Süddeutsche Zeitung

München Marathon:Entdeckung der Langsamkeit

Florian Stelzle und Julia Viellehner gewinnen den München Marathon 2015, der fast 23 000 Läufer anlockt. Bestzeiten aber werden anderswo gelaufen.

Von Alexander Mühlbach

Irgendwann konnte Florian Stelzle nicht mehr. Ein paar Sätze brachte der Passauer nach dem München Marathon noch aus sich heraus, genauso wie ein qualvolles Lächeln. Man musste ja gut aussehen für das Fernsehen, für die ganzen Fotografen. Gerade als Marathonsieger und als neuer bayrischer Meister. Passend zum Motto des München Marathons, das neben Herzklopfen und Gänsehaut ja auch Siegerlächeln versprach. Aber dann überrannte Stelzle doch das Gefühl der Erschöpfung. "Mir ist schlecht", sagte er zu den umstehenden Journalisten, bevor er sich auf den Boden des Olympiastadions legte und erst einmal dort liegen blieb.

Was hatte er gekämpft, in den vergangenen 2:29:57 Stunden, im schnellsten Rennen seiner Karriere. Gegen die acht Grad kalten Temperaturen ("Ich bin mehr so der Typ Sommerläufer), gegen die Konkurrenten - und vor allem gegen die Schmerzen. Vergangene Woche noch hatte sich Stelzle nämlich eine Bänderzerrung am Sprunggelenk zugezogen. Lange Zeit stand deswegen sein Start in München auf der Kippe. Zwar gab ihm sein Arzt die Rennfreigabe, trotzdem spürte er das Sprunggelenk von Anfang an. "Im letzten Drittel waren das nur Schmerzen", sagte Stelzle später auf der Pressekonferenz. Da konnte er schon wieder lächeln, dieses Mal war es ein echtes Siegerlächeln.

Die Besten laufen in Berlin oder Frankfurt

Wobei sich Stelzle noch daran gewöhnen musste. Denn noch nie hatte der Passauer ein Rennen in dieser Größenordnung gewonnen. Genauso wenig wie Julia Viellehner, die Siegerin bei den Frauen. Die Athletin des TSV Altenmarkt lief ein völlig einsames Rennen und kehrte nach 2:40:27 Stunden im Olympiastadion ein. Sicher, die Triathletin, die im kommenden Jahr Profi werden möchte, ist kürzlich erst Duathlon-Weltmeisterin geworden. Aber so weit vorne, bei einer reinen Laufveranstaltung dieser Größe? Das gab es noch nie.

Auf der einen Seite ist das schön zu sehen. Der München Marathon bietet vor allem Deutschlands zweiter Reihe eine Möglichkeit, sich zu präsentieren. Athleten, die neben ihrem Job noch ein volles Trainingspensum absolvieren. Auf der anderen Seite hat der Lauf seit dem vergangenen Jahr vor allem in sportlicher Hinsicht einbüßen müssen. Der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) entschied nach drei Jahren, den deutschen Marathonmeister nicht mehr in der bayrischen Landeshauptstadt zu küren. Sondern zwei Wochen später in Frankfurt.

"Es ist unser Ziel, dass die besten deutschen Marathonläufer auch deutscher Meister werden", erklärte DLV-Veranstaltungsdirektor Frank Kowalski. Was natürlich eine völlig nachvollziehbare Entscheidung ist. Die besten Läufer sollen auch die Medaillen bekommen. Nur laufen sie seit jeher in Berlin oder eben in Frankfurt. Aber nicht in München. Was maßgeblich daran liegt, dass die beiden erstgenannten Städte mehr Start- und Preisgelder ausschütten und somit auch stärkere Startfelder bekommen.

Lieber eine Veranstaltung für den Breitensport

Dem Münchner Marathon sind die Prämien dagegen zu teuer geworden, weswegen sie hier einen anderen Weg gehen und lieber eine Veranstaltung für den Breitensport sein wollen. Das Konzept geht auf, beinahe 23 000 Läufer meldeten sich laut der Organisatoren für den Marathon an, wodurch die Veranstaltung zu den fünf Größten hierzulande zählt. Dennoch machen sich die fehlenden Spitzenläufer bei den Siegerzeiten bemerkbar. Die lagen seit 2002 bei den Männern immer rund um 2:20 Stunden - in etwa so schnell läuft in Berlin immer die beste Frau. Stelzles Siegerzeit war gar die langsamste, die es jemals gab.

Aber die Jagd nach Bestzeiten ist den Veranstaltern egal. Auch so gibt es genug schöne Geschichten. Da wäre zum Beispiel die Österreicherin Andrea Weber, die Zweitplatzierte bei den Frauen, der bei der Siegerehrung die Tränen kamen. "Siegerehrung im Olympiastadion, da kribbelt einfach alles, das ist Wahnsinn", sagte die 43-Jährige. Schon 2006 wurde sie in München Zweite und konnte nun gar nicht glauben, dass sie noch einmal auf dem Podest stehen durfte. Oder Hans Mühlbauer, auch ein ehemaliger Triathlet, der eigentlich nur in die Top 15 wollte, um dann bei den Männern Zweiter zu werden.

Und Florian Stelzle? Der freut sich nun auf eine dreiwöchige Pause, bevor er schon der nächsten Herausforderung ins Auge blickt: "Papa werden", sagt er. Das gab es bei ihm auch noch nie.

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Quelle:
SZ vom 12.10.2015
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