Linksaußen:Impuls aus der Schnurrbartzeit

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Christian Wörns, 45, einst von Bundestrainer Klinsmann verschmähter Nationalspieler, soll frischen Wind in die Jugendarbeit der Löwen bringen. Das Selbstverständnis dazu hat er allemal.

Von Sebastian Fischer

Der TSV 1860 München hat Christian Wörns, 45, als Trainer der A-Junioren verpflichtet und sollte dafür gelobt werden. Wörns besitzt die Kompetenz, die Mannschaft in die Junioren-Bundesliga zurückzuführen - und das, obwohl er im Trainerlehrgang 2012 mit Mehmet Scholl lernen musste. Viel wichtiger ist jedoch, dass er das Selbstverständnis des Klubs prägen, den TSV 1860 mit sich selbst versöhnen wird. Ein kurzer Exkurs in die jüngere deutsche Fußballhistorie: Wörns hätte 2006 gerne an der WM im eigenen Land teilgenommen. Doch Bundestrainer Klinsmann war der rückpassende Spielstil des fußballerisch in der Schnurrbartzeit sozialisierten Verteidigers zu antiquiert. Der wartete vergeblich auf eine Einladung, aber reagierte nicht etwa mit Einsicht, sondern sagte nach einem 0:0 seines BVB in Stuttgart: "Die letzten Wochen spiele ich eigentlich überragend." Das war zwar mindestens mutig (Klinsmann ignorierte ihn natürlich weiter), doch er bekam viel Zuspruch.

Was das mit dem TSV 1860 im Jahr 2017 zu tun hat? Der Klub ist mit der Gegenwart in der Regionalliga bekanntlich ganz zufrieden, es sind eher die Lasten der Vergangenheit, die ihn quälen und gar um die Zukunft fürchten lassen. Nun nicht mehr, dank Wörns.

Die Aufarbeitung wird mit einer Wortmeldung des früheren Stürmers Francis Kioyo beginnen, der 2004 den Abstieg aus der Bundesliga mit einem verschossenen Elfmeter besiegelte. Kioyo: "Ich habe eigentlich nicht daneben geschossen, sondern präzise, überragend." Daraufhin werden sich weitere Protagonisten der jüngeren Vereinsgeschichte melden, der frühere Manager Miroslav Stevic wird stellvertretend für Vorgänger und Nachfolger die Transferpolitik des Klubs verteidigen: "Ich habe eigentlich die Bender-Zwillinge nicht zu günstig verkauft", wird er sagen, und: "Die Transfers der letzten Jahre waren alle überragend." Und dann wird der zuletzt so zurückhaltende Investor Hasan Ismaik bei Facebook posten: "Liebe Löwen, die Vereinsführung und ich, wir verstehen uns seit Wochen eigentlich wieder überragend." Er werde Geld für die Drittligalizenz bereitstellen - ohne sich in sportliche Belange einmischen zu wollen, versteht sich. Denn auch die 50+1-Regel, die den Vereinsmitgliedern die Stimmenmehrheit sichert, sei "wenn ich mir das recht überlege eigentlich überragend".

Beeindruckend, was ein neuer Trainer im Fußball bewirken kann.

© SZ vom 06.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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