Linksaußen:Zieht Deep Blue den Stecker!

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Vor 22 Jahren entzauberte eine Maschine Schach-Weltmeister Garri Kasparow. Mittlerweile spielt die Künstliche Intelligenz gegen sich selbst.

Kolumne von Sebastian Winter

Vor 22 Jahren wurde Deep Blue schlagartig bekannt. Nein, liebe Tierschützer, es handelt sich hier nicht um den angeblich größten Hai der Welt, den gleichnamigen Sechs-bis-sieben-Meter-Koloss sichteten Taucher erst viel später vor der Karibikinsel Guadalupe - seither ist der Hai immer wieder ein begehrtes Fotomotiv, wenn er (oder vielmehr sie!) mal wieder in der Nähe der Küste aufkreuzt. Und nein, liebe Cineasten unter den Tierschützern, auch der ebenso eindrückliche gleichnamige Dokumentarfilm ist nicht gemeint, die Kinoversion der achtteiligen BBC-Serie "Unser blauer Planet" kam erst 2003 in die Lichtspielhäuser. Sie untermalte dann den Überlebenskampf exotischer Meeresbewohner mit epischer Orchestermusik.

Deep Blue ist, um auf den Punkt zu kommen, jener Supercomputer, der 1997 Schachweltmeister Garri Kasparow mattsetzte. Dieses Duell war nicht weniger als die ultimative Schlacht zwischen Mensch und Maschine. Und vielleicht war der 11. Mai damals jener Tag, an dem endgültig geklärt wurde, wer auf dieser Welt die wahren Herrscher sind und wer ihre Untergebenen. Auch wenn die Menschen das Unheil ja längst geahnt hatten, bevor sie es selbst heraufbeschworen.

KI- statt Kopfball-Tore: Der Fußball ist längst digitalisiert

Sie haben ihre Ahnungen in Dutzende filmische Dystopien gegossen, Fritz Langs Metropolis machte 70 Jahre vor Deep Blue (dem Schachcomputer) den Anfang, Stanley Kubricks 2001 - Odyssee im Weltraum folgte dem Science-Fiction-Stummfilm, später ballerte sich der fehlgesteuerte Roboter-Revolverheld Yul Brynner durch Westworld und Arnold Schwarzenegger als Terminator durch das Los Angeles der Achtziger. Aber das alles war eben in erster Linie ziemlich bedrohliche, explosive Fiktion. Beim Science-Fiction-Autor William Gibson verhält es sich ähnlich in seiner Romantrilogie "Neuromancer". Dort erzählt er von einer Polizei, die Künstliche Intelligenzen (KI) abschaltet, wenn sie zu clever werden. Und dem Erfinder des ersten wirklich funktionsfähigen Computers, Konrad Zuse, wird das Zitat zugeschrieben: "Wenn Computer zu frech werden, dann zieht ihnen einfach den Stecker."

Herrje, wenn es heute so einfach wäre. Seit 1997, diesem Sündenfall im Verhältnis Mensch vs. Maschine, ist jedenfalls klar, wer hier wem den Stecker zieht. Und das ausgerechnet im Sport (wozu Schach noch immer zählt), einem Metier, das seit Turnvater Jahn, ach was, seit den Olympischen Spielen der Antike ziemlich viel auf die menschliche Leistungsfähigkeit hält. Inzwischen hat die KI leider auch dort die Herrschaft übernommen, was man nicht nur im Tennis beobachten kann, wo der in Europa gefertigte Androide F-Roger seit Jahrzehnten das Geschehen bestimmt.

Selbst der ansonsten eher technologieferne Deutsche Fußball-Bund (DFB) setzt seit dieser Saison auf seiner Amateurfußball-Plattform www.fussball.de auf KI. Mittels relevanter Daten wie dem Resultat des Spiels, Torschützen und Auswechslungen schreibt ein Computerprogramm nicht einmal ganz schlechte Berichte zu Amateurspielen im Männer-, Frauen- und Jugendbereich. Dadurch sollen auch Vereine Gehör finden, die sonst wenig oder nie in der Öffentlichkeit stehen. Binnen Sekunden sind diese Spielberichte geschrieben und produziert, sie umfassen rund 30 000 Partien pro Wochenende. "Faszinierend" würde der Star-Wars-Androide C-3PO das wohl nennen.

Während Roboterjournalisten also längst in die Zeitung drängen (bekommen sie dafür auch Zeilenhonorar?), hält die Zukunft auch neben den Sportplätzen und Spielhallen Einzug. Oder über ihnen. Im Amateurfußball und beispielsweise auch bei Grafings Zweitliga-Volleyballern übertragen vollautomatische Kameras die Spiele live ins Internet. Einen Kameramann, der sie schwenkt, brauchen sie nicht, denn sie folgen dem Ball und Spielgeschehen per eingebauter KI. Selbst schnelle Konter oder lange Pässe werden eingefangen, weil der Algorithmus das so will. Man braucht kein Visionär wie Fritz Lang oder der Terminator ("I'll be back") zu sein, um sich vorzustellen, wie die Kamera den Ball bald selbst per KI ins Tor schießt.

Wer übrigens glaubt, diese Kolumne sei von Menschenhand geschrieben, irrt. Es ist seit Sommer KI-basiert.

© SZ vom 14.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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