Ringen:"Wir waren überzeugt von unserem Weg"

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Als 21-Jähriger lässt sich Michael Prill zum Vorsitzenden der Hallbergmooser Ringer wählen. Seine Entscheidung für einen Neuaufbau mit eigenen Talenten spaltet den Verein. Seit 2013 hat er den SV Siegfried von der ersten in die vierte Liga geführt - und wieder zurück

Interview von Andreas Liebmann

Eine Woche vor Weihnachten haben die Ringer des SV Siegfried Hallbergmoos ihren letzten Saisonkampf verloren, 12:15 gegen Burghausen. Es war das finale Duell um die Meisterschaft in der zweiten Bundesliga Süd, Zweiter gegen Erster. Die Hallberghalle, in die 500 Zuschauer passen, war mindestens ausverkauft. Nach der Niederlage hatte Michael Prill Tränen in den Augen. Der 25-jährige Bankkaufmann ringt griechisch-römisch in der Klasse bis 75 Kilogramm, vor allem aber ist er Vorsitzender des Vereins. Und er hat einen langen Weg hinter sich. Er hat den Verein seit 2013 von der ersten in die vierte Liga geführt - und wieder zurück.

SZ: Herr Prill, waren das nach dem Saisonfinale nun Tränen der Enttäuschung, der Freude oder der Erleichterung?

Michael Prill: Eine Mischung. Von der Atmosphäre und der Klasse des Kampfes war das einmalig, ich kann mir kaum vorstellen, dass wir so etwas noch mal erleben werden. Eine perfekte Werbung für Ringen in Hallbergmoos. Wenn man dann bei zwei gleichwertigen Mannschaften das bessere Ende nicht für sich hat, ist das bitter. Wir waren Außenseiter, müssen uns nichts vorwerfen, trotzdem war die Enttäuschung da. Aber auch Freude und Stolz waren dabei, die Leute waren alle begeistert.

Dabei gab es nicht wenige, die Sie bei Amtsantritt 2013 für eine Art Totengräber des Hallbergmooser Ringens hielten.

Vor dreieinhalb Jahren lagen die Meinungen sehr weit auseinander, wie es hier weitergehen sollte. Es ging weniger um meine Person, sondern um den Weg, den der Verein einschlagen sollte. Die Abstimmung darüber endete 69:63, das war durchaus eine Zersplitterung des Vereins.

Der SV Siegfried ist fast hundert Jahre alt. Zu dieser Zeit war er 49 Jahre lang ohne Unterbrechung erst- oder zweitklassig, ein stolzes Jubiläum stand also bevor. Dann kamen Sie und sagten: Wir fangen in der vierten Liga neu an.

Aus einem einfachen Grund: Wir hatten zu dieser Zeit nur einen einzigen eigenen Ringer, der in dieser immer professionelleren Liga wettbewerbsfähig war, nämlich Ergün Aydin. Und der hatte gerade ein Angebot aus Nendingen angenommen, das er nicht ausschlagen konnte. Der nächste wäre dann schon ich gewesen...

...und Sie hatten zu dieser Zeit ebenfalls überlegt, ob Sie bleiben sollten.

Weil ich mich gefragt habe, was ich eigentlich will. Ich hätte in Hallbergmoos viel Geld bekommen, dafür dass ich realistischer Weise wohl jeden Kampf verloren hätte. Aber das kann es doch nicht sein. Mir war wichtiger, mit Freunden gemeinsam dieses Mannschaftserlebnis zu erarbeiten, mit anderen Hallbergmoosern.

In der Saison 2012 war Hallbergmoos Vorletzter. Nendingen zum Beispiel, wo Aydin ja nicht lange blieb, hatte einen Etat von etwa 500 000 Euro, der SV Siegfried nur gut 80 000. Die Aussichten waren mäßig.

Wir waren zu dieser Zeit nicht wettbewerbsfähig. Wir hatten nie nachhaltig ähnliche Möglichkeiten wie andere Vereine.

