Süddeutsche Zeitung

Pferdesport:Geister trinken keinen Kaffee

Die Pferd International ist vertagt. Ob die Großveranstaltung 2020 noch stattfindet, ist fraglich. Die Rennbahn Riem hat nicht nur ihren Aufgalopp abgesagt. Und in Daglfing ruht die Hoffnung auf Rennen ohne Zuschauer.

Von Katalina Farkas und Andreas Liebmann

Es war ein bisschen wie die Sache mit dem gallischen Dorf. Wir schreiben den 15. März 2020. Ganz München ist von einem Virus besetzt, weshalb es keinerlei Sportveranstaltungen mehr gibt. In ganz München? Nein! Eine von unbeugsamen Trabrennsportlern bevölkerte Bahn trägt noch einen letzten Renntag aus. Ohne Zuschauer, mit strikten Einlasskontrollen.

Seit jenem Geisterrennen in Daglfing, dem letzten Versuch, den Aktiven noch ein paar Einnahmen zu ermöglichen, ruht auch der Pferdesport, wie überall auf der Welt. Dass inzwischen selbst große Prestigeveranstaltungen abgesagt wurden, ist keine Überraschung mehr. Trotzdem, hier zur Übersicht, das Drama in drei Akten.

Pferd International

Bis in den Herbst hinein könnte sie noch stattfinden, die Pferd International 2020, danach sieht es im Wortsinn dunkel aus, zumindest für die Prüfungen am Nachmittag. "Ab Mitte Oktober sind die Tage zu kurz", erklärt Veranstalter Jürgen Blum am Telefon, "uns würde ganz einfach das Tageslicht fehlen, um alles wie geplant stattfinden zu lassen." Auch das Wetter dürfte eine Rolle spielen, die Pferd International ist schließlich ein Freiluftturnier, ein sehr großes noch dazu. 300 Reiter aus 20 Nationen nahmen 2019 daran teil, über vier Tage zog es 70 000 Zuschauer an. Ob sich diese auch bei Frösteltemperaturen und Nieselregen noch auf die Olympia-Reitanlage in Riem begeben würden, ist unklar - und ob sie es in diesem Jahr überhaupt noch dürften, ist es bislang auch.

Die Pferd International ist auf unbestimmte Zeit verschoben, ein neues Datum ist nicht in Sicht. Ein möglicher Ausweichtermin im Spätsommer sei hinfällig geworden, als Bund und Länder beschlossen hätten, das Verbot für Großveranstaltungen bis zum 31. August aufrechtzuerhalten, sagt Blum. Er organisiert nicht nur Reitturniere und trat als Vielseitigkeitsreiter bereits bei Olympischen Spielen an, er ist auch Vater der Spitzenspringreiterin und Weltmeisterin Simone Blum, die wiederum gern gesehener Gast der Pferd International ist. "Momentan stehen unsere Aktivitäten still", sagt er. Erst mit einem neuen Termin würde die Arbeit wieder aufgenommen, "alles andere ist sinnlos".

Eine Absage des Turniers will Blum noch nicht diskutieren. "Wir tun alles, um die Pferd International stattfinden zu lassen." Auch andere Formate seien denkbar, weniger Zuschauer oder Messestände zum Beispiel. Falls Sponsoren abspringen sollten, "kommen wir zur Not auch ohne großen Blumenschmuck und mit Wurstsemmel statt VIP-Catering aus". Bei allen alternativen Szenarien gelte jedoch: Am Ende entscheiden die Behörden darüber, welche Veranstaltungen stattfinden dürfen.

Auch der Weltreiterverband FEI hat ein Wörtchen mitzureden, eines, das schwer wiegt. Da es sich bei der Pferd International um ein Turnier mit - der Name lässt es erahnen - internationaler Beteiligung handelt, entscheidet die FEI über die Vergabe des neuen Termins. Dafür wurde eigens eine neue Taskforce einberufen, schließlich suchen neben der Pferd International auch der CHIO Aachen, das Deutsche Spring- und Dressurderby sowie die deutschen Meisterschaften nach neuen Terminen, um nur ein paar der landesweiten Aushängeschilder des Reitsports zu nennen. Und die deutschen Veranstalter sind nicht die einzigen, denen es so geht.

