Pferdesport:Prüfung der zwei Herzen

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Drei Siege – und doch kein unbeschwerter Tag: Sportlich war Rudi Haller, hier mit Troublemaker, am Sonntag sehr erfolgreich. Auf Publikum mussten die Fahrer in Daglfing allerdings verzichten. Der Aschheimer Trainer trug zum Gedenken an seinen verstorbenen Vater Trauerflor. (Foto: Fotofinish.de/ oh)

Der Münchner Trabrenn- und Zuchtverein versteht den Renntag in Daglfing als Signal, dass es in dem kriselnden Sport weitergehen kann - selbst nach einer Zwangspause.

Von Andreas Liebmann, München

Es war traumhaftes Frühlingswetter, geradezu ideal für einen Sonntagsausflug auf die Rennbahn, und es kamen tatsächlich auch pünktlich ein paar Zuschauer vorbei. Was sollte schon groß passieren? Das Gelände in Daglfing ist weitläufig, üblicherweise kommt man ja mühelos hinein in den Innenraum. Doch diesmal wurden die Leute abgewiesen. Es war eben alles andere als ein normaler Renntag.

Der Münchner Trabrenn- und Zuchtverein (MTZV) hatte alle Vorkehrungen so getroffen, wie das mit den Behörden vereinbart worden war. Er hatte zuvor auf allen Kanälen veröffentlicht, dass das Publikum ausgeschlossen wäre, es gab wie angekündigt strikte Einlasskontrollen, durch die nur die Aktiven und Funktionäre schlüpfen durften, die riesigen Tribünenhäuser mit den Glas- und Betonfassaden aus den Siebzigern waren ebenso geschlossen wie die Gastronomiebereiche, und sicherheitshalber kamen dann mehrmals auch ein paar Zaungäste in Uniform vorbei: Polizeibeamte, die überprüften, ob auch wirklich alles so ablaufe wie vorgesehen. Die Abgewiesenen hätten "schon verständnisvoll reagiert", berichtete Sascha Multerer, der Rennsekretär. "Ich glaube, es ist langsam in der Bevölkerung angekommen, dass solche Schritte nun eine Notwendigkeit sind."

Es hatte zuvor natürlich auch auf den sozialen Medien und in direkten Kontakten jene Debatte stattgefunden, die auch intern schon geführt worden war, ob es dieses Rennen angesichts der aktuellen Lage nun wirklich brauche. Die Aktiven jedenfalls, die Fahrer, Trainer, Besitzer seien "dankbar dafür gewesen, dass es diese Gelegenheit für sie noch mal gab", berichtete Multerer. Das und die Frage nach der näheren Zukunft ihres Sports seien die vorherrschenden Themen an der Bahn gewesen, weniger eine allgemeine persönliche Beklemmung wegen der Corona-Pandemie, wobei er natürlich nicht wisse, was die Fahrer so von Sulky zu Sulky miteinander besprochen hätten. "Natürlich spürt auch hier jeder eine Ungewissheit."

Es klingt zunächst einmal verblüffend, dass der MTZV nun, während rundherum der Sportbetrieb ruht, durchaus auch den nächsten Renntag noch nicht abschreiben will. Er wäre für den 24. März angesetzt, ein Dienstag. Man werde das "auf alle Fälle prüfen", kündigt Multerer an, "wir möchten es nicht unversucht lassen." Niemand gebe sich da großen Illusionen hin, sagt er, auch er selbst sei alles andere als euphorisch, und im Aktivenlager herrsche die Meinung, dass es zwar schön wäre, aber man durchaus auch Verständnis dafür hätte, wenn anders entschieden würde.

Der Hintergrund ist, dass Pferderennen als "Zucht- und Leistungsprüfung" gelten, weshalb neben dem Kreisverwaltungsreferat die Landesanstalt für Landwirtschaft als Aufsichtsbehörde zuständig ist. "So kurios es klingt: Wir sind in dem Sinn keine Sportveranstaltung", erläutert Multerer, "deshalb haben wir da etwas andere Voraussetzungen." Bedenken müsse man, dass ja die Trainer hier auch ihrem Beruf nachgingen, man mache das nicht zum Vergnügen. Auch am Sonntag sei das "keine Halligalli-Veranstaltung" gewesen, "und 70 Leute auf einem Gelände von elf Hektar sind ja auch eine geringe Dichte". In engen Kontakt zueinander kämen nur die jeweiligen Teams, die ohnehin tagein, tagaus in den Ställen miteinander zu tun hätten.

