, die Besucher zum Küssen animieren soll. Viele Fans hatten sich zudem ulkig verkleidet, was zum Rugby gehört wie der Ball und die maibaumhohen Torstangen. Von Pipi Langstrumpf bis zu Darth Vader war jedenfalls alles vertreten, was bald auch wieder zur Faschingszeit ausgepackt wird. Und selbst die nackerten Flitzer, die am Samstag immer wieder auf den Rasen schwärmten, wurden fast mit Samthandschuhen vom Sicherheitspersonal aus dem Stadion begleitet. Beeindruckend fand Schöne auch eines: "der tolle Mix." Immerhin gab es neben dem Profiturnier auch eines für Amateure, dessen Finale im Olympiastadion ausgetragen wurde - und das der Zweitligist München Rugby Football Club knapp verlor. Einige Frauen-Nationalteams duellierten sich ebenfalls, und bei den Studenten gewann Aachen, das normalerweise vor 80 Zuschauern spielt, das Endspiel gegen Berlin - gebrochener Mittelfinger inklusive.

Platzwunden, Kreuzbandrisse und Schläge auf den Solarplexus: Im Rugby geht es nicht zimperlich zu

Zimperlich ging es in der Tat nicht zu bei den Oktoberfest Sevens. Ob Frauen, Studenten, Amateure oder Profis: Nach den Spielen sah es manchmal so aus, als käme da eine halbe Mannschaft direkt aus dem Lazarett - mit dick bandagierten Knöcheln, auf Krücken, mit kühlendem Eis auf den geschwollenen Schultern. Argentiniens Kapitän konnte nach dem verlorenen Spiel um Platz fünf gegen Deutschland kaum sein rechtes Auge öffnen, die genähte Platzwunde darüber erahnte man noch. Deutschlands Kapitän Tim Lichtenberg präsentierte nach dem spannenden 19:17-Erfolg in der Interview-Zone stolz seinen geschundenen Körper. "Ein Schlag auf den Solarplexus", sagte er lachend und drückte das Eis auf seine Brust. Lichtenberg war erst Kapitän geworden, als das hintere Kreuzband des bisherigen Interims-Kapitäns Sam Rainger bei den Oktoberfest Sevens mutmaßlich riss. Bereits im Sommer hatte der eigentliche Kapitän der Deutschen, Sebastian Fromm, wegen einer Syndesmoseband-Verletzung passen müssen. Nach der Partie gegen Argentinien, einem Spiel, das die Elemente Laufen, Passen, Schießen und Rangeln fast in Vollendung verkörperte, sagte Lichtenberg: "Das ist Gänsehautfeeling pur hier im Stadion, und jetzt gehen wir erst einmal ein, zwei Maß trinken." Auch Leon Hees, einer der prägenden Akteure im überzeugenden deutschen Team, war begeistert: "Für uns Spieler war das einfach nur genial."

Auch Hees hatte natürlich registriert, dass die Tribüne nicht voll war, überrascht, "dass so ein Turnier in Deutschland ein bisschen Anlaufzeit braucht", war er nicht. Was natürlich auch damit zu tun hat, dass Rugby-Spiele in Deutschland eher spärlich besucht sind, während zu den großen Worldseries-Turnieren wie in Hongkong 50 000 Zuschauer kommen. Irgendwann wollen sie dorthin, die Ausrichter des Oktoberfest Sevens. Man kann ja mal träumen im Rugby-Entwicklungsland, nach diesem vielversprechenden Anfang.

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Quelle:
SZ vom 02.10.2017
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