Es dürfte also eng werden im letzten Jahresviertel, auch wenn die FEI den Veranstaltern entgegenkommen würde, erzählt Lena Breymann, die das Turnier gemeinsam mit Jürgen Blum leitet. "Die FEI versucht, unsere Terminwünsche zu berücksichtigen, und toleriert mittlerweile auch internationale Überschneidungen." Auch die Veranstalter kooperierten: "Wir sprechen viel miteinander, um uns zumindest hierzulande nicht in die Quere zu kommen". Schließlich konkurrieren die Turniere nicht nur um mediale Aufmerksamkeit, um Richter und FEI-Stewards, die sicherstellen sollen, dass es um das Wohl der Turnierpferde ausreichend bestellt ist - sondern auch um die Spitzenreiter.

In München sind das vor allem die Dressurreiter. Neben der CHIO Aachen ist die Pferd International eines der zwei Turniere in Deutschland, auf dem sie sich auf Fünf-Sterne-Niveau messen können. Während das Springen mitunter an ein bayerisches Klassentreffen erinnert, tritt im Dressurbereich regelmäßig die nationale und internationale Elite an, darunter Isabell Werth, Dorothee Schneider oder Jessica von Bredow-Werndl. Aber auch die Besten der Weltrangliste können mit ihren Pferden nicht auf mehreren Vierecken gleichzeitig tanzen.

"Das wird sehr eng werden", gibt auch Jessica von Bredow-Werndl mit Blick auf die verbleibenden Turniermonate zu. "Normalerweise lasse ich meine Pferde nur alle vier bis sechs Wochen auf großen Turnieren starten, alles andere ist zu viel. Wir werden abwägen müssen, wo wir noch starten." Falls es denn irgendwann einen Turnierplan gibt, bislang habe man nur von Veranstaltungen gehört, die abgesagt oder verschoben wurden. "Man hängt momentan auch ein bisschen in der Luft, was den weiteren Saisonverlauf angeht."

Jessica von Bredow-Werndl wäre gerne auch in diesem Jahr wieder nach München gereist. Weit wäre die Fahrt nicht gewesen, der Hof der auf der Weltrangliste aktuell Viertplatzierten befindet sich im oberbayerischen Aubenhausen. Gerade sei sie noch in der Halle gewesen, erzählt von Bredow-Werndl am Telefon, der Ausbildungs- und Trainingsbetrieb laufe fast unverändert weiter. "Wir mussten uns in einigen Dingen einschränken, können aber weiter mit den Pferden arbeiten. Dafür bin ich sehr dankbar, das ist die Arbeit, die ich am meisten liebe." Natürlich fehlen ihr die Turniere, nicht nur als wirtschaftlicher Faktor: "Sie sind auch eine Chance, sich zu messen und zu sehen, wo man steht."

In München hätte von Bredow-Werndl neben ihrem Grand-Prix-Routiniers TSF Dalera BB und Zaire E auch eines ihrer jungen Pferde vorgestellt. "Die Pferd International veranstaltet auch sehr gute Dressurprüfungen für Nachwuchspferde. Das wäre eine super Gelegenheit, meinen Youngster internationale Turnierluft schnuppern zu lassen." Stattdessen schnuppert dieser nun die Luft der umliegenden Felder: "Wir versuchen, das Training so abwechslungsreich wie möglich zu gestalten, damit den Pferden nicht langweilig wird. Dazu gehört auch, viel auszureiten."

