Süddeutsche Zeitung

München Marathon:Auf Geschäftsreise

Oliver Herrmann macht auf dem Weg von Singapur nach Rom Zwischenstation in seiner Heimatstadt und gewinnt das traditionsreiche Langstreckenrennen vor seinem Tempomacher, der ihm auf der Ziellinie applaudiert

Von Christopher Gerards Und Philipp Jakob

Der Moment, in dem sich der Münchner Marathonlauf entschied, begann kurz nach der Dunkelheit, hinter dem Tunnel ins Olympiastadion. Gleichauf rannten Oliver Herrmann und Charles Korir Richtung Ziel, weniger als eine Stadionrunde lag vor ihnen, ein paar hundert Meter. Die Gegengerade entlang, dann um die letzte Kurve. Plötzlich zog Herrmann an, ganz leicht nur, aber er setzte sich vor Korir. Er rannte, lächelte, rannte. Dann riss er die Arme hoch.

Oliver Herrmann ist der Sieger des München Marathons 2016. Mit einer Zeit von 2:27:10 Stunden kam er ins Ziel, nur eine Sekunde vor dem Kenianer Korir. Und das hatte das Rennen in München so auch eine Weile nicht erlebt: dass zwei Läufer derart lange gleichauf liegen; dass sich der Sieg erst auf den letzten Metern entscheidet. Aber wenn man es genau nimmt, taugten diese letzten Meter nicht ganz als sogenanntes Herzschlagfinale. Korir wollte gar nicht gewinnen. Er war als Tempomacher für Herrmann angetreten, und dann hat er sich so gut gefühlt, dass er einfach mal mit ins Ziel gelaufen ist. Dabei, das nur nebenbei, hat er Herrmann noch applaudiert.

"Ja", sagte Herrmann hinterher,"wenn der Charles richtig Gas gegeben hätte, hätte er auch gewinnen können." Hat er aber nicht, Korir bereitet sich seinerseits auf weitere Marathonläufe vor. Also gewann Herrmann. "Als Freund" habe er Korir eingeladen, und nach Lage der Dinge ist der Kenianer ein sehr schneller Freund. Vor dem Lauf in München ist er erst einen Marathon gelaufen, den aber in rund zwei Stunden und 15 Minuten. Herrmanns Bestzeit liegt bei 2:26:28 Stunden, aufgestellt in Berlin. Etwa 2:20 Stunden wollte er in München schaffen, "ich wollte ein bisschen schneller laufen", sagte er hinterher. Das klappte nicht, aber immerhin hat er gewonnen. Auch okay.

Herrmann ist der Sieger, den niemand erwartet hatte. Marco Bscheidl galt als heißer Tipp - er wurde Fünfter. Sebastian Hallmann, ebenfalls als einer der Favoriten angetreten, kam auf Platz zwölf. Und Herrmann? Der sagte später, er sei ja nicht so drin in der Laufszene. Erst vor vier Jahren begann er mit dem Sport, der ihn nun zum Marathon-Sieg in München geführt hat - in seiner Heimatstadt. Herrmann, 1980 geboren, lebt inzwischen in Singapur, er arbeitet als Unternehmer. Und weil er geschäftlich nach Rom musste, ist er halt mal zum Marathon gekommen.

Er war damit einer von exakt 20 041 Läufern, die antraten über zehn Kilometer, im Halbmarathon, in der Staffel und eben über die volle Distanz von 42,195 Kilometern. Mehr als 6000 liefen auf der großen Runde, und im Rennen der Frauen siegte Latifa Schuster aus Frankreich in 2:56:08 Stunden vor Anne Lupke (Hamburg) und der Ismaningerin Coco Wieland.

Die Zahl der Läufer lag leicht unter der von 2015, Organisationschef Gernot Weigl führte das darauf zurück, dass der Marathon im vergangenen Jahr seine 30. Austragung feierte. Weigl war dennoch zufrieden: "Der München Marathon kommt immer mehr bei den Zuschauern an", sagte er. Die Veranstalter schätzen, dass 80 000 bis 100 000 Münchner das Rennen gesehen haben. Ein Grund sei, dass die Organisatoren "gerade der lokalen Läufergarde eine Bühne geben". In München bekommen die Läufer weder eine Start- noch eine Siegprämie, das schreckt manch einen schnellen Läufer der Szene ab, bietet lokalen Läufern aber gute Chancen auf eine vordere Platzierung. "Dieses Modell werden wir weiterführen", kündigte Weigl an.

Kjell-Erik Stahl hat keine vordere Platzierung erreicht über zehn Kilometer, aber das war ihm egal. 1983 hatte er den ersten Marathon in München gewonnen, inzwischen ist er 70 Jahre alt. Er war nicht ganz sicher, ob er überhaupt in München antreten sollte, sein letztes Rennen lag fünf Jahre zurück. Die ersten Kilometer seien etwas hart gewesen, sagte Stahl, aber er wollte nicht klagen. Später stand er im Ziel als Herrmann gerade einlief. Und Stahl, der erste Sieger des München Marathons, gratulierte Herrmann, dem aktuellen.

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Quelle:
SZ vom 10.10.2016
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