Süddeutsche Zeitung

Reitsport:Ein bisschen Tokio

Das Springturnier in München-Riem hätte viele Zuschauer verdient, denn die hochkarätigen Teilnehmer bieten Leistungen auf olympischem Niveau.

Von Felix Haselsteiner

Es war davon auszugehen, dass Simone Blum sich freute, als sie die oberste Stufe des kleinen Podests betrat, wo in kleinem Rahmen die Siegerehrung des Großen Preises am vierten Tag des Springturniers in München-Riem stattfand. Allein, man konnte sich nicht ganz sicher sein, denn Blum trug vorbildlich eine orangefarbene Gesichtsmaske, genauso wie ihre Mitstreiter. Blums Gesichtsausdruck blieb somit verdeckt und doch war ihr auch ohne klar sichtbares es Lächeln anzumerken, dass der samstägliche Sieg in Riem in vielerlei Hinsicht ein ganz besonderer war.

Viel war während dieser Woche schon die Rede gewesen von Tokio und den Olympischen Spielen. Eigentlich sollte die Reitelite ja um diese Zeit in Japan um Gold-, Silber- oder Bronzemedaillen reiten, vor großem Publikum. Dieser Kontrast war natürlich allgegenwärtig am Samstagnachmittag: Bis auf die Hitze, die derzeit in ähnlicher Form auch in der japanischen Hauptstadt vorherrscht, war die Atmosphäre eher gemütlich und familiär denn olympisch: Begleiter und Freunde der Reiter waren auf der Anlage erlaubt, die Betreuer der eigentlichen Hauptdarsteller, der Pferde also, ebenso. Die kleine Zuschauergruppe applaudierte auch fleißig, aber von der emsigen Turnieratmosphäre, die sonst bei derlei Veranstaltungen in Riem zu spüren ist, war man doch ein großes Stück entfernt. "Wir hatten bis zuletzt noch ein klein wenig Hoffnung, wenigstens ein paar Zuschauer zulassen zu können", sagte Lena Breymann vom Veranstalterteam, doch: "Das ist in diesen Zeiten einfach nicht angemessen." Stattdessen organisierte man einen Livestream im Internet, der von der Springreiter-Gemeinschaft gut angenommen wurde, die Zuschauerzahlen jedenfalls seien "sehr ordentlich" gewesen.

Angenehm war die Atmosphäre jedenfalls für die Pferde und ihre Reiterinnen und Reiter. Die kurzen Wege, die Ruhe auf der Anlage, die geschickte und auf Social Distancing ausgelegte Organisation, das alles habe zu "sehr viel positivem Feedback" vonseiten der Sportler geführt, so Breymann. Auch die Bodenverhältnisse, die nach den Regenfällen zu Beginn der Woche noch ein kleines Fragezeichen offengelassen hatten, waren am Ende perfekt. "Das Turnier hier in München ist schon ein Trost, das ist wirklich eine Topveranstaltung auf einem super Level", sagte Olympiasieger Michael Jung: "Man hat hier beste Bedingungen, da macht es richtig Spaß zu reiten."

Das Niveau jedenfalls hätte tatsächlich jede Menge Zuschauer verdient gehabt, vor allem der Große Preis - eine Springprüfung der Klasse S*** - zeichnete sich durch zahlreiche hervorragende Ritte und ein spannendes Finale aus. Fünf der 45 Starter schafften es dank einer fehlerlosen Runde ins Stechen: Der Neuseeländer Richard Gardner auf Calisto, der Slowake Patrik Majher auf Claude, Hans-Dieter Dreher gleich zweimal mit Prinz und Cachacco Blue - und Blum, die am Samstag auf Cool Hill ritt, der Nummer Zwei aus dem Stall hinter der so überaus erfolgreichen Stute Alice.

Nicht für das Finale qualifizieren konnte sich Jung, weder auf fischerDante noch auf Mill Creek Filippa K2. In beiden Läufen unterliefen Jung Fehler, er verabschiedete sich mit einem freundlichen Winken und einem kurzen "Danke, ciao!".

Der große Showdown fand trotzdem auf olympischem Niveau statt: Dreher unterliefen auf beiden Pferden Fehler, Gardner und Calisto legten als erste eine fehlerfreie Runde auf, dann ging Blum mit "Cooli", wie sie ihr Pferd nennt, auf den Parcours - und zeigte auch im Stechen eine hervorragende Leistung. In 47:07 absolvierte Blum den Parcours fehlerfrei. Und die letzte Ziffer sollte entscheidend werden: Majher auf Claude nämlich blieb ebenso fehlerfrei, kam allerdings in der Zeit von 47:08 ins Ziel. Die Hundertstelentscheidung nahm er mit einem lachenden Kopfschütteln entgegen, Siegerin Blum lobte im Interview danach ihr Pferd: "Er ist erst zehn Jahre alt und hat die Saison ein bisschen verpasst", sagte Blum am Mikrofon des BR. Cool Hill habe ein paar Runden unter der Woche gebraucht, aber: "Heute im Großen Preis hat er alles gegeben. Ich bin sehr zufrieden mit ihm", so Blum.

Das konnten auch die Veranstalter mit den Turniertagen sein: 1685 Nennungen mit 300 Reitern an fünf Tagen waren beim Springturnier eingegangen, die Jugendwettbewerbe konnten ebenso erfolgreich durchgeführt werden wie die Bewerbe, in denen Weltmeister und Olympiasieger gegeneinander antraten. Und auch der am Donnerstag gestürzten Reiterin Ann-Sophie Seidel geht es mittlerweile wieder besser, informierte der Veranstalter am Sonntag. "Wir sind in jeglicher Hinsicht glücklich, wie das alles gelaufen ist", fasste Lena Breymann die Woche zusammen, die vor allem sportlich ein gelungener Olympia-Ersatz war - bis zur letzten Hundertstelsekunde.

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SZ vom 10.08.2020
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