2006 gab es mal einen Finaleinzug, aber damals war der Kader sehr teuer. Und dann kamen noch Steuernachzahlungen.

Der letzte Kampf um die Zweitliga-Meisterschaft gegen Burghausen geht verloren. Doch Michael Prill (rot) hat bei den Hallbergmooser Ringern ganze andere Erfolge erreicht. (Foto: Marco Einfeldt)

Der Verein hat auch in diesen Jahren wirtschaftlich gut gearbeitet und mit den zur Verfügung stehenden Einnahmen die Ausgaben bedient. Über das Thema Steuernachzahlung kann ich mich nicht näher äußern, da war ich ja noch fast ein Kind.

Stand eine Insolvenz zu befürchten?

Zu dieser Zeit war das sicher ein Thema. Der Verein musste einen Kredit aufnehmen und seine Hallberghalle veräußern, im Endeffekt konnte er aber trotzdem seine Schulden bedienen und ist nicht in die Insolvenz gegangen. Das war aber alles Jahre vorher. Als ich das Amt übernahm, waren die Altschulden bis auf 17 000 Euro abgebaut. Und den Rest zurückzuzahlen, war eine meiner ersten Amtshandlungen.

Zurück in den April 2013. Das Amt des Vorsitzenden war vakant, weil sich Wolfgang Lex aus gesundheitlichen Gründen zurückgezogen hatte. Und nun kamen Sie, stellten sich zur Wahl und verbanden das mit dem Kurs, freiwillig in die Bayernliga zurückzuziehen. Wie war das damals?

Es war sicher die bestbesuchte Versammlung, die wir je hatten, sehr emotionsgeladen, eine mehr als vierstündige Debatte. Wäre ich damals nicht gewählt worden, glaube ich nicht, dass es den SV Siegfried in dieser Form heute noch geben würde.

Viele jüngere Ringer hatten damals gesagt, sie blieben nur, wenn der von Ihnen vorgestellte Kurs eingeschlagen wird.

Was wieder nur zweitrangig mit mir zu tun hat. Man muss sich doch vor Augen führen: Stellt man sich als, 16-, 17-jähriger Ringer, der vielleicht bayerischer Meister ist, wirklich in der ersten Liga gegen einen WM-Dritten auf die Matte, um sich vor eigenem Publikum eine Minute lang vermöbeln zu lassen? Das ist keine Perspektive.

Ihr Vorgänger Wolfgang Lex hat dennoch das Wort Erpressung verwendet.

Das ist fehlinterpretiert worden. Er hat mir von Anfang an gesagt, dass er diesen Weg nicht negativ sieht, dass es auch in seiner Amtszeit solche Überlegungen gab, und dass er, falls ich gewählt werde, den Vorsitz des Fördervereins übernehmen würde. Den hat er bis heute. Wolfgang Lex war und ist einer meiner größten Unterstützer.

Der langjährige Sportliche Leiter und Interimschef Jürgen Entholzner hatte damals für einen anderen Weg geworben, er nannte Ihr Vorgehen eine Revolution. Wie ist Ihr Verhältnis heute?

Ich habe das letzte Wort mit ihm auf dieser Versammlung gewechselt. Danach hat er gesagt, dass sein Herz immer am SV Siegfried hängen wird, aber ich habe ihn bei keinem einzigen Kampf gesehen.

Zehn Prozent der Mitglieder sind damals ausgetreten. Kamen die zurück?

Nein, aber wir haben wieder sehr viele dazubekommen. Aktuell sind es 450, was für einen Ringerverein ja nicht schlecht ist.

Sie waren bei Ihrer Wahl 21 Jahre jung. Hut ab, sich in diesem Alter und in einer solchen Drucksituation dieser Verantwortung zu stellen.

