Süddeutsche Zeitung

Linksaußen:Spiel der Elemente

Von gleichwertigen Lebensverhältnissen ist auch der Sport in und um München weit entfernt. Weiß-Blau Türkgücü spielt bald im Grünwalder Stadion, die Volleyballer des TSV Herrsching ersuchen in Fürstenfeldbruck um Asyl.

Von Andreas Liebmann

Titan ist ein chemisches Element, kurz Ti, Ordnungszahl 22. Dehnbar, korrosions- und temperaturbeständig. Seine Elektronenkonfiguration lautet [AR]3d2 4s2. Das könnte man zwar alles bei Wikipedia nachlesen, aber natürlich ist es Grundwissen. Titan kommt bei der Herstellung von Tennis- und Golfschlägern, Eisstöcken, Fahrrädern und Lacrosse-Schäften zum Einsatz. Des Weiteren wurden einst ein Torwart daraus geformt und Handschuhe danach benannt, was einen Prozess zur Folge hatte, der klären muss, ob der Begriff Titan nun torwartmarkenrechtlich geschützt ist oder nicht. Das Titan: sicher nicht; der Titan: vielleicht. (Die Titan scheidet völlig aus, seit sie samt dem -ic versunken ist.)

Weiß-Blau Türkgücü bald im Grünwalder, Herrsching in Bruck

Wieso ein Schwergewicht der Torwartzunft überhaupt je Titan getauft wurde, wo es sich doch erstens um ein Leichtmetall handelt, das zweitens von, Achtung: geringer Dichte ist? Hm. Weiß wohl nicht mal Wikipedia. Jedenfalls hat Bundesinnenminister Horst Seehofer gerade neue Erkenntnisse zum Thema gleichwertige Lebensverhältnisse präsentiert, deren Herstellung er schon vor Monaten als "titanische Aufgabe" einstufte. Ganz kurz wusste man damals nicht, ob Oliver Kahn nun seine FC-Bayern-Nachfolge würde absagen müssen, weil er sich erst mal für Seehofer um gleiche Lebensverhältnisse in Deutschland kümmern sollte, aber das war dann wohl ein Missverständnis.

Von gleichwertigen Lebensverhältnisse ist auch der Sport in und um München weit entfernt. Beispiel Fußballplätze: Wo sich in der Stadt drei, vier, fünf Vereine eine Bezirkssportanlage teilen, residiert im Umland mancher A-Klassist in einem locker drittligatauglichen Stadion. Oder in einem, das, siehe Pipinsried, nicht nur nach oben, sondern im Zweifel nach allen Seiten offen ist. Kommen zu viele Fans, werden umliegende Felder zu Tribünen umfunktioniert. Platz ist ja vorhanden.

Das ändert sich drastisch mit der Nähe zur Stadt. Man kann gar nicht oft genug betonen, dass der SV Pullach auch in der neuen Saison wieder nicht aufsteigen dürfte. Nicht als Strafe für das 0:12 im Test gegen Türkgücü, sondern weil das Stadion so klein und beengt ist, dass man es versehentlich schon zur Hälfte verlässt, wenn man als Zuschauer beim Jubeln am Spielfeldrand die Arme zu weit nach hinten reißt. Nur Türkgücü ist eine Ausnahme. Der Aufsteiger darf samt seiner 200 Zuschauer bald ins Grünwalder Stadion ziehen, wo die Zuschauerzahlen rasant steigen werden - es gibt halt so viele Menschen, die von Erfolgen im Grünwalder träumen. Und seit das Vereinswappen Türkgücüs weiß-blaue Rauten zeigt...

Übrigens ist nicht jede Ungleichheit durch städtische Nähe und Besiedlungsdichte zu erklären. Es dürfte andere Gründe haben, dass etwa Herrschings Volleyballer in Fürstenfeldbruck ein Grundstück für einen Hallenneubau und davon angetane Politiker vorfinden, und zu Hause nicht. Nun bauen sie sich wohl ein neues Heim - für fünf Millionen Euro. Ein wahrhaft titanisches Projekt. Eine Traglufthalle soll es werden, eine Luftnummer ist es wohl nicht mehr. Nur in Herrsching wird sich etwas in Luft auflösen.

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Quelle:
SZ vom 15.07.2019
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