Galopprennbahn Riem

Man muss Horst Lappe schon gezielt auf die finanziellen Auswirkungen der aktuellen Lage ansprechen, um das zu hören, was dem Generalsekretär des Münchener Rennvereins (MRV) natürlich auch im Kopf herumschwirrt: "Es wird ein Desaster, ein Drama, eine große Bewährungsprobe", sagt er dann. Eigentlich will Lappe nämlich nicht jammern oder lamentieren, die Gesundheit der Menschen sei viel wichtiger. So laute auch die Ansage des MRV-Präsidenten Dietrich von Boetticher, was in allen künftigen Überlegungen zur Galopprennbahn Riem bitte die Hauptrolle zu spielen habe. Doch längst gibt es natürlich ein paar Fakten, die für sich stehen, ob man nun jammern möchte oder nicht. Der traditionelle Aufgalopp mit dem Bavarian Classic, einem europäischem Gruppe-III-Rennen am 1. Mai, ist seit Wochen abgesagt. 7500 Zuschauer hatte es vor einem Jahr angezogen. Stattdessen weist die Homepage des MRV als Saisonauftakt für den 9. Mai einen kleinen Renntag unter Ausschluss der Öffentlichkeit aus - doch auch der sei bereits Makulatur, sagt Lappe. "Ich glaube nicht, dass wir eine Genehmigung bekommen hätten", erklärt er, was wiederum bedeutet, dass sie sich auch gar nicht erst darum bemüht haben. Auf der Bahn hätte man das alles schon irgendwie organisieren können, erklärt er, doch in München selbst gibt es zu wenige Pferde, man wäre in jedem Fall auf Gastpferde angewiesen gewesen. Also hätte man Transporte ausgelöst, Übernachtungen organisieren müssen, alles schwierig bis unmöglich zurzeit. Und was, wenn sich selbst im kleinstmöglichen Kreis von Trainern, Funktionären, Jockeys, Rennbahnmitarbeitern oder Kameraleuten jemand infiziert hätte? "Das alles führt doch zu nichts", findet Lappe.

"Mir fehlen die Rennen jeden Tag", sagt er. Es sehe ja weltweit nicht viel besser aus, selbst das britische Royal Ascot Mitte Juni werde entweder ohne Zuschauer oder gar nicht stattfinden. Auch in Riem ist es wenig tröstlich, nach vorne zu blicken. Der zweite Renntag Mitte Mai hätte ebenfalls groß werden sollen, nun ist er auf Mitte Juni vertagt, vermutlich als so genanntes Geisterrennen, auch wenn Lappe diesen Begriff nicht mag. Und der Große Dallmayr-Preis Ende Juli? Der Saisonhöhepunkt, das erste von zwei Gruppe-I-Rennen der Saison in Riem? "Ehrlicherweise wird auch der nicht stattfinden", sagt Lappe. Wie auch, er wird als größte Kaffeeparty der Welt vermarktet. Geister trinken keinen Kaffee. Ehrenpräsident Wolfgang Wille, der zugleich den Namenssponsor vertritt, habe bereits signalisiert, dass man sich lieber auf 2021 konzentrieren wolle.

Für Lappe ist die Lage nun doppelt bitter. Denn ohne dieses Virus hätte er wohl das erste positive Ergebnis der chronisch defizitären Rennbahn "seit Ewigkeiten" herausgeholt. Drei große Musikveranstaltungen hatte er auf dem Gelände sicher, alle mussten nun abgesagt werden. Für die Brauereien und die ganze Gastronomie auf der Anlage sei all das "eine Katastrophe, und für die Aktiven natürlich ebenso. "Es sollte der Aufbruch in erfolgreiche Zeiten sein, jetzt ist es leider ein Absturz."

Wie es weitergeht? "Im Moment ist alles so weit weg, ich weiß gar nicht, ob wir dieses Jahr überhaupt einen Renntag sehen", sagt Lappe. "Aber meine Hoffnung ist doch, dass vielleicht ab August manches gelockert wird, dass wir gegen Jahresende vielleicht vor ein-, zweitausend Menschen Rennen veranstalten können. Und dass wir bei einem milden Winter bis November, Dezember einige Renntage nachholen können." Irgendwann, hofft Lappe, müsse sich das Leben doch wieder normalisieren.

