Philipp Kohlschreiber:Schwitzen für den Tag X

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„Ich will noch mal zurückkommen, auf jeden Fall“: Philipp Kohlschreiber, 36, beim Training in der Oberhachinger Tennis-Base. (Foto: Jürgen Hasenkopf/Imago)

Der 36-Jährige hält sich in Oberhaching fit. Die Zeit ohne Tennis hat er sogar genossen. Die Pandemie hat aber auch ihn nachdenklich gemacht - er will nicht mehr überall hin reisen.

Von Gerald Kleffmann, Oberhaching

Er packt die Schläger in die Tasche, die bei Tennisprofis so groß ist wie ein Rucksack, mit dem man zum Trekking nach Nepal aufbricht, tupft sich die Schweißtropfen vom Training mit Maximilian Marterer ab und schreitet los. Ihm ist anzumerken, dass er am liebsten gleich in den Fitnessraum möchte. Das Programm durchziehen, so nennt er das. Aber ein paar Fragen müssen jetzt sein, an diesem sanft-sonnigen Tag in der Tennis-Base, dem Leistungszentrum des Bayerischen Tennis-Verbandes. Philipp Kohlschreiber lächelt verständnisvoll. Okay, klar! Nach anfänglichen Schwierigkeiten zu Beginn der Karriere beim Umgang mit den Medien ist der nun 36-Jährige einer der Professionellsten auch auf diesem Gebiet geworden. Am Ende stoppt die Aufnahme nach sechs Minuten und 19 Sekunden, aber die Sätze darauf sind gehaltvoller als manch stundenlange Kamingespräche mit anderen Protagonisten aus der Welt des Sports.

Mit 36 hat er ausgesorgt, er müsste jetzt nicht mehr ins Gym. Aber er will eben. Berufsethos

Kohlschreiber ist einer von knapp zehn Profis, die sich in diesen Wochen südlich von München fit halten für einen Tag X. Noch ist ja unklar, wann die ATP Tour, auf der der gebürtige Augsburger bis heute zwölf Millionen Euro Preisgeld verdient hat, ihren Betrieb wieder aufnimmt. "Das ist mental eine schwierige Situation, auf ein nicht klar definiertes Ziel hinzuarbeiten", sagt Kohlschreiber, "man hängt in der Luft." Letztlich geht es ihm wie jedem Normalbürger: "Der Rhythmus wird komplett zerstört." Für Kohli, wie er gerne gerufen wird, ist das insofern bedeutsamer als für seine jüngeren Kollegen, weil er nun mal deutlich älter ist - und das Thema Karriere-Ende unweigerlich näher rückt. "Vielleicht gibt es ja den einen oder anderen, der sich in dem Alter sagt: Das tue ich mir nicht mehr an und höre auf", sagt er. Er aber wolle "noch mal zurückkommen, auf jeden Fall". Nicht nur das Tourleben vermisst er, auch die auf 2021 verschobenen Olympischen Spiele würde er zu gerne erleben, als Teilnehmer. "Klar könnte ich sagen: Ich hatte eine tolle Karriere." Er überlegt und sagt dann nichts mehr. Weil die Antwort sich von alleine ergibt: Er macht weiter. So wie immer bisher. Und ohne avisiertes Rücktrittsdatum. Warum auch?

Seine Zähigkeit, dank der er sich gut ein Jahrzehnt lang in den Top 50 der Weltrangliste hielt, ist ja nicht wegen der Corona-Pandemie einfach erloschen. Er, der längst ausgesorgt hat, sich für Politik interessiert und in Ottobrunn einen, wie man hört, Palast bewohnt, vor dem stattliche Autos stehen, müsste jetzt auch nicht ins Gym. Aber er will eben. Berufsethos. So sehr Kohlschreiber oft genug auch als eigenwillige Person aufgefallen ist und zu gerne mit seinem Freundeskreis abhängt, der wie eine Rappercombo wirkt (mit Manager Stephan Fehske als Bodyguard): Er hängt an seinem Beruf und weiß ihn zu schätzen.