Enttäuschung? Stolz? Erleichterung? Zum Saisonende in ausverkaufter Halle übermannen Michael Prill viele Emotionen. (Foto: Marco Einfeldt)

Es war sicher nicht ohne, das ist es bis heute nicht. Aber mein Herz hängt so sehr an dem Sport und an den Leuten, und wenn etwas vorwärtsgeht, gibt einem das ja auch viel Energie zurück. Klar, in dem Alter würden einem das die wenigsten zutrauen. Ich habe es mir auch nur zugetraut, weil ich wusste, dass ich absoluten Rückhalt von Familie und Freunden habe und mich hundertprozentig auf sie verlassen konnte.

Auch rein sportlich war der Weg riskant. Es war ja nicht vorauszusehen, dass sofort zwei Aufstiege gelingen würden.

Überhaupt nicht. Auch in der Bayernliga hatten wir am letzten Wettkampftag einen Heimkampf, der über den Aufstieg entschied. Wir haben klar gewonnen. Wer weiß, wie es sonst weitergegangen wäre. Aber: Es wäre weitergegangen. Wir waren überzeugt von unserem Weg.

Es gab 2013 ja einen konkreten Gegenvorschlag. Einen freiwilligen Rückzug in die zweite Liga ließ das Reglement nicht zu, aber man hätte in der ersten Liga antreten und sportlich bewusst absteigen können. Damit hätte man eine Strafzahlung an den Verband vermeiden und sogar Sponsorenverträge in die zweite Liga hinüberretten können . Was sprach gegen diese Idee?

Ein absurder Gedanke. Welcher Sponsor gibt mir denn sein sauer verdientes Geld dafür, dass ich öffentlich erkläre, ich werde mit Absicht meine Kämpfe verlieren? Und wer garantiert, dass man dann wirklich Letzter wird? In dieser Saison hat Burghausen nämlich genau das praktiziert, was wir verworfen hatten. Nun stellen Sie sich mal vor, was passiert, wenn zwei Mannschaften unbedingt verlieren wollen.

Das direkte Duell wäre sicher kurios verlaufen.

Außerdem widerspricht es meinen Prinzipien, nur dafür zu trainieren, dass ich absichtlich meine Kämpfe verliere.

Nun kommt es aus Ihrer Sicht zu einem doppelten Happy End in Form einer Ligenreform, die alle Erst- und Zweitligisten zu einer gemeinsamen Bundesliga mit regionalen Gruppen zusammenfasst. Hallbergmoos ist dadurch wieder erstklassig, und das in einem Umfeld, in dem sich niemand mehr finanziell überheben muss.

Schon allein wegen der Budget-Obergrenze von 150 000 Euro, die kommen wird - auch wenn wir sogar von der noch weit weg sind. Es gibt natürlich für jede Reform Pro und Contra, aber irgendetwas musste sich ändern. Etwa 20 Mannschaften haben nun wohl gemeldet, 20 andere lieber den Rückzug angetreten. Einige liebäugeln mit einer Profiliga. Für uns Hallbergmooser gab es diese Alternative nicht. 50 Prozent unserer Kämpfe wurden von Athleten bestritten, die bei uns das Ringen gelernt haben.

Im Rückblick: Wie viel Kraft hat Sie Ihr Amt gekostet?

Viel Kraft, viel Arbeit, viel Ärger. Aber ich bin stolz auf mich selber, das kann ich ruhig sagen. Ich habe dabei gelernt, auf welche Menschen ich mich verlassen kann.

Sie haben sogar den Begriff "Lebenswerk" verwendet. Klingt ungewöhnlich für einen Mann Ihres Alters.

Das habe ich gesagt, weil es meine Herzensangelegenheit war; weil ich meine ganze Kraft hineingesteckt habe; und weil ich mir kaum vorstellen kann, dass ich außerhalb von Familie und Beruf je wieder so etwas werde erreichen können.

Sehen Sie Ihr Lebenswerk damit als vollendet an, oder war das erst der Anfang?

Es wird zumindest immer schwerer, das Ganze zu toppen. Aber man kann sich andere Ziele stecken. Das Wichtigste ist mir, dass die Halle im Jugendtraining immer voll ist. Dann weiß ich: Es geht weiter.

© SZ vom 31.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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