Nadistraße:Mark Spitz der Fechtbahn

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Der Italiener Nedo Nadi gewann 1920 fünf Goldmedaillen bei den Olympischen Spielen. Sein früher Tod bleibt rätselhaft.

Von Christoph Leischwitz, München

Immerhin: Nahe der Straße, die seinen Namen trägt, wurde auch ein winziger See nach Nedo Nadi benannt. Er liegt 500 Meter nördlich von jenem Olympiabecken, in dem Mark Spitz dem Italiener 1972 mit sieben Goldmedaillen einen Rekord abluchste: den für die meisten Siege in einer einzelnen olympischen Disziplin beim selben Ereignis. Obwohl Nadi mit insgesamt sechs Olympiasiegen zu den erfolgreichsten Sportlern überhaupt gehört, fristet sein Nachname zwischen den Hochhäusern im olympischen Dorf, eingebettet zwischen dem Läufer James B. Connolly und dem Gewichtheber Josef Straßberger, zwar kein leises, aber doch ein Dasein im Stillen. Schon als Anfang der 1970er Jahre die ersten Appartements für 330 Mark vermietet wurden, dürften sich einige Zugezogene gefragt haben, wer dieser Nadi ist. Zu diesem Zeitpunkt war er bereits mehr als 30 Jahre tot. Nadi war Fechter, doch selbst unter diesen gibt es in München wenige, denen sein Name etwas sagt.

Nedo und sein Bruder Aldo hatten keine leichte Kindheit. Beide wuchsen um die Wende zum 20. Jahrhundert in Livorno auf. Ihr Vater war streng. Zur Erziehung gehörte, dass er ihnen das Fechten mit Florett und Säbel beibrachte. Der Degen war im Hause Nadi verpönt, und wenn der Patriarch gewusst hätte, dass sich seine Söhne den Umgang mit dieser Waffe heimlich selbst beibrachten, wäre die Strafe wohl recht harsch ausgefallen. Selbst als seine Sprösslinge später Erfolge mit dem Degen feierten, war der Vater nicht begeistert.

Nedo Nadi. (Foto: oh)

In jedem Fall hatte Nadi senior zwei Ausnahmetalente herangezogen. Bereits 1912 in Stockholm gewann Nedo Gold mit dem Florett. Im Ersten Weltkrieg diente er als Kavallerist, konnte sein Talent aber bewahren. 1920 in Antwerpen holte er dann fünf Goldmedaillen, mit dem Florett und dem Säbel sowie in allen drei Wettbewerben mit der Mannschaft. Sein Bruder Aldo war ebenfalls Teil dieses Teams.

Nedo Nadis Erfolg erfuhr in der historischen Einordnung kleinere Einschränkungen. Zum einen wäre er wohl nicht ganz so triumphal ausgefallen, wenn die im Krieg unterlegenen Nationen teilgenommen hätten. Vor allem Ungarn galt zur damaligen Zeit als große Fechtnation. Zweitens war es damals sehr viel üblicher als heute, im Umgang mit allen drei Waffen gewandt zu sein; die Umstellung von der einen auf die andere fiel nicht so schwer. Das liegt vor allem daran, dass sich Florett-, Säbel- und Degenfechten nach dem Zweiten Weltkrieg auseinanderentwickelt haben, aufgrund neuer Regeln und der Einführung der elektronischen Trefferanzeige. Trotzdem gilt Nadis Erfolg als beispiellos. Und er hätte vermutlich noch viel mehr Medaillen gewonnen, wenn er nicht schon bald als Profi gegolten hätte. Profis durften bei den Spielen nicht mehr antreten.

Veteranen aus der vorelektronischen Zeit berichten, dass die damals noch vier Kampfrichter an der Seite oft nach Gehör gingen, um einen Treffer zu registrieren. Darüber hinaus war es aber für die Fechter wichtig, dass ihre Treffer gut sichtbar waren. Und dies setzte eine höhere Präzision voraus, auch wenn die Bewegungsabläufe damals langsamer waren als heute.

In der Heimat wurde Nadi nach den Spielen von Antwerpen zum Star. Einerseits. Andererseits musste sich der Allrounder dagegen wehren, von der Politik instrumentalisiert zu werden. Ihm war der Fechtsport wichtiger als seine Nationalität oder gar Nationalstolz. Während des Ersten Weltkriegs handelte er sich Ärger ein, weil er sich als Soldat mit einem österreichischen Gefangenen anfreundete, nachdem er erfahren hatte, dass dieser ein guter Fechter ist. "Ich habe ihn lediglich wie einen Menschen behandelt", sagte Nadi einmal. Den Faschisten, die daheim schon bald die Macht übernehmen sollten, war er seitdem ein Dorn im Auge.

Kampf der Geschlechter: Nedo Nadi im Schaugefecht mit der Deutschen Helene Mayer (undatierte Aufnahme, vermutlich um 1936). Der Olympiasiegerin von 1928 ist in München der gleichnamige Ring gewidmet. (Foto: Bettmann Archive/Getty)

Zunächst wurden ihm seine Medaillen aberkannt. Vor seiner Wohnung kam es immer wieder zu Einschüchterungsversuchen. So ritt zum Beispiel der Polizeichef des Öfteren zu Pferd vor Nadis Haus in Livorno auf und ab.

Lange konnte sich Nadi dem Regime entziehen. Eine Weile arbeitete er als Sportjournalist. Weil aber auch der "Duce" Benito Mussolini das Fechten liebte, war ein Treffen über kurz oder lang unausweichlich. Mehrmals schlug Nadi Angebote aus, nach Rom zu kommen und den Ruhm des Fechtsports unter der faschistischen Flagge zu mehren. 1931 ging er erst einmal nach Argentinien - Buenos Aires galt damals als angesehene Sporthochburg. Schließlich aber beugte sich Nadi dem stetig wachsenden Druck und wurde Trainer der italienischen Fechter. Von 1935 bis '40 amtierte er sogar als Präsident des italienischen Verbandes. Bei den Spielen 1936 in Berlin war seine Equipe fast so erfolgreich wie er selbst 16 Jahre zuvor: Sie gewann vier Gold-, drei Silber- und zwei Bronzemedaillen. Auf Fotos von damals ist Nadi beim faschistischen Gruß zu sehen. Trotzdem ist davon auszugehen, dass er lediglich politische Kompromisse einging, um sich sportlich entfalten zu können.

Ob eventuelle väterliche oder politische Repressalien zu Nadis Tod beigetragen haben, wird wohl ein Geheimnis bleiben. Sein Ende liegt größtenteils im Dunkeln. In einigen Biografien ist zu lesen, er sei im Januar 1940, mit nur 45 Jahren, an einem Schlaganfall gestorben. Der Berliner Olympia-Chronist Volker Kluge hat allerdings einen Beleg dafür, dass Nadi an Neurasthenie litt, eine dem Krankheitsbild von Depressionen oder Burnout nicht unähnliche psychische Auffälligkeit. Gestorben sei er an einer Überdosis Schlaftabletten.

Die Nadistraße im Münchner Olympiadorf in Erinnerung an den italienischen Säbel- und Florettfechter Nedo Nadi, der insgesamt sechs Mal olympisches Gold gewann. (Foto: Florian Peljak)

In Italien wurde Nadi neben 116 weiteren Athleten auf dem "Walk of Fame" in Rom geehrt. Die nach ihm benannte Straße in seiner Heimatstadt Livorno ist aber deutlich unscheinbarer als jene in München: Sie ist nicht länger als drei aneinandergereihte Fechtbahnen.

© SZ vom 05.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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