In jedem Fall ist es respektabel, wie weit Kohlschreibers hemdsärmelige Schläue ihn in der Tenniswelt gebracht hat, auch ohne brachiale Winner-Schläge im Repertoire. Und damit sind nicht nur seine acht Turniersiege gemeint, allein dreimal triumphierte er in München. Und auch nicht, dass ihn einer wie Roger Federer auf Augenhöhe als Kollegen betrachtet und oft mit ihm trainierte, sicher auch, weil Kohlschreiber ballmaschinenartig die Bälle verteilen kann. Kohlschreiber hat sich vor allem die Freiheit geschaffen, so zu sein, wie er will. Ihn drängt es nicht in die Medien, er hatte die Zeit, als nicht gespielt werden konnte, sogar genossen, gibt er zu. Er war, klar, zu Hause, mit seiner Ehefrau, und schaltete bewusst ab. Aber wenn er die Bühne wieder betritt, nimmt er schon kritisch Stellung. Die Sache zum Beispiel mit dem geplanten Hilfsfonds, den die Männer- und Frauentour, der Weltverband ITF und die vier Grand Slams gebildet haben und der Spielern der hinteren Ranglistenplätze zugutekommen soll, sieht er gespalten.

"Die Idee finde ich grundsätzlich gut", sagt Kohlschreiber, "aber pauschal zu sagen, die Platzierung ist ausschlaggebend für die Hilfe, finde ich nicht gut. Weil es genügend Spieler gibt, die auch auf 300 stehen und in der Karriere mehr als eine Million verdient haben." Als nun 74. im Ranking wäre er jemand, der - wie es Novak Djokovic vorgeschlagen hatte - mit einem Beitrag in den Topf schwächeren Profis helfen sollte. Kohlschreiber wäre bereit für eine nach Ranglistenplätzen gestaffelte Abgabe. "Es wäre aber deutlich besser, wenn man den Leuten zielgenau hilft." Als Gegenbeispiel fällt ihm Mischa Zverev ein, der ältere Bruder von Alexander Zverev, auf Rang 258 geführt und am Ende seiner Laufbahn angelangt. "Er hat sicher genügend verdient." Mehr als fünf Millionen sind es in Mischa Zverevs Fall. Ohne Werbegelder. "Es sollte kein Multimillionär Geld aus dem Fonds erhalten, nur weil er ein Jahr verletzt war." Im großen Kontext hinterfragt Kohlschreiber aber auch das System der Preisgeldvergabe, das sich im Tennis so etabliert hat: "Man hat immer gesagt, man will den größten Paycheck für die oberen Leute haben. Und hat zu wenig für die unteren Spieler gemacht." Er ergänzt: "Es rächt sich jetzt, dass man da die ganzen Jahrzehnte zu wenig entgegengewirkt hat. Hoffentlich kommt nun ein Umdenken."

Die Hilfen für andere Profis findet er grundsätzlich gut - sofern sie nicht an Multimillionäre fließen

Ein Klassenkämpfer wird Kohlschreiber auf seine späten Profitage aber deshalb nicht gleich werden, er war und ist - dazu stand er immer - zuvorderst Profi in eigener Sache und hat sich auch dementsprechend manchen Vorteil organisiert. So lebte er länger in Kitzbühel, wo nicht nur die Luft gut ist, sondern auch die Steuerabgabe angenehmer. Inzwischen aber ist Kohlschreiber, der Heimatverbundene, zurückgezogen und macht klar, dass er zu seinen Bedingungen die letzte Phase seiner Karriere bestreiten will. Er hat Markus Hipfl als Trainer zurückgeholt, er war schon immer jemand, der Menschen um sich haben will, mit denen er sich wohlfühlt. Und Kohlschreiber wird, sollte es auf der Tour weitergehen, manches Turnier in manchen Ländern wohl doch meiden. Das wird schon anders für ihn. "Ich würde nicht überall hinfahren", betont er: "Es ist sicher leichter, irgendwo aus Europa nach Hause zu kommen, als wenn ich in Asien feststecke." Die Pandemie, die immerhin etwas am Abklingen ist, hat ihn nachdenklich gemacht. Er muss nicht mehr in jeden Winkel der Erde. "Und auch wenn es immer etwas zu meckern gibt: Wir haben schon ein gutes Gesundheitssystem."

Sechs Minuten und 19 Sekunden. Hier endet also das kurze Gespräch, Kohlschreiber verabschiedet sich. Er lächelt. Endlich kann er in den Fitnessraum.

© SZ vom 07.05.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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