Süddeutsche Zeitung

Pferderennbahnen:Zucht und Zukunft

Die letzten bayerischen Rennvereine schlagen Alarm: Nicht nur wegen der Corona-Krise sehen sie ihren Bestand gefährdet. Auch angesichts immer weiter sinkender Wetteinnahmen hoffen sie auf staatliche Hilfe und neue Finanzierungsmodelle.

Von Celine Chorus und Andreas Liebmann, München

Von kleinen Schneegestöbern lässt sich der Münchner Trabrenn- und Zuchtverein (MTZV) nicht aufhalten. Warum auch - spritzt dann eben ein bisschen. Helme, Anzüge und Schutzbrillen der Fahrer sind nach solchen Renntagen voller Schlamm, das gehört dazu. An diesem Sonntag findet wieder ein Renntag in Daglfing statt, es ist der vierte in dieser Saison.

Auf den ersten Blick haben sich die Münchner Trabrennsportler auch von der Pandemie kaum aufhalten lassen. Vor dem Lockdown im vergangenen Frühjahr waren sie die letzten, die noch eine Münchner Sportveranstaltung durchzogen, ehe alles stillstand; und sie waren die ersten, die danach wieder ein Sportereignis anboten. Auf 23 Renntage brachten sie es im Saisonverlauf, die seit dem Virus freilich ohne Zuschauer blieben und nach dem ersten Lockdown keinem Amateurfahrer mehr offenstanden. Für die Fahrer, Trainer und Besitzer versuchte der MTZV damit zu retten, was zu retten ist, aber natürlich war die Saison für ihn ein Draufzahlgeschäft. Die Existenzsorgen fahren in jedem Sulky mit.

An zwei Ministerien haben sich die Vereine aus Riem, Daglfing und Straubing gewandt - und erste positive Signale erhalten

Damit ist der MTZV nicht allein. Vor Kurzem hat er deshalb gemeinsam mit den benachbarten Galoppern aus Riem und dem Zucht- und Trabrennverein Straubing Hilferufe verschickt an die bayerischen Staatsministerien für Landwirtschaft und für Finanzen. Unter anderem geht es in ihrem Grundsatzpapier um die Forderung nach Soforthilfen, die die finanziellen Folgen der Pandemie abmildern sollen. Doch die drei Rennvereine nutzen die aktuelle Krise auch, um auf ein aus ihrer Sicht viel grundlegenderes Problem hinzuweisen: ihre seit Jahren sinkenden Wetteinnahmen, die ihren Bestand schon lange gefährden.

Die Galopprennbahn Riem ist nicht für Schnee gemacht. Die Saison hier beginnt üblicherweise im Mai, dann finden wenige, aber erlesene Renntage statt. Hier, im Schatten alter Bäume und vor historischer Kulisse, ließ sich 2020 sehr deutlich erkennen, welche konkreten Auswirkungen die Pandemie hatte. An einem guten Tag, zu einem Gruppe-1-Renntag bei Sonnenschein, wären bis zu 15 000 Besucher auf das Gelände des Münchener Rennvereins (MRV) geströmt, sie hätten Picknickdecken ausgebreitet, die Gastronomie genutzt, gespannt auf ihre Wettscheine geblickt. Nun war die parkähnliche Anlage so leer wie die Tribünen entlang der Strecke. Es ist nicht nur das Eintrittsgeld, das den Vereinen dadurch entgeht - in Daglfing verlangen sie ohnehin seit Jahren keinen Eintritt mehr -, es fehlen die Wetten an der Bahn, die Einnahmen aus der Bewirtung, Sponsorengelder, auch Einnahmen aus der Vermietung des Geländes. "Wir leben von der Substanz", betont Josef Schachtner. Der Vorsitzende des Straubinger Vereins ist zugleich Sprecher aller deutschen Trabrennvereine. In dieser Situation, so argumentieren die Vereine nun, laufen sie mehr denn je Gefahr, ihrer eigentlichen Aufgabe nicht mehr nachkommen zu können: dem Abhalten von Leistungsprüfungen.

