Süddeutsche Zeitung

Münchner Mittelstrecklerinnen:Böser werden

Katharina Trost zieht bei ihrem Debüt ins Halbfinale ein, Christina Hering scheitert überraschend im Vorlauf.

Von Johannes Knuth, Doha

Das Rennen war noch nicht alt, die erste Runde zur Hälfte absolviert, da merkte Katharina Trost, dass irgendetwas nicht stimmte. Sie war sich ziemlich sicher, dass sie sich noch immer in einem 800-Meter-Rennen befand, zumindest hatte sie sich für ein solches eingeschrieben bei den Leichtathletik-Weltmeisterschaften in Doha, und im Vorlauf hatte sie sich ja sogar fürs Halbfinale qualifiziert. Aber dort war nun alles ein wenig anders.

"Es war auf jeden Fall krass", sagte Trost später. Jetzt wisse sie endlich, was Christina Hering meinte, ihre Trainingspartnerin, als sie Trost vor ein paar Monaten erzählt hatte, dass die erste der beiden Runden über 800 Meter ein bisschen sportlicher bestritten werde. "Die sind da wirklich rausgerannt, ich dachte, wir laufen nur 400 Meter", sagte Trost, nachdem sie dann doch die vollen 800 Meter hinter sich gebracht hatte. Und auch wenn es am Ende nicht für die Beförderung ins Finale reichte: Ins Halbfinale vorgestoßen zu sein, fand die 24-Jährige, "war wirklich mega."

So umstritten die Titelkämpfe im Wüstenemirat Katar sind, mit Marathons in der Nacht und leeren Tribünen im Stadion - für die LG Stadtwerke München barg sie auch ein erfreuliches Novum. Erstmals hatten es zwei ihrer Athleten im Einzel zu einer WM geschafft, Trost und auch Hering, die Anfang August vor ihrer Teamkollegin in Berlin deutsche Meisterin geworden war. Beide waren gleich am Eröffnungstag in die Vorläufe eingestiegen, die dann mit einem ungewöhnlichen Ausgang endeten: Trost, die WM-Debütantin, schaffte es gleich ins Halbfinale, wo in 2:01,77 Minuten Schluss war; im Vorlauf war sie in 2:01,45 sogar noch schneller gewesen. Hering, immerhin ausgestattet mit internationaler Erfahrung, die sie unter anderem bei Olympia 2016 und WM 2017 zusammengetragen hatte, ging indes schon im Vorlauf die Puste aus, in 2:03,15 Minuten - damit war die 24-Jährige überraschend früh raus. Und hatte, wie Trost, eine weitere Tücke eines Großereignisses kennengelernt.

Als Trost im Bauch des Khalifa-Stadions ihre erste WM bilanzierte, stand da eine Athletin, der man anmerkte, dass sie bei aller Nervosität auch von Unbeschwertheit getragen worden war. Sie hatte ihre Bestzeit über 800 Meter im Vorjahr erst auf 2:02,65 Minuten gedrückt, zu Saisonbeginn galt der Fokus der Universiade im Juli in Neapel, zumal Trost nebenbei auch noch ihr Staatsexamen im Grundschullehramts-Studium schrieb. Aber dann strandete sie in Neapel überraschend im Halbfinale (während Hering Silber gewann), und mit der WM würde es wohl eher schwer werden. Es klappte dann doch, Trost lief Ende August in Pfungstadt in Herings Schatten zur WM-Norm, in 2:00,36. "Für mich war ja hier jeder Lauf ein Endlauf, weil das Halbfinale das große Ziel war", sagte sie in Doha. Ihre Zufriedenheit speiste sich auch daraus, dass sie zwei Läufe unter 2:02 Minuten gezeigt hatte, das habe sie binnen zwei Tagen noch nie geschafft.

Man dürfe nicht vergessen, hatte ihr Trainer Andreas Knauer im Vorfeld gesagt, "dass Kathi in diesem Jahr so viel gelernt hat, wie das gewöhnlich nur innerhalb mehrerer Jahre möglich ist". Da ist zum einen die Erkenntnis, dass man auch mit Anfang 20 noch ganz schön vorankommen kann in seinem Sport, wenn man nur neue Reize setzt: Sprünge, Koordination, viel Athletik, die Knauer und Jonas Zimmermann im Training setzten. Sogar ihre Schnelligkeit habe sich verbessert, sagte Trost, die ihr als Athletin mit Kompetenzen für die 1500 Meter etwas fehlt. Zum anderen fand sie in diesem Jahr erstmals in internationale Starterfelder hinein, in Dessau, Rehlingen, Doha. Da wird die erste Runde schon mal schneller gelaufen oder auch mal ein Ellenbogen gesetzt, auch wenn die Ellenbogen der Gegnerinnen bei der 1,65 Meter großen Trost eher auf Kopfhöhe pendeln. "Das habe ich auf jeden Fall gelernt, dass ich mich da nicht zu sehr einschüchtern lasse und auch mal einen Ellenbogen setze", sagte sie in Doha, "ich bin ja eher eine liebe Läuferin." Also: böser werden. Dann könne es im kommenden Jahr sogar mit Olympia klappen, entweder über die neue Weltrangliste oder über die Norm (1:59:90). Die zwei Minuten wolle sie eh knacken, sagte Trost. Auch das habe ihr diese Saison gezeigt: "Ich weiß jetzt, dass ich da vorne mitrennen kann."

Und Hering? Die konnte sich ihr frühes Aus zunächst "leider gar nicht erklären". Sie waren in ihrem Vorlauf moderat losgelaufen, Hering wusste, dass sie im Spurt einen der drei ersten Plätze erwischen musste. Aber mit ihrem Punch auf den letzten Metern sollte das ja kein Problem sein. Doch dann rauschten die anderen "in einer Geschwindigkeit vorbei, da konnte ich überhaupt nicht mehr mithalten", sagte sie. Sie vermutete, "dass mein Körper hier nicht mit der Hitze beziehungsweise den Unterschieden klar kam" - die Athleten wanderten in Doha oft durch mehrere Klimazonen, Hitze auf dem Aufwärmplatz, Kälte im Callroom, wo Hering mit Daunenjacke saß. Sie nahm es tapfer. Die Tokio-Norm hatte sie zuletzt in Pfungstadt geschafft (1:59,41), für Olympia fehlt ihr nun nur noch eine langsamere Stabilitätsnorm. "Ich werde versuchen, auch aus dieser WM was zu lernen", sagte sie. Damit man sich nach dem Böse sein auch freuen kann.

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Quelle:
SZ vom 01.10.2019
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