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Munich Cricket Club:Aus Tradition bunt

Die sportlichen Erfolge des Munich Cricket Club sind noch überschaubar. Viel wichtiger ist dem Verein, dass er jedem eine Heimat bietet, der diese urbritische Sportart kennenlernen will. Nicht nur aus aktuellem Anlass gilt das besonders für Flüchtlinge

Von Stefan Galler

Von Frühsommer an treffen sie sich jeden Freitagnachmittag auf der Sportanlage am Hirschanger im Englischen Garten. Ein bunter Haufen kommt da zusammen, Männer aus den verschiedensten Ländern, ja sogar Kontinenten. Und dann hängen sie gemeinsam ab, genießen das Ambiente und trainieren, schließlich bilden diese Sportler, die aus England, Frankreich, Australien, Neuseeland, Indien, Pakistan oder Südafrika stammen, nicht weniger als eine Bundesligamannschaft. Sie gehören zum Munich Cricket Club (MCC), dem ältesten Cricketverein Münchens.

Die Saison 2015 ist für den MCC gerade zu Ende gegangen. In der Bundesliga Südost, einer von insgesamt sechs regionalen Staffeln, haben sie zwar nur drei von neun Partien gewonnen, als Tabellenvorletzter aber dennoch den Klassenerhalt geschafft, aufgrund der besseren Statistik im Vergleich zum punktgleichen Munich International Cricket Club (MIC). Vier der sechs Mannschaften aus dieser Liga kommen aus München, der Rest Bayerns ist vertreten durch den Nürnberg Cricket Club und den aktuellen Staffelmeister Erlangen Cricket Club. Für die Mittelfranken war dann im Playoff-Viertelfinale um die deutsche Meisterschaft Endstation gegen den Champion der Bundesliga Südwest, den Stuttgart Cricket Verein. Doch auch der kam nur eine Runde weiter, im Finale trafen am vergangenen Wochenende Gastgeber Havelländischer Cricket Club Werder (Bundesliga Ost) auf den Mitte-Champion SKG Walldorf, die Walldorfer triumphierten zum zweiten Mal nach 2013.

Der MCC ist von derlei Meriten derzeit weit entfernt. Dabei handelt es sich bei diesem Klub nicht nur um den ältesten Münchner Cricketverein, sondern den ersten, der seit den dreißiger Jahren in Deutschland überhaupt ins Leben gerufen wurde. 1982 haben sich Fans der vor allem in den Ländern des Commonwealth beliebten Sportart in der Landeshauptstadt zusammengetan. Schon damals dabei war der Engländer Desmond Bradley, Jahrgang 1941 und heute Präsident des MCC. "Eine alte Regel besagt, dass eine Gruppe von Engländern, die irgendwo zusammenkommt, eine Cricket-Mannschaft gründen", sagt der Brite. Vorwiegend waren es damals Angestellte des internationalen Rundfunksenders "Radio Free Europe", dessen Räumlichkeiten in der Oettingen-, Ecke Tivolistraße am Englischen Garten lagen. Heute sind dort Institute der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) untergebracht. Man spielte auf einer Wiese im Park. "Und es gab die Regel, dass ein Schlagmann nicht out gegeben werden konnte, wenn sich nebenan gerade eine attraktive Münchnerin auszog", sagt Bradley und setzt ein breites Grinsen auf.

Der bunte Haufen Cricket-Spieler einigte sich auch wegen solcher Ablenkungen schon bald mit dem Platzwart am Hirschanger, dass sie dort trainieren konnten - und das tut der MCC bis heute ununterbrochen. Mit der Erlangung einer Spielstätte war der Weg frei für die Gründung des Klubs. Schon damals formulierten die Pioniere des Vereins eine Passage in ihrer Satzung, wonach jeder, egal welcher Rasse, Hautfarbe, Religion oder Geschlecht, herzlich willkommen sei. "Diese Einstellung haben wir in den fast 34 Jahren, die es uns nun gibt, immer beibehalten", sagt Desmond Bradley.

In der aktuellen Saison war der Kader fast 40 Mann groß, die Spieler kamen aus insgesamt elf Nationen. Einer aus dem Team ist sogar aktueller deutscher Nationalspieler, Amith Sarma, ein eher klein gewachsener Mann, der den Ball schon mal hundert Meter weit dreschen kann. In seiner Jugend in Indien gehörte Sarma noch zu den Nachwuchskadern der dortigen Nationalmannschaft, insofern ist er ein Glücksfall für das deutsche Cricket.

