Luftgewehr-Bundesliga:Adrenalin und Spielchen

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Gerne auch mal ein bisschen langsamer: Nicht zuletzt seine Nervenstärke hat Mario Nittel bei den Münchner HSG-Schützen einen Stammplatz eingebracht. (Foto: Imago)

Der 21-jährige Mario Nittel hat sich vom Ersatzmann zur festen Größe bei den HSG-Schützen entwickelt, der Sport ist für ihn aber nicht das Wichtigste

Von Julian Ignatowitsch, München

Für taktische Spielchen macht Luftgewehrschütze Mario Nittel von der HSG München auch mal langsam. So wie zuletzt beim Duell mit seinem Ex-Verein KKS Königsbach in der Bundesliga. Nittel stand geschlagene drei Minuten regungslos am Stand und wartete - alles nur, um seine Gegnerin Marie-Laure Gigon zu verunsichern. "Ich wollte damit den Druck auf sie erhöhen", erklärt Nittel die kuriose Aktion. Eigentlich schießt er einen schnellen Rhythmus. "Ich lag vorne, sie musste nachlegen, da habe ich einfach abgewartet. Ich mag solche Spielchen." Der mentale Trick funktionierte: Während Gigon das Ziel zwei Mal verfehlte, schloss Nittel seine Serie mit einem Volltreffer ab und gewann damit hauchdünn die Begegnung. Gleichzeitig holte sein Verein, die HSG München, einen wichtigen Sieg. So abgezockt sind in diesem jungen Alter nur wenige Sportler.

Den Einzug ins Finale hat München nun so gut wie geschafft. In der Gruppe Süd liegt die HSG auf dem zweiten Platz und kann sich gute Chancen im Meisterschaftsrennen ausrechnen. "Eine Medaille ist das Ziel", sagt Nittel mit Blick aufs Finale.

An Selbstbewusstsein mangelt es dem 21-Jährigen nicht sonderlich - aktuell schon gar nicht. Nittels Ergebnisse liegen seit mehreren Monaten im Bereich der Weltspitze, obwohl er eigentlich nur als Ersatzmann in die Saison gestartet ist. Mittlerweile schießt Nittel bei der HSG an Position zwei, Stammplatz inklusive. Kurz: Er ist die große Überraschung im Team.

Und dass er ausgerechnet gegen seinen Heimatverein aus Königsbach zum Matchwinner wurde, passt momentan einfach dazu. "Ich war doppelt motiviert", sagt Nittel und führt aus: "Wenn du mit deinem neuen gegen dein altes Team gewinnst, dann weißt du, dass der Wechsel die richtige Entscheidung war, weil du ja jetzt beim besseren Team schießt." Punkt. Nittel ist jemand, der sagt, was er denkt. Er formuliert seine Meinung gerade heraus, für einen 21-Jährigen macht er das ziemlich oft. Beim Schützenbund und seinen Kollegen stößt er damit nicht immer auf Gegenliebe. Den Verband nennt er schon mal "sehr traditionell und zögerlich bei Reformen". Sein Trainer Theo Gschwandtner aber schätzt "diese Ehrlichkeit" und weiß, was er an seinem neuen Leistungsträger hat: "Er hat eine sehr gute Entwicklung genommen". Dann lacht Gschwandtner: "Ja, er ist schon ein besonderer Typ."

Im jungen Team der Münchner mit den beiden Senkrechtstarterinnen Selina Gschwandtner und Nina-Laura Kreutzer ist Nittel der etwas andere Schütze, der gerne mit den Konventionen bricht. Seine Herangehensweise ist ungewöhnlich, anders als bei der alten Schule, die er "Schützen-Bilderbuch" nennt, arbeitet Nittel mehr mit Muskelanspannung statt Muskelentspannung. Er steht zu dieser ungewöhnlichen Technik und räumt ein, dass er in diesem Bereich sicher nicht der Beste ist. "Dafür arbeite ich umso mehr im mentalen Bereich und bin dort sehr gut", glaubt er aber.

Nittel ist ein extrovertierter Typ, liebt das Adrenalin. Er fährt gerne Motorrad, schnelle Autos und macht derzeit bei der Bundeswehr eine Ausbildung zum Jetpiloten: "Alles Dinge, die mir die Trainer lieber ausreden würden", sagt er. Die finden, er solle sich doch besser auf den Sport konzentrieren. Nittels Zukunftspläne sind aber andere: "An erster Stelle steht für mich das Ziel Pilot zu werden, erst dann kommt der Schießsport." Ausgerechnet seit er diese Entscheidung getroffen hat, erzielt Nittel mit dem Luftgewehr seine besten Ergebnisse. Ob er noch einmal umdenken wird? "Eher nicht", sagt er, aber noch ließen sich Sport und Ausbildung gut miteinander vereinbaren. Er ist nicht der Einzige, der so eine Doppelbelastung bewältigen muss. Für die meisten Schützen, selbst auf dem ganz hohen Niveau, ist der Sport nur eines von zwei Dingen. "Bei mir ist er eines von vielen", sagt Nittel, der auch beim Target Sprint, der Sommervariante des Biathlon, aktiv ist. Er assistiert in diesem Bereich Bundestrainer Peter Steffes, hat auch Kontakte zu Biathleten, überhaupt sei der Schießsport ein "gutes Sprungbrett, um interessante Menschen kennenzulernen". Er will so lange dabei bleiben, wie er vorne mithalten kann.

Im Januar starten die internationalen Wettbewerbe wieder, dann will sich Nittel für die Europameisterschaft qualifizieren. Natürlich träumt er auch von den Olympischen Spielen. Dass er dieses Ziel als Mann der vielen Leidenschaften tatsächlich erreichen kann, ist aber eher unwahrscheinlich. Die Qualifikation schaffen eigentlich nur die disziplinierten Schützen, die dem Schießen alles unterordnen. Über den Winter ist die Bundesliga der Höhepunkt.

Die Münchner Teams geben in dieser Saison mal wieder ein hervorragendes Bild ab: Neben der HSG liegt auch Germania Prittlbach auf Finalkurs. Auch der Bund München hat noch Chancen. Gut möglich also, dass das Münchner Trio den Kampf um die Meisterschaft am Ende in Rotenburg an der Fulda (13./14. Februar 2016) fast unter sich ausmacht. Nittel jedenfalls hat richtig Lust auf diese Momente, in denen es um alles geht, dann ist Gelegenheit für Spielchen.

© SZ vom 17.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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