So also geht die eine Seite der Argumentation. Die andere: "Natürlich kann man trotzdem trefflich darüber streiten, ob man Zucht- und Leistungsprüfungen im Moment unbedingt abhalten muss", sagt Multerer. Zwei Herzen schlügen da in seiner Brust, aber eigentlich sehe er "dafür im Moment keine Notwendigkeit". Will heißen: Prüfen, was möglich ist, ja, das wollen sie, aber nichts mit aller Gewalt durchzuziehen versuchen.

Den Sonntag will der Verein als Zeichen an die Aktiven verstanden haben, dass es irgendwann, irgendwie weitergehen werde, dass man sich für sie und ihre Belange einsetzen wolle. Wirtschaftlich, berichtet der Rennsekretär, seien sie mit einem Umsatz von 57 000 Euro "mit einem blauen Auge davongekommen", wobei er nicht der Meinung sei, dass wirtschaftliche Interessen im Moment im Vordergrund stehen sollten. Aber auf längere Sicht gehe es eben doch darum, das Überleben des Sports zu sichern. Ein paar Wochen, vielleicht auch Monate, könnten Pferdebesitzer und Trainer ohne Rennen sicherlich überbrücken, aber nur, wenn es eine Perspektive für die Zeit danach gibt. "Für uns war dieser Renntag sehr wichtig", bestätigt Trainerroutinier Gerhard Biendl, der diesmal ohne Sieg blieb, sogar in seinem eigenen Geburtstagsrennen. Dort holte Rudi Haller mit Pompanio Julian einen seiner gleich drei Tageserfolge. Biendl wurde Zweiter. Sein Pferd trug den Namen Golden Future. "Wir haben sowieso schon lange Krise in unserem Sport und in unserem Beruf. Wenn die Besitzer irgendwann aufgeben, sind wir alle arbeitslos." Vielleicht, so Biendl, könne man die Zahl der Menschen auf der Bahn noch weiter reduzieren, wirklich nur auf Fahrer und Pfleger. Und falls doch eine längere Zwangspause komme, nun ja: "Pferde brauchen auch Urlaub, dann müssen sie den Urlaub eben mal früher nehmen." Nur irgendwann müsse es weitergehen. Sogar während des Zweiten Weltkriegs, merkt der 63-Jährige nachdenklich an, sei der Rennsportbetrieb einfach weitergegangen, nur ein einziges Deutsches Traberderby fiel damals aus, 1945.

"Wir müssen jetzt kreativ werden und ein Szenario für die Zeit danach entwerfen", sagt Multerer, "für das zweite Halbjahr. Dass man zum Beispiel die Aussicht schafft, dass, selbst wenn wir im September wieder anfangen, noch genügend Renntage veranstaltet werden, damit sich das Durchhalten lohnt." Für den Trabrennsport wäre es irreparabel, wenn er in dieser Krise weiteren Pferdebestand verlieren würde. Der Hauptverband für Traberzucht halte sich bislang völlig raus aus dem Thema, kritisiert Multerer, aber wenn es bundesweit nicht klappe, müsse man eben bayernweit eine Strategie finden. Der Austausch mit Straubing ist traditionell eng.

Sascha Multerer ist nicht nur Rennsekretär in Daglfing, er ist auch für die Öffentlichkeitsarbeit des Münchener Rennvereins zuständig, also der benachbarten Galopprennbahn. Dort wäre am Samstag der Tag der Rennställe gewesen, mit Führungen der ansässigen Trainer. Er wurde verschoben, vorerst auf 25. April. Der erste Renntag ist für den 1. Mai vorgesehen, wie üblich gleich mit dem Bavarian Classic, einem international besetzten Gruppe-III-Rennen. Noch gebe es keine Planänderung, sagt Multerer, aber eine Prognose? Unmöglich. Er verweist auf die Kölner Galopprennbahn, die am vergangenen Sonntag Saisonauftakt gehabt hätte. "Anfang der Woche haben sie auf 1000 Besucher reduziert, am Donnerstag hieß es, die Rennen finden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Am Freitag wurde abgesagt."

© SZ vom 17.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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