300 000 Euro Soforthilfe bringen sie ins Spiel und verweisen nach Nordrhein-Westfalen

Nur unter Rennbedingungen lässt sich ermitteln, ob ein Pferd zur Zucht geeignet ist, vor diesem Hintergrund operiert der Pferderennsport. "Sobald diese Leistungsprüfungen ausfallen, werden die Züchter ihre Bemühungen, Galopp- und Trabrennpferde zu verbessern, einschränken", sagt Sascha Multerer. Er ist Generalsekretär des MRV in Riem und Rennsekretär des MTZV in Daglfing. Es gibt nur noch dreieinhalb Rennbahnen in Bayern (auf der Trabrennbahn Pfarrkirchen findet ein Pfingstmeeting statt), die in Pfaffenhofen und Mühldorf gingen insolvent. Damit nicht auch die verbliebenen ihren Betrieb einstellen müssten, seien sie auf staatliche Unterstützung angewiesen. Bislang fielen sie durch alle Corona-Hilfsprogramme, inzwischen sei ihnen als erste Reaktion auf ihre Schreiben zumindest mitgeteilt worden, wie sie ihre Einbußen doch geltend machen könnten, berichtet Schachtner. Ob und welche Zuschüsse sie beantragen, müsse erst steuerrechtlich geklärt werden.

Die drei Unterzeichner bringen nun je 300 000 Euro Soforthilfe ins Gespräch, wie sie für 2020 jeder Rennverein in Nordrhein-Westfalen als staatliche Unterstützung erhalten habe. 50 Prozent einer solchen Hilfe würden die bayerischen Vereine zur Finanzierung der Renntage und des Unterhalts ihrer Bahnen für das laufende und das vergangene Jahr verwenden, steht in ihrem Brief; die andere Hälfte, um Rennpreise für Jahrgangs-und Zuchtrennen bis 2023 zu finanzieren, die ein Anreiz sein sollten für Züchter und Besitzer. "Wenn eine permanente Unsicherheit besteht, ob ein Verein auch in den nächsten Jahren Rennen abhalten kann, wird kein Nachwuchs mehr gezüchtet", fürchtet Multerer.

Das Privileg der Pferdewette ist längst hinfällig, und mit der Internet-Konkurrenz habe man "keine Waffengleichheit"

Über die Soforthilfe hinaus regt das Trio ein staatliches Förderprogramm samt einer Zuteilung aus den Erträgen der staatlichen Lotterieverwaltung an. Damit soll die Finanzierung der Leistungsprüfungen, die bisher von den Einnahmen aus der Pferdewette gestemmt wurde, auf neue Säulen verteilt werden. Allein Daglfing habe "in den Achtzigern einen Jahresumsatz von 80 Millionen Mark" gehabt, erinnert Multerer an goldene Zeiten, in denen das alte System bestens funktioniert und der Sport floriert habe. Dafür hatten die Vereine vom Staat einst das Privileg erhalten, Totalisatorwetten anzunehmen. Mit dem Aufkommen unkontrollierter Sportwetten nach der Wiedervereinigung schwand dieses Privileg jedoch, die meisten Kunden wanderten in den vom Staat geduldeten neuen Glücksspielmarkt und dort vor allem ins Internet ab. "Dadurch haben wir einen neuen Konkurrenten, mit dem wir aber keine Waffengleichheit haben", sagt Multerer.

Zusatzproblem: Nur wenn Buchmacher in Deutschland saßen, wurden die Rennvereine an deren Pferdewetteinnahmen beteiligt. "Es sollte sich jedoch herausstellen, dass es in Deutschland nicht viele Buchmacher gibt, die Wetten auf deutsche Rennen annehmen", so Schachtner. Ende 2019 gab es eine Korrektur, für Schachtner "ein Tag der Freude", seither ist es für die Rückerstattung an Vereine unerheblich, wo Buchmacher sitzen. Trotzdem kommen Rückflüsse bisher spärlich, die Vereine machen jede Saison weniger Wettumsatz: "Heute beträgt der Jahresumsatz nur noch eine Million Euro", berichtet Multerer aus Daglfing. Zuletzt hätten sich die Einnahmen nochmals halbiert, weil Wettscheine über Agenturen platziert wurden, die Provisionen verlangten. Dass nun coronabedingt auch Bahnwetten wegfielen, kam erschwerend hinzu. Aus Sicht der Vereine braucht es dringend neue Finanzierungsformen, das Landwirtschaftsministerium habe ihnen Gesprächsbereitschaft signalisiert.

Überstehen würden alle drei dieses Jahr auch ohne Finanzspritze, betont Schachtner, aus dem Bestand eben. Nur auf Dauer sei der Zustand nicht haltbar. Multerer warnt: "Wir gefährden nicht die Veranstaltung, sondern mit der Zucht die Sache, die eigentlich gefördert werden soll. Bleibt die Zucht aus, ist der Pferderennsport tot."

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