Süddeutsche Zeitung

Ringen:Mut zum Rückschritt

Der SV Siegfried Hallbergmoos verlässt zum zweiten Mal nach 2013 freiwillig die erste Bundesliga. Diesmal geht es nur eine statt vier Etagen nach unten, der Kader wird sich dennoch stark verändern - und Integrationsfiguren verlieren.

Von Andreas Liebmann, Hallbergmoos

Die Tendenz war lange klar. Der Vorsitzende Michael Prill hatte aus seinen Absichten nie ein Hehl gemacht, weder intern noch öffentlich. Über den Ort der Verkündigung konnte man dann trotzdem schmunzeln: Im Mattenraum der Hallberghalle sollte am Mittwochabend also eröffnet werden, worauf sich die Vereinsgremien des SV Siegfried Hallbergmoos zuvor verständigt hatten. Dort wolle man "Rede und Antwort stehen". Das klang nicht gerade nach einer großen Bühne, auf der ein traditionsreicher Ringerverein seine Zukunft erläutert. Eher nach einer perfekten Lokalität, aus der keine Geräusche nach außen dringen, falls die Aussprache dann doch handgreiflich endet. Aber das stand nicht zu befürchten. Im Gegenteil: Die Entscheidung sei positiv aufgenommen worden, berichtete Prill tags darauf. Es hatten ohnehin alle geahnt, was folgen würde: Nach diesem Samstag wird der SV Siegfried kein Erstligist mehr sein.

Am Samstag wird der Drittletzte der Südost-Gruppe zum Abschluss den Vorletzten empfangen, den FC Erzgebirge Aue (19.30 Uhr). Das Duell wird eher von emotionaler als von sportlicher Bedeutung sein. Der SVS wird sich danach in die Oberliga zurückziehen. Dort, sagt Prill, werden die erste und zweite Mannschaft zusammengeführt. Sofern dabei keine Lücken in einer Gewichtsklasse entstehen, werde man den neuen Kader ohne ausländische Verstärkung planen, ihre Legionäre werden sich also nach neuen Klubs umschauen müssen. Es wird Abschiedsvorstellungen geben.

Schon im Sommer hatte der Vorsitzende die Mitglieder darauf hingewiesen, dass der sportliche Verbleib der zweiten Mannschaft in der Oberliga in dieser Saison von ganz enormer Bedeutung sein könnte für die Zukunft des Vereins - "damit wir uns alle Optionen offen halten". Schon damals hatte er also den möglichen Rückzug aus der ersten Liga im Hinterkopf, weshalb es wichtig war, den Platz in der zweitklassigen Oberliga Bayern zu sichern.

Die Hintergründe waren längst kommuniziert. "In der aktuellen Vereinssituation haben wir nicht die sportlichen und finanziellen Voraussetzungen für die erste Liga", erneuert Prill nun das Hauptargument, dem ein paar Unterargumente folgen: dass das Niveau der Liga zuletzt deutlich gestiegen sei; dass es nicht in seinem Sinne wäre, mehr Geld in den Erhalt der Erstklassigkeit zu stecken statt zum Beispiel in die Jugendarbeit; dass man den Ansprüchen der eigenen Ringer gerecht werden solle und nicht denen der auswärtigen. Natürlich sei die erste Liga eine feine Sache und er finde den Ausstieg selbst sehr schade, aber sie seien längst an der Grenze ihrer finanziellen Möglichkeiten angelangt - und trotzdem von vielen Konkurrenten "meilenweit entfernt". Die Entscheidung zum Ausstieg aus der Bundesliga fiel dann einstimmig, und auch der Vereinsausschuss, dessen Meinung der Vorstand zuvor eingeholt hatte, plädierte gegen die Erstklassigkeit.

Dennoch ist die Situation nicht mit jener von 2013 zu vergleichen, als Prill den Verein von der ersten in die vierte Liga führte. "Damals hatten wir Restschulden, heute ein finanzielles Polster", zudem gehe es nun nur eine Liga nach unten. "Und es wird kein Abschied auf Nimmerwiedersehen." Denn mittelfristig ist die zweite Liga das Ziel. Am 1. Dezember auf der Bundesligatagung wurde die Wiedereinführung einer zweiten Bundesliga zum Jahr 2021 beschlossen. Das habe man "mit Freude vernommen", so Prill. Auch eine Annäherung zur abgespalteten kleinen Profiliga wurde erkennbar, möglicherweise kehren von dort Klubs zum Ringerbund zurück. "Das ist der richtige Weg für unseren Sport", findet Prill, aber das sportliche wie finanzielle Niveau der ersten Liga würde durch solche Rückkehrer natürlich nicht sinken, sondern weiter steigen. Weshalb sich Prill nun auf eine "bombenstarke Oberliga" mit vielen ehemaligen Erstligisten freut, in der es zunächst vor allem gelte, nichts mit dem Abstieg zu tun zu haben: "Ich glaube nicht, dass wir das Niveau haben, dort von Anfang an um den Aufstieg mitzuringen."

"Wir sind finanziell schon jetzt an unseren Grenzen, trotzdem sind viele andere meilenweit entfernt"

Michael Prill, seit 2013 Vorsitzender des SV Siegfried, über die enteilten Erstliga-Konkurrenten

Die zweite Mannschaft hatte ihr Saisonziel, die Sicherung des Oberliga-Platzes, am letzten Wettkampftag übrigens auf kuriose Weise erreicht: Das Derby gegen Freising wurde als Freundschaftduell ausgetragen, nachdem der Sieg formell kampflos an Hallbergmoos gegangen war. Die Freisinger hatten einen jungen Ringer in einer falschen Gewichtsklasse eingetragen und deshalb unter dem Strich nicht mehr die Mindestanzahl einsatzfähiger Athleten an der Matte. Auch der Freundschaftskampf ging deutlich an Hallbergmoos.

Die Gespräche über den künftigen Kader beginnen nun erst. Trotzdem ist absehbar, dass der Saisonabschluss am Samstag gegen Aue nicht nur für die ausländischen Athleten ein Abschied aus Hallbergmoos bedeutet. Auch bei Ergün Aydin, dem langjährigen Leistungsträger des Teams, deutet alles auf einen Weggang hin. "Er steht voll und ganz hinter unserer Entscheidung", sagt Prill, "aber er hat noch Ambitionen. Wenn er ein lukratives Angebot bekommt, soll er es auch wahrnehmen." Sein Einzelstartrecht bleibe trotzdem beim SVS, auch im Training werde sich Aydin weiterhin einbringen und spätestens gegen Ende seiner Karriere sicherlich ganz zurückkehren. Ganz ähnlich verhalte es sich mit Andreas Walter, ebenfalls einem "Musterbeispiel eines Sportlers, wie man ihn sich wünscht", so Prill. Auch er werde sich höchstwahrscheinlich in der ersten Liga einem anderen Verein anschließen.

Der Samstag werde "ein sportlicher Leckerbissen", versichert Prill dann noch. Alle blickten nun "voller Freude" in die Zukunft. Und: "Unserem Verein geht es gut."

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SZ vom 20.12.2019
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