Seit der Gründung des MCC waren schon Spieler aus insgesamt 28 verschiedenen Ländern für die Münchner aktiv, darunter welche aus Papua-Neuguinea und Bangladesch. "Es ist natürlich auch eine gute Gelegenheit für Leute, die sich in München ansiedeln und hier niemanden kennen", sagt Igor Šestan, gebürtiger Kroate, früheres Vorstandsmitglied des MCC und Schatzmeister des Bayerischen Cricket-Verbandes. Oftmals wirke der Klub dabei wie eine Jobvermittlung: "Wir hatten mal einen Inder hier, der kein Deutsch sprach und kaum Aussichten auf einen Arbeitsplatz hatte. Nach vier Trainingseinheiten hatten ihm die neuen Teamkollegen bereits eine Stelle verschafft", sagt Šestan. "Danach ist er nicht mehr gekommen."

Eine wichtige Rolle spielt der Cricketsport auch für manche Flüchtlinge, vor allem jene, die aus Afghanistan und Pakistan kommen. In München finden solche am ehesten beim Klub Pak Orient, der in Milbertshofen angesiedelt ist, eine Heimat. Ein Vorzeigeprojekt an der schwäbisch-bayerischen Grenze hat die Diakonie Neu-Ulm ins Leben gerufen: Im Stadtteil Pfuhl sind Asylbewerber beim örtlichen Sportverein mit offenen Armen empfangen worden. Sie können dort nun regelmäßig trainieren, allerdings ist es den vorwiegend aus Pakistan stammenden Cricket-Spielern nicht möglich, Klubmitglied zu werden, weil man nicht wisse, wie lange sie in Deutschland bleiben dürften. "Es wäre für uns selbstverständlich ebenfalls vorstellbar, Asylbewerber aufzunehmen", sagt Igor Šestan. Man sei in Kontakt mit den Neu-Ulmern, die auch bereits ein Training des MCC am Hirschanger besucht haben.

Die Regeln

Cricket ähnelt dem amerikanischen Baseball. Gespielt wird auf einem Feld, das die Form eines Ovals hat und über einen Durchmesser von etwa 100 bis 140 Metern verfügt. Es treten zwei Teams, die aus jeweils elf Spielern bestehen, gegeneinander an. Eingeteilt wird die Partie in Durchgänge, die man als Innings bezeichnet. Die Mannschaft, die das Schlagrecht besitzt, versucht in Person von Batsmen (Schlagmänner) den Ball zu treffen und anschließend Runs (Punkte) zu erzielen. Das andere Team, das auf dem Feld steht, ist wiederum bemüht, die gegnerischen Batsmen mit ihren Bowlern (Werfer) aus dem Spiel zu bringen, indem sie deren Wickets, Holzkonstruktionen aus drei Stäben und zwei Querstreben, mit geschickten Würfen zerstören. Sobald zehn der elf Batsmen ausgeschieden sind, ist das jeweilige Inning zu Ende. Danach tauschen die Mannschaften ihre Positionen und die Schlagmannschaft wird zur Feldmannschaft.

Je nachdem, wie viele Overs (Würfe pro Bowler) und Innings (wie oft eine Mannschaft jeweils als Schlag- und Feldteam an die Reihe kommt) vereinbart wurden, kann ein Cricket-Spiel mehrere Stunden dauern. In der Bundesliga und in den Meister-Playoffs werden zwei Innings à 50 Over gespielt, das entspricht einer Spieldauer von mehr als sechs Stunden. Die Bundesliga Südost spielt mit Ausnahmegenehmigung 40 Over, weil einige Klubs den Platz nur für eine begrenzte Zeit pro Spieltag mieten können.stga

Dass die Sportart in Deutschland zwar langsam, aber durchaus spürbar im Aufwind ist, zeigen die Mitgliederzahlen im Deutschen Cricket-Bund (DCB): Waren es 2011 noch 1600 vorwiegend erwachsene Spieler, so sind es heute schon 2100. "Und dazu kommen noch einmal 900 Jugendliche", weiß Šestan. MCC-Präsident Bradley hofft, dass sich diese Entwicklung fortsetzt: "Es ist nicht leicht, die Deutschen für Cricket zu begeistern, aber seit der DCB 1988 gegründet wurde, sind schon große Fortschritte gemacht worden." Er schlägt vor, dass in Vorträgen an Schulen über diese hierzulande noch weitgehend unbekannte Disziplin informiert wird: "So könnte man Buben und Mädchen für die Sportart begeistern."

Je populärer Cricket wird, desto größer sind die Chancen, dass der MCC endlich seinen Herzenswunsch erfüllt bekommt: Einen Kunstrasenplatz. "Mittelfristig wäre das schon toll", sagt Šestan und zitiert Brian Mantle, den Geschäftsführer des DCB: "Nirgendwo ist es für die Vereine so schwierig wie in Bayern."

Chairman Bradley ist diesbezüglich gelassen, er freut sich eher darüber, dass seit diesem Jahr auch eine Damenmannschaft des Vereins am Hirschanger trainiert. Und er wagt schon mal die Prognose für die nächste Saison: "Ich denke, wir werden besser abschneiden. Einige Spieler werden uns verlassen, einige Neue werden bestimmt kommen." Der Haufen wird auf alle Fälle bunt bleiben.

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Quelle:
SZ vom 03.09.2015
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