München:Rekordjagden eines Grenzgängers

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Von langsam rückwärts bis rasant bergab: Einradfahrer Sebastian Niedner ist Grenzgänger, oder besser: Grenzfahrer. Und als solcher sammelt er Titel um Titel.

Florian Haas

Er ist ein Grenzgänger. Oder eher: ein Grenzfahrer. Sebastian Niedner wohnt in Fasangarten, im Süden von München, wo der Landkreis beginnt; nahe dem Ortsschild Unterhaching. Weil Niedner viel auf der Straße übt, dürfte kein anderer Einradfahrer so oft ein Ortsschild passiert haben wie er. München, Unterhaching, München, immer wieder, hin und her. Der Rekord ist freilich unbestätigt.

Allround-Talent auf einem Reifen: Sebastian Niedner (Foto: Manfred Neubauer)

Verbürgt ist eine andere Leistung des wohl besten und sicher vielseitigsten Einradfahrers der Stadt. Niedner hält den Weltrekord im Langsam-Rückwärtsfahren. Klingt komisch, ist aber so. Keiner fährt so gut langsam und wird dafür noch mit einem Weltrekord belohnt, wo sonst im Sport doch eher Schnelligkeit zählt. Seltsam? Nicht in der Welt der Einradfahrer, in der Welt der kuriosen Disziplinen. In der Welt von Sebastian Niedner, 16 Jahre, Weltrekordler und Weltmeister, Bayerischer und Deutscher Meister. Und Super-Allrounder.

Erst im Sommer wurde er Deutscher Meister im Mountain Unicycle. Er war der Gesamtbeste, weil Erster bei Cross Country und Downhill und Dritter beim Uphill. Sprich: Keiner fuhr besser über Stock und Stein, keiner raste schneller den Hang hinab, nur zwei radelten flotter den Berg hinauf.

Beim Downhill Gliding ist er derzeit der Drittbeste der Welt. Er ist gut in Weitsprung und Hochsprung. Er kann zig Tricks und ist daher Mitfavorit bei den Deutschen Meisterschaften (Freestyle und Standard Skill) Anfang November in Landsberg. Bei 24-Stunden-Rennen schafft er stets viele Kilometer, auf der Tartanbahn ist er kaum zu besiegen: 400 Meter, 800 Meter, Einbein Sprint - Niedner hat in fast jeder Kategorie einen bayerischen oder deutschen Meistertitel. Wer also ist der jugendliche Sportler, der in dieser nicht eben bekannten Sportart fast alles kann?

Zunächst ist Niedner professionell: Er hat eine eigene Homepage. Er trainiert seit fünf Jahren fast jeden Tag in der Woche - gewissenhaft und zielorientiert, ob alleine auf der Bahn der Bundeswehr-Uni Neubiberg, gemeinsam mit Leichtathleten seines Vereins TSV1860 München oder mit Einradfahrern beim USC München. Er gibt Kurse in Vereinen, für Firmen, in der Sporthochschule Oberhaching - und für ein Taschengeld, mit dem er sich den Sport finanziert. Denn billig ist Einradfahren nicht, wenn man es auf hohem Niveau betreibt. Ein Freestyle-Rad kostet rund 300, ein Downhill-Rad gut 500 Euro, Spezialbikes gibt es fast so viele wie Disziplinen in der Straßen-, Berg- und Bahnsportart. Immerhin: Bei teuren Reisen helfen schon mal die Großeltern, "außerdem unterstützt mich meine Mutter nach Kräften", wie Niedner sagt.

Mit elf Jahren bekam er sein erstes Einrad geschenkt. Anfangs glückte ihm wenig. Dann nahm er alle Kraft zusammen, lernte, reiste zu Wettkämpfen, schaffte es ohne Trainer zu einem der deutschen Top-Fahrer und zum Weltrekord im Rückwärtsfahren, den er 2008 in Kopenhagen aufstellte und später unterbot. Auftritten in TV-Shows (unter anderen bei Stefan Raab) und Radiosendungen folgten weitere internationale Erfolge. Anfang dieses Jahres holte er bei der WM in Neuseeland in seiner Altersklasse sechs Medaillen sowie im Gesamtklassement einmal Bronze und erneut Gold im "Langsam Rückwärts".

Bei der WM 2012 in Brixen will der Gymnasiast, der die Asam-Schule in Giesing besucht, um den Gesamttitel mitfahren. Leicht wird es nicht, die Konkurrenz ist größer als die oft überschaubare Gegnerschaft hierzulande. Schwer würde er eine Niederlage aber nicht nehmen. "Klar will man gut sein. Aber Freundschaften und das Voneinander-Lernen sind mindestens ebenso wichtig." Spaß, Gemeinschaft, das sind die Gründe, warum Niedner den Sport schätzt, wieso er sich im Verband engagiert, weshalb er Wettbewerbe organisiert.

Obwohl der Teenager den Adrenalin-Kick beim Bergfahren durchaus sucht, blieb er bisher von Stürzen verschont. Vielleicht, weil er stets gut vorbereitet an den Start geht und sein Können vielseitig schult. Er trat schon im Zirkus auf, bei Straßenfesten, auch als Coach ist er gefragt. "Bei Kindern wird Einradfahren immer beliebter", sagt er. Die Arbeit als Trainer gefällt ihm. Auch wenn er fast neidisch ist auf seine Schüler. "Ich musste mir alles selbst beibringen." Das ist ihm gelungen. Dem Jungen, der bis an seine Grenze geht. Und darüber hinaus.

© SZ vom 08.10.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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