Rollstuhlbasketball:Schwierige Rechenspiele

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Lowpointer klingt nach: trifft nichts. Dabei sind diese Spieler unverzichtbare Stützen ihrer Teams - wie Münchens Lisa Nothelfer.

Von Sebastian Winter, München

Drei Spieltage sind es noch für den USC München in der Rollstuhl-Basketball-Bundesliga, an diesem Samstag empfängt er die BG Baskets Hamburg zum vorletzten Heimspiel. Die vergangenen Wochen waren schwierig für den USC, die beiden Niederlagen gegen die Rhine River Rhinos aus Wiesbaden und die Köln 99ers haben den Klub fast aller Chancen auf einen der ersten vier Plätze und die damit verbundene Playoff-Teilnahme beraubt. Als Fünfter müssen die Münchner alle restlichen Partien gewinnen und auf mehrere Ausrutscher des Vierten hoffen, jenen Rhine River Rhinos, denen sie kürzlich unterlagen. Die ersten Drei sind ohnehin außer Reichweite.

Auf den Punktejägern der Mannschaft, dem deutschen Nationalspieler und Rio-Teilnehmer Sebastian Magenheim, dem Bosnier Suad Sutic und dem Australier Kim Robins, dürfte wieder die größte Verantwortung liegen, doch es lohnt sich, auch einen Blick auf ihre Zulieferer zu werfen: Auf jene Spieler, die nicht so im Fokus stehen, die fleißigen Helfer, die selbst, oft auch aufgrund ihrer Behinderung, nicht so gut werfen, aber die Treffsichereren gut in Szene setzen. Beim USC sind dies die Allgäuerin Lisa Nothelfer, Carlos Montano, Kolumbianer mit italienischem Pass, und der Engländer Wayne Boardman. Lowpointer werden sie genannt, Niedrigpunkter. Aber nicht, weil sie so wenige Punkte erzielen. An dieser Stelle kommt das Klassifizierungssystem ins Spiel, hier wird es ziemlich kompliziert.

Wie in vielen anderen Behindertensportarten werden auch die Rollstuhlbasketballer klassifiziert, schlichtweg um die Chancengleichheit zu erhöhen, da die Sportler unterschiedlich schwere Handicaps haben. Je nach Behinderungsgrad gibt es acht Stufen, von 4,5 Punkten (für Fußgänger, die kaum oder gar nicht behindert sind, aber beim Spiel dennoch im Rollstuhl sitzen müssen) bis hin zu 1,0 Punkten (schweres Handicap mit gelähmten Beinen und kaum/keiner Rumpfkontrolle). Die Unterteilung erfolgt in Halb-Punkte-Schritten, nationale und internationale Kommissionen stufen die Athleten vor allem anhand von Bewegungstests, mitunter auch von Krankenakten und der unabhängigen Beurteilung mehrerer Ärzte ein.

Montano, einer der ganz wenigen Bundesliga-Spieler mit Glasknochen-Krankheit, hat 1,5 Punkte, Nothelfer und Boardman 1,0. Nothelfer, die seit ihrer Geburt querschnittgelähmt ist, bekommt als Frau noch einen zusätzlichen Bonus von 1,5 und erreicht so eine negative Punktzahl von minus 0,5. Die Lowpointer sind auch deshalb so wichtig, weil die fünf Spieler eines Teams auf dem Feld insgesamt maximal 14,5 Punkte erreichen dürfen. Sutic (4,5), Magenheim (3,5) und Robins (3,0) können also nur zusammen aufs Parkett, wenn sie von zwei nicht so hoch eingestuften Spielern unterstützt werden - wie eben Boardman, Montano oder Nothelfer.

"Ein bisschen muss man schon rechnen bei der Kaderzusammenstellung", sagt der USC-Vorsitzende Wolfgang Schäfer, der zur Rekrutierung dreigleisig fährt: Er nutzt seine eigenen guten Kontakte, dann die internationale Wechselbörse, auf der Spieler und Trainer sich anbieten, und manchmal auch die Unfallklinik Murnau, wo "Frischverletzte" oft Rollstuhlbasketball in ihr Rehabilitationsprogramm einbauen. "Um später einmal auf Bundesliga-Niveau zu kommen, vergehen aber meist mehrere Jahre", sagt Schäfer.

Der USC ist in Murnau sehr engagiert im Rehabilitationssport. Der erfolgreichste deutsche Rollstuhlsportverein und Rekordmeister im Rollstuhlbasketball hat auch Nothelfer dort bei einem Training entdeckt. 2014 spielte sie mit dem USC in der zweiten Liga, stieg auf und bewährt sich seither im Oberhaus. Als "sehr zuverlässig, engagiert und konzentriert" beschreibt Schäfer die einzige Frau im Team. Sie habe "durch ihre Behinderung eine nicht so konstante Wurfquote. Aber ohne die unauffälligeren Spieler kämen die Werfer gar nicht erst in Schussposition". Dasselbe gelte für Montano, der Schäfer zufolge kaum Englisch spricht, die Teamsprache auf dem Feld, sich aber "nicht unterkriegen lässt". Und auch für Boardman, der erst im vergangenen Oktober dazugekommenen ist und zum Spaßvogel im Team avancierte.

Schäfer hat die Kaderplanungen für die kommende Saison schon in Angriff genommen, möglicherweise steht dem USC München eine Zeitenwende bevor. Denn der Klub überlegt, künftig mehr auf die Jugend zu setzen - die es allerdings bislang noch gar nicht gibt. Lisa Nothelfer könnte mit ihren 23 Jahren sicherlich dabei helfen. Sie ist schließlich die Zweitjüngste im Team - und überdies die einzige, die mit einem Minus von 0,5 Handicap-Punkten punkten kann.

© SZ vom 25.02.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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