Münchner Derby:Zwischen Buddha und Würstelmacher

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Blaue, die trotz der 0:1-Pleite gegen den FC Bayern zu ihrem TSV 1860 halten: Emotionen gab es beim kleinen Stadtderby auf beiden Seiten. (Foto: Johannes Simon)

Der TSV 1860 verliert in der Fußball-Regionalliga gegen Bayern II, aber die meisten Löwen-Fans ertragen das mit Gelassenheit. Impressionen vom Münchner Derby, von dem man nicht weiß ob es überhaupt eines ist.

Von Gerhard Fischer

Als ein paar kernige Löwen-Fans kurz nach 13 Uhr den Candidberg erklimmen, werden sie von der Polizei gestoppt: Berg gesperrt, heißt es. "Ja Kruzifix", ruft einer der Löwen, "hier geht's ned, und oben aa ned, weil da die Roten sind." Aber dann trollen sie sich brav. Hilft ja nichts. Der Candidberg ist gesperrt, weil die Polizei einen "verdächtigen Gegenstand" hinter der Westkurve entdeckt hat, wie es zunächst heißt.

Es kommt dann ein dunkler Polizeiwagen mit einem Einsatzkommando. Könnte ja eine Bombe sein, oder? Eine Polizistin bittet auf Nachfrage um Geduld. "In 20 Minuten oder einer halben Stunde" wisse man mehr. Sie wirkt nicht angespannt. Zwanzig Minuten später ist der Candidberg wieder frei begehbar, der dunkle Polizeiwagen ist weg - und der verdächtige Gegenstand auch.

Der Polizeisprecher sagt, es sei eine Rauchgranate gewesen, "vermutlich sollte sie im Stadion als Pyro dienen". Im Stadion kursieren Gerüchte, die Granate hätte einen Zeitzünder und sollte um 15 Uhr, also beim Anpfiff, hinter der Westkurve (vulgo: Löwen-Kurve) hochgehen und roten Rauch (vulgo: Bayern-Rauch) aufsteigen lassen. Ein schöner Gruß an die Löwen, aber sicher nicht in Herzform.

Man weiß nicht, ob tatsächlich Bayern-Fans die Rakete deponiert hatten; aber man weiß, dass sich Blaue und Rote richtig dick haben. Dieses Derby war deshalb als Hochrisiko-Spiel eingestuft worden, 500 Polizisten sicherten alles im und um das Grünwalder Stadion herum.

Aber war es wirklich ein richtiges Derby? Darüber war ja vor dem Spiel gestritten worden. Schließlich trafen die richtigen Löwen auf die Reserve-Bayern, die kleinen Bayern, die zweite Mannschaft. "Derby? Das ist doch kein Derby!", hatte der frühere Löwen-Trainer Werner Lorant gesagt (bei ihm eher: gerufen, gebellt oder geschimpft); "das sind die Bubis von Bayern II, jetzt geht's aber los!"

Manche hatten von einem halben Derby gesprochen, manche von einem Dreiviertelderby (ganze Löwen plus halbe Bayern), und man fühlte sich schon an den guten Charly Häusler von den "Münchner G'schichten" erinnert, der bei einem Bewerbungsgespräch mal sagte, er habe eine "Dreiviertelreife", weil er sich dafür schämte, nur die Mittlere Reife zu haben. Er bewarb sich in einem Reisebüro, aus dem er bald hochkant wieder rausflog, weil er den Chef davon überzeugen wollte, es mal mit "Negativwerbung" zu versuchen.

Bei den Löwen geht es ja auch um Werbung. Sie werben bei der Stadt dafür, im Grünwalder Stadion bleiben zu dürfen, zuallererst mit dem guten Benehmen ihrer Fans. Bisher haben sie sich daran gehalten, weder Gewalt angewendet noch in Vorgärten gebieselt.

Zwar pilgern immer noch keine Friedensengel ins Grünwalder Stadion, aber viele von ihnen befinden sich momentan offenbar in einem buddhaähnlichen Zustand der Glückseligkeit: Erfolg in der Regionalliga, keine Trainer-Diskussion, Ruhe im Umfeld, eigene Heimat. Zwar stichelt Stadionsprecher Stefan Schneider vor dem Spiel, dass man "hier in Giesing die Bayern empfängt und nicht draußen im Stadion an der Deponie"; zwar werden die Roten schon ab Minute drei beschimpft (etwas unoriginell mit "wir singen scheiß FC Bayern"); zwar brüllen die Löwen-Anhänger die Bayern-Fans nieder, wenn die Roten mal singen wollen.

Aber das muss halt sein. Apropos Bayern-Fans: Beim Anpfiff ist die Ostkurve nur zu zwei Drittel gefüllt - wo sind die anderen Roten? Sie sind draußen, und manche von ihnen sprechen von "Schikane der Polizei" (die Polizei nennen sie natürlich nicht Polizei, sondern so, wie man sie nennt, wenn man sie dick hat). Die Polizei wiederum sagt, man habe die Bayern-Fans sehr genau kontrollieren müssen. Schließlich gebe es da eine Löwen-Fahne, die von den Bayern geklaut worden sei; und wenn sie diese Fahne ausgerechnet beim Derby hämisch präsentieren würden - das wäre wohl die höchste Form der Provokation. Ein Fehdehandschuh wie im 18. Jahrhundert.

Kurz nach der Pause steigt aus der Bayern-Kurve Rauch auf, pflichtschuldigst singen die Löwen daraufhin "Tod und Hass dem FCB", was im richtigen Leben als mangelnde Bereitschaft zur Deeskalation gewertet würde; im Mikrokosmus Stadion ist das eine harmlose Zurechtweisung. Als die Bayern dann sogar in Führung gehen, bleibt das Stadion relativ ruhig - manche meinen: zu ruhig - und nur auf der Haupttribüne schimpfen ein paar ganz heftig. Ein besonders wuchtiger Emotionsbolzen, der wohl Einblick ins ganz große Ganze hat, schimpft auf den "Würstelmacher" (vulgo: Uli Hoeneß), der den Schiri gekauft habe.

© SZ vom 23.10.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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