Munich Mash:Finale ohne Deutschland

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Große Inszenierung: Der Australier Shane O'Neill ging als Letzter in den Parcours, vergab seine Siegchance aber mit einem "Switch double 360 flip". (Foto: Johannes Simon)

Der Kalifornier Paul Rodriguez gewinnt den Skateboard-Wettbewerb, Favorit Nyjah Huston stürzt

Von Marc Baumann, München

Wenn neben dir ein finster blickender Ordner steht, der tätowierte Oberarme hat so dick wie Oberschenkel, dann folgt man besser seinen Anweisungen. Die lautete: GEH. JETZT. HEIM. Jonas Rosenbauer erhob sich also von seinem Stuhl, lief durch die leeren Reihen und verließ mit den letzten Besuchern den Innenraum der Olympia-Eishalle. Dabei warf er einen letzten sehnsuchtsvollen Blick auf den dort aufgebauten Skatepark. "Der Parcours hier ist perfekt", sagte Rosenbauer, einer der besten Münchner Skater. Montag und Dienstag darf auch er hier fahren, wo eben noch die weltbesten Skateboard-Fahrer um 80 000 US-Dollar Siegerprämie angetreten sind. Das Problem ist: Von Mittwoch an wird die Halle wieder zur Eishockeyhalle zurückgebaut. Und die Münchner Skater können dann nur hoffen, dass der Juli trockener wird als der Juni. Bei Regen stehen sie nämlich: im Regen.

In München gibt es seit Jahren keine Skaterhalle - und auch keine Aussicht auf einen Bau. Dabei war der Samstagabend ein schöner Beweis dafür, dass München nicht nur Fußball und Basketball kann, sondern auch Skateboard. Das amerikanische Organisationsteam der internationalen Streetleague-Serie hatte die gewagte Idee, das Finale der deutschen Ausgabe am Abend eines EM-Viertelfinales anzusetzen. Und dann spielte in Frankreich auch noch Deutschland gegen Italien. Nach dem finalen Lauf, dessen Ende auf 21 Uhr - Anstoßzeit in Bordeaux - angesetzt war, sollte noch ein "Best Trick"-Wettbewerb stattfinden, Beginn 21.30 Uhr. Die vielen Deutschland-Trikots auf den Tribünen während der Qualifikation am Nachmittag ließen es ahnen: Skateboarder sind offenbar auch Fußballfans.

Der häufigste Name auf den Trikots in der Eishalle lautete nicht "Müller", sondern "Villemin". Ville. . . wer? Lem Villemin, Deutschlands wohl bester Skateboard-Fahrer. Den ehrte eine Ausrüsterfirma mit einem nicht ganz ernst gemeinten Fußballdress im Design des WM-Trikots von 1990. Eben mit "Villemin" statt "Matthäus" oder "Brehme" hinten drauf. Lem Villemin war am Wochenende offenbar auch in München, er postete am Freitag ein Foto von den Münchner Eisbach-Surfern. Doch beim größten Skateboard-Wettbewerb des Jahres in Deutschland war er nicht zu sehen. Kein einziger heimischer Fahrer durfte gegen die Topathleten aus den USA und Brasilien antreten. Die Deutschen sind beim Skaten in etwa das, was die Amerikaner beim Fußball sind: prinzipiell wettbewerbsfähig, aber nach der Vorrunde wäre ziemlich sicher Schluss gewesen. Den Fußballvergleich kann man gleich noch ein bisschen weiterdrehen: Zum Beispiel bei der entscheidenden Szene des Abends, als der Favorit Nyjah Huston (USA) mit dem letzten spektakulären Trick doch noch den Sieg hätte erringen können. Die ausverkaufte Halle erhob sich euphorisch von den Plätzen, unzählige Handys wurden gezückt und die Aufnahme-Tasten gedrückt. Huston hatte den Trick - ein sehr weiter Sprung auf ein sehr schmales, langes Geländer - schon einmal probiert und war dabei unsanft erst mit dem Oberkörper und dann mit dem Kopf auf die Metallstange geschlagen.

Beim Fußball sinken Spieler wie Cristiano Ronaldo bei leichtesten Berührungen schreiend zu Boden. Huston dagegen zog sein Shirt zurecht und rollte auf die Startrampe zurück. Anerkennendes Schulterklopfen des größten Konkurrenten, dann probierte Huston es erneut. Wieder stürzte er heftig, diesmal blieb er einige Sekunden regungslos quer über dem Eisenrohr liegen. Als danach auch noch der letzte Starter, der Australier Shane O'Neill, seinen Sprung mit der technisch enorm schwierigen Brettrotation "Switch double 360 flip" nicht landen konnte, stand der Sieger fest: der 31-jährige Kalifornier Paul Rodriguez.

Während die italienischen Fußballer nach dem Elfmeterschießen erschüttert oder weinend vom Feld gingen, feierten die im Finale geschlagenen Skateboard-Profis ihren Sieger mit rührender Herzlichkeit. Als der spätere Zweitplatzierte Luan Oliveira so niedrige Wertungen bekam, dass ein gellendes Pfeifkonzert durch die Halle ging, nahm er es gelassen und ohne Protest hin. Nicht mal Evan Smith, der eindeutige Publikumsliebling, fand ein schlechtes Wort darüber, dass die Punktrichter ihn etwas früh ausscheiden ließen. Obwohl er den am lautesten bejubelten Lauf der Qualifikation hinlegte, vollgepackt mit überraschenden Tricks. Für die Fahrer ging es nicht nur um stattliches Preisgeld, der Wettkampf wurde zudem im US-Fernsehen übertragen. Dass im deutschen TV an diesem Abend auch etwas Sehenswertes lief, merkte man um 20.55 Uhr, als Paul Rodriguez von seiner Freundin den Siegerkuss bekam und die Zuschauer schlagartig nach Hause eilten. Oder zum Public Viewing ins nahe Olympiastadion.

Da es also die meisten verpasst haben: Chris Joslin hat dann noch den Best-Trick-Bewerb gewonnen.

© SZ vom 04.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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