Trabrennbahn Daglfing

Christkindlmärkte? Nein, selbst die könne er sich dieses Jahr kaum vorstellen, sagt Sascha Multerer. Deshalb hofft er zwar noch ein bisschen auf das letzte Quartal, aber eigentlich geht der Rennsekretär des Münchner Trabrenn- und Zuchtvereins (MTZV) viel eher davon aus, dass es 2020 gar keinen Pferdesport vor Publikum geben wird. Beim Thema Geisterrennen sieht er die Lage allerdings anders, denn schon in dieser Woche will der MTZV wie alle anderen deutschen Trabsportvereine beim Kreisverwaltungsreferat "einen Vorstoß wagen".

Schließlich hätten sie ja nun Erfahrung mit dieser Art von Veranstaltungen, die eben explizit keine Veranstaltungen seien. Sondern Zucht- und Leistungsprüfungen. Unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Sie hätten ein fertiges Konzept, und auch wenn er nicht vor Optimismus überschäume, "kann ich mir doch vorstellen, dass wir zumindest nicht auf ganz taube Ohren stoßen", sagt Multerer. Sein Glück will der Verein zunächst für den 3. Mai versuchen.

Drei Termine werden bis dahin ausgefallen sein. Die Argumente für die Wiederaufnahme des Rennbetriebs sind nicht viel anders als jene, die dem MTZV seinen bisher letzten Renntag ermöglicht hatten: dass der Abstand zwischen den Fahrern allein schon wegen der Sulkys gewährleistet werde; dass das Gelände weitläufig sei; dass in den Ställen nur jene Menschen zusammenkämen, die ohnehin tagein, tagaus zusammenarbeiteten; und dass es hier um die Ausübung einer Berufstätigkeit gehe, um die Sicherung von Existenzgrundlagen. "Die Trainer können ja nicht viel anderes machen, als Rennen zu fahren und Pferde dafür vorzubereiten", sagt Multerer. Und wenn man die Situation mit der Arbeit in einem Großraumbüro oder auf einer Baustelle vergleiche, sei die Ansteckungsgefahr auf der Rennbahn sicher auch nicht höher.

Erst einmal müsste eine Genehmigung her. Multerer nennt den ersten Versuch "ergebnisoffen", aber es folgen weitere Renntage. 12. Mai. 31. Mai. Letzteren hat der MTZV sogar erst zusätzlich ins Programm genommen, nachdem das Pfingstmeeting in Pfarrkirchen ebenso abgesagt worden war wie die Pferd International, für die man eigentlich immer die Parkplätze freihalte. So wäre dann eine zu große Lücke entstanden für den ganzen Trabrennsport-Zirkus. Seine gehobenen Rennen hat der Verein noch in der Planung, auch wenn sie vom April und Mai auf August, September und Dezember verschoben wurden. Ob solche Höhepunkte wie der Große Preis von Bayern dann sinnvoll wären ohne Publikum, sei eine andere Frage, aber noch habe man ja etwas Zeit. Das höchste der Gefühle, glaubt Multerer, wäre es, wenn irgendwann zumindest die Besitzer wieder auf die Bahn kommen dürften, um ihre Pferde zu sehen, was ja auch schon was wäre. Vorerst ist das ausgeschlossen. Natürlich werde der Geschäftsbetrieb jenseits von Wetten und Rennpreisen leiden, schon weil die Vermietung des Geländes unmöglich ist. Da helfen auch keine Geisterrennen. Zum Abschluss betont der Rennsekretär aber noch: "Bei uns ist es nicht so wie auf einigen anderen Bahnen, dass unmittelbare Existenzangst herrscht." Etwas Positives könne man ja auch mal äußern.

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Quelle:
SZ vom 20.04.2020
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