Süddeutsche Zeitung

Rudolf-Harbig-Weg:Eine deutsche Laufbahn

Der Dresdner Mittelstreckler Rudolf Harbig wurde für seine Weltrekorde verehrt. Politisch ist seine Vita, die 1944 auf dem Schlachtfeld endete, umstritten.

Von David Fuhrmann

Die Lage des Rudolf-Harbig-Wegs weiß auf beinahe unheimliche Art und Weise die zwei extremen Lebensseiten seines Namensgebers zu vereinen. Gelegen im Olympiapark, dem Ballungszentrum der heimischen Sportkultur, verläuft er südwärts vom Olympiastadion bis zur Ackermannstraße. Die Sportstätten auf dem Oberwiesenfeld, die für die Olympischen Spiele 1972 erbaut wurden, stehen auf einem Gelände, das im düstersten Kapitel der deutschen Geschichte, der Zeit des Nationalsozialismus, ganz andere Zwecke erfüllte: Er diente als Standort der Luftwaffe. Den ehemaligen Verkehrsflugplatz München-Oberwiesenfeld nutzte die Wehrmacht für ihre Kampfeinsätze. Für Rudolf Harbig, einen der bedeutendsten Mittelstreckenläufer der deutschen Leichtathletik-Historie, waren es diese beiden Seiten - hier der Sport, dort der Krieg -, die seinen Lebenslauf bestimmten. Und schließlich abrupt beendeten.

Harbigs Biografie zeigt exemplarisch, dass es zu einer erfolgreichen Sportkarriere viel mehr bedarf als Talent, Leidenschaft und Willensstärke. Oft ist es das Glück, das den entscheidenden Ausschlag in die eine oder andere Richtung weist. Eine falsche Bewegung kann eine schwerwiegende Verletzung bedeuten. Aber neben dem Glück der körperlichen Unversehrtheit muss ein herausragender Sportler auch eine andere Bedingung erfüllen, auf die er keinerlei Einfluss hat: Seine Laufbahn muss im richtigen zeitlichen Kontext eingebettet sein. Die von Rudolf Harbig war es nicht.

Statt seine selbst gesetzten Weltrekorde zu überbieten und bei den Olympischen Spielen zu triumphieren, gilt der Ausnahmeläufer seit einem Kampfeinsatz im Zweiten Weltkrieg am 5. März 1944 in der Ukraine als gefallen oder vermisst.

Rudolf Harbig, geboren 1913 in Dresden, wuchs in bescheidenen Verhältnissen, in einer von Armut überschatteten Zeit auf. Sein Vater fand nach dem Ersten Weltkrieg keine Anstellung mehr, seine Mutter musste für ihn, seinen Vater und seine vier Geschwister den Lebensunterhalt erarbeiten. Es war seine sportliche Begeisterung, die ihn als Kind beschäftigte, und die er vielfältig auslebte. So versuchte er sich im Handball, im Fußball oder im Schwimmen. Doch seine große Leidenschaft galt der Leichtathletik, dem Laufen.

Nachdem er sich Anfang der 30er Jahre mühsam mithilfe von Gelegenheitsjobs über Wasser halten konnte, verpflichtete Harbig sich 1932 bei der Reichswehr. Der Beruf des Soldaten brachte ihm finanzielle Absicherung und die Zeit, um seine läuferische Begabung zur Entfaltung zu bringen. Und seine Qualitäten sorgten schnell nicht nur in seiner Kompanie für Aufsehen. Entdeckt 1934 im Rahmen der akribischen Talentsichtungen für die Olympischen Spiele 1936 in Berlin machte er sich auf, bis 1939 als Rekordhalter in fünf verschiedenen Lauf-Disziplinen in die Geschichte einzugehen, wobei sein zweiter Weltrekord über 800 Meter lange das Maß der Dinge bleiben sollte: Seine 1:46:60 Minuten vom 23. August 1941 in Mailand hatten 16 Jahre lang Bestand. "Zu wem wollen denn all die vielen Leute?", soll er laut seiner Ehefrau und Biografin Gerda ("Unvergessener Rudolf Harbig", Verlag der Nation, Berlin 1952), verblüfft im Dresdner Hauptbahnhof gefragt haben, als er bei seiner Rückkehr aus Mailand stürmisch empfangen wurde.

Harbig schien seiner Zeit immer einen bis zwei Schritte voraus zu sein, sein enthaltsamer Lebensstil war auf absoluten Erfolg getrimmt. Und es waren seine Erfolge, seine Rekorde, die die Massen begeisterten. Es waren aber auch die Rekorde, die in eine Zeit fielen, in der die Propaganda-Maschinerie des Nationalsozialismus bedeutende Sportler für die eigenen Interessen zu vereinnahmen suchte.

Harbigs aktive Rolle in dem totalitären Machtapparat wird bis heute ebenso kontrovers diskutiert wie ein unbestätigter Dopingverdacht. Unbestritten ist, dass er 1937 der NSDAP beitrat. Ob dies unter politischem Druck oder aus Überzeugung geschehen ist, bleibt ungewiss. Sicher ist, dass er sich fügte, sich im Licht des Nationalsozialismus zeigte. Sicher ist aber auch, dass der Krieg, nachdem er seine Bestleistung bei den Olympischen Spielen 1936 aufgrund eines Magen-Darm-Virus nicht abrufen konnte, seinen erneuten Anlauf bei den Olympischen Spielen 1940 in Helsinki, die angesichts der fortschreitenden Kriegshandlungen abgesagt wurden, verhinderte. Der Krieg forderte seinen Tribut. Statt weiter Rekorde jagen und der eigenen Karriere bei den Olympischen Spielen die Krone aufsetzen zu können, fand Harbig wohl den Tod als Fallschirmjäger in der Ukraine.

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SZ vom 